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Digital In Arbeit

„Jede Woche kämpfe ich für die 35-Stunden-Woche"

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FURCHE: Mit 5,8 Prozent kletterte 1991 die Arbeitslosigkeit auf einen Höchststand, für heuer werden sechs Prozent prognostiziert. Für die Politik ist Vollbeschäftigung offensichtlich kein Thema mehr, auch Wirtschaftsforscher verkünden, daß wir in Zukunft mit einer hohen Arbeitslosigkeit wohl olter übel leben müssen. Läßt sich das Gegenteil vom Chef des ÖGB noch überzeugend verkaufen ?

ÖGB-PRÄSIDENT FRITZ VERZETNITSCH: Wir haben uns vom Ziel der Vollbeschäftigung noch nicht verabschiedet. Ich bin überzeugt davon, daß wir dieses Ziel durchaus wieder erreichen können. Jedenfalls bin ich nicht bereit, mich mit einer so hohen Arbeitslosenrate kommentarlos abzufinden.Wir müßten jetzt als ersten Weg folgendes feststellen: Wieviel Arbeit haben wir in Österreich und wieviele Menschen stehen dafür zur Verfügung. Sollte ein Bil-dungs- und Mobilitätsmangel vorhanden sein, dann muß man sich überlegen, wie man den abbauen kann.

FURCHE: Genügt diese dürre Analyse? Vizepräsident Fritz Neugebauer hat einmal gemeint, Sie melden sich zuwenig zu Wort. Brauchen sich Unternehmer und Politiker vor einem zahmen ÖGB tatsächlich nicht zu fürchten?

VERZETNITSCH: Ich richte meine Politik nicht danach aus, welche Schlagzeilen sie mir in den Zeitungen bringt. Als wir vor zwei Jahren vor einer zu hohen Ausländerbeschäftigung gewarnt haben, hat man uns das vorgeworfen. Jetzt sieht die Situation anders aus. Die Beurteilung, ob ich e| in zahnloser Präsident bin oder nicht, uberlasse ich anderen, auch dem Kollegen Neugebauer. Ich versuche dort meine Stimme zu erheben, wo sie am wirkungsvollsten gehört wird.

FURCHE: Arbeitslosigkeit ist ein schlimmes Schicksal. Sie haben einmal gesagt, wenn es wirklich um etwas geht, dann werden die Österreicher auch streiken. Müßten nicht jetzt diejenigen, die Arbeit haben, für diejenigen auf die Straße gehen, die keine Arbeit haben? Sie könnten dafür demonstrieren, daß ältere Arbeitnehmer nicht einfach gegen jüngere ausgetauscht werden.

VERZETNITSCH: Ich glaube nicht, daß ein Streik dafür das geeignete Mittel ist. Der entscheidende Faktor ist vielmehr, daß sich die Einstellung der Arbeitgeber ändert. Vielleicht ist ein älterer Arbeitnehmer da oder dort etwas langsamer, aber er hat Zugänge und Berufserfahrung, die ein Jüngerer sich erst erarbeiten muß. Ich teile aber die Auffassung der Industriellenvereinigung, die versucht, mit einem eigenen Programm ältere Arbeitnehmer mit einzubeziehen. Man soll aber nur nicht verlangen, daß die Leute länger arbeiten, gibt ihnen aber keine Möglichkeit.

FURCHE: Machtvolle Solidaritätsaktionen sind also nicht zu erwarten ?

VERZETNITSCH: Wir würden ja gleich wieder niederargumentiert, indem man uns vorhält, daß Österreich bei der Arbeitslosenrate im internationalen Vergleich ohnehin gut dasteht. Das mag schon stimmen. Wir haben eine phantastische Beschäftigungsrate von drei Millionen unselbständig Erwerbstätigen' Blicke ich jetzt 20 Jahre zurück, so sind das um fast600.000 mehr. Damals hatten wir allerdings ein Arbeitslosenziffer von 50.000. Jetzt liegen wir im Jahresdurchschnitt zwischen 165.000 und

Ich wäre ein Scharlatan, würde ich so einfach Lösungen anbieten...

170.000. Die Arbeitslosen haben sich also auch zahlenmäßig verdreifacht. Der entscheidene Punkt ist, daß man nicht mit Statistiken sagen kann, wir liegen international gut. Für mich hat nach wie vor die Vollbeschäftigung oberste Priorität.

FURCHE: Arbeitszeitverkürzung wurde immer als Wundermittel der Arbeitsplatzsicherung und gegen Arbeitslosigkeit gesehen. Warum sind Sie davon abgegangen ?

VERZETNITSCH: Hier könnte gleich wieder die These vom schwachen ÖGB-Präsidenten gelten. Da sage ich gleich, alle sind herzlich eingeladen, hier stärker mitzutun.

FURCHE: Hat man nicht vielmehr eingesehen, daß die 35-Stunden-Wo-che nicht die Beschäftigungseffekte bringt, die man sich versprochen hat ?

VERZETNITSCH: 1984 wurde berechnet, daß zwei Stunden weniger Abreitszeit für alle durchgängig einen Beschäftigungseffekt von zirka 20.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung bringt. Wir sind jetzt bei etwa 1,4 Millionen unselbständig Erwerbstätigen, die unter der 40-Stunden-Woche arbeiten. Von durchgängig kann also noch keine Rede sein. In der metallverarbeitenden Industrie, das hat sogar die Bundeswirtschaftskammer selbst ausgetestet, gab es einen Beschäftigungseffekt von über 3.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen. Die Arbeitszeitverkürzung läßt sich aber nicht verwirklichen, in dem der ÖGB-Präsi-dent auf einen Knopf drückt. Wenn man nur die Hand hebt und dafür stimmt, sich sonst aber keine Gedanken macht, dann wird es nie dazu kommen.

FURCHE: Welche Frist haben Sie sich jetzt gesetzt, nachdem Sie schon 1987 verkündet haben, in vier Jahren haben wir einen Generalkollektivvertrag ?

VERZETNITSCH: Ich versuche jede Woche, dieses Ziel zu erreichen. Es hat erst in der vergangenen Woche einen Abschluß bei den Erdöl-verarbeitem gegeben, die wieder eine Arbeitszeitverkürzung vorgenommen haben. Ich kann auch hier nur jeden motivieren, daß erdie Verwirklichung der 35-Stunden-Woche vorantreibt.

FURCHE: Welche Perspektive können Sie aber kurzfristig all jenen anbieten, die jetzt keine Arbeit haben oder - schlimmer noch - überhaupt noch nie eine gefunden haben. Jugendliche, Frauen, Ausländer...

VERZETNITSCH: Ich wäre ein Scharlatan, würde ich jetzt so quer durch den Problembereich Lösungen anbieten. Auf den Einzelfall abgestimmt beginnt das ja schon bei der Frage der Berufsinformation. Welche Chancen gibt es da überhaupt noch? Wie kann jemand seine Zielvorstellung angehen? Regionale Kräfte müssen zusammenarbeiten und Schulabgänger und Schultypen genau prüfen, die Berufswünsche analysieren und so weiter. Was muß getan werden, um Betriebe in bestimmte Regionen zu bringen, oder jungen Menschen die Weiterentwicklung zu ermöglichen?

Auch die Schulpolitiker müssen sich Gedanken machen, was sind eigentlich für Maßnahmen notwendig. Wie schaut die Zukunftssaussicht aus?

FURCHE: Fordern Sie mehr Bildungslenkung?

VERZETNITSCH: Nein, ich bin für freien Zugang zu Bildungsmöglichkeiten. Aber hier sehen Sie schon, wie vielfältig das Problem ist.

FURCHE: Könnten Sie sich eine Art Solidaritätsabgabe für arbeitslose Menschen vorstellen?

VERZETNITSCH: Jeder Arbeitnehmer trägt ja ohnehin schon jetzt zur Arbeitsmarktsituation und zur Arbeitslosenversicherung etwas bei. Es ist ja Geld für Maßnahmen vorhanden. Wir sind erst vor kurzem wieder mit einer Erhöhung der Arbeitslosen-Versicherungsbeiträge konfrontiert worden. Die dient ja nicht nur dem Zweck der Auszahlung von Versicherungsleistungen, sondern auch für Umschulung, Betriebsunterstützungen und so weiter. Ich glaube, daß hier genug Solidaritätsleistung vorhanden ist. Ein Prozentpunkt mehr Arbeitslose kostet uns sechs Milliarden Schilling. Das ist frustierend für den Betroffenen und unproduktiv für die Wirtschaft. Dazu dauernd die Diskusssion inderÖffentlichkeit. Sind das jetzt Sozialschmarotzer oder sind sie es nicht?

FURCHE: Nun müssen Ihnen ja nicht nur unsere arbeitslosen Menschen Kopfzerbrechen bereiten, sondern auch das drohende Heer von beschäftigungslosen Menschen aus den Reformländern des Ostens. Rund 10.000 Manager wurden von unserer Wirtschaft zu Marktwirtschaftlern und kapitalistisch denkenden Menschen augebildet. Was macht der ÖGB?

VERZETNITSCH: Der ÖGB hat im Vorjahr 100 Kurse für Interessierte aus der CSFR, Ungarn und Polen durchgeführt- Das funktioniert in der Form, daß gewerkschaftliche Verbände unterschiedlichster Art ihr Anforderungsprofil schicken. Das reicht von Computer- und Bildungskursen bis hin zum Wissen, wie ein Abschluß von Kollektivverträgen zu machen ist, wie die Bewältigung von Streiksituationen und Konfliktbereinigung funktioniert. Wir haben ja das Problem, daß Gewerkschaften dort mit dem System ident gesetzt wurden und jetzt diskreditiert sind. Die Rolle der Gewerkschaften muß also erst neu definiert werden. Die durchschnittliche Zahl bei den Kursen liegt bei 30 Teilnehmern. 100 Kurse wurden allein im vergangenen Jahr abgehalten. Ausgegeben wurden dafür etwa 15 Millionen Schilling.

FURCHE: Abschließend noch eine ganz andere Frage. Was halten Sie vpn der neuen Wirtschaftspartei, die es Anfang Februar geben soll?

VERZETNITSCH: Wir beurteilen jede Partei danach, was sie für den Arbeitnehmer zu tun bereit ist. Da diese neue Partei sich demokratisch entwickeln wird, bin ich völlig offen.

FURCHE: Haben Sie keine Angst vor einemSpiegeleffekt? Hier formiert sich eine Partei, die mehr Leistungsdenken in der Wirtschaft fordert. Auf der anderen Seite könnten sich doch auch Unzufriedene formieren, denen der ÖGB zu zahm geworden ist?

VERZETNITSCH: Ich werde trotzdem dann nicht den Generalstreik jeden Tag ausrufen, nur um journalistische Schlagzeilen zu bekommen. Entscheidend ist doch die Bilanz. Jeder Österreicher nimmt zur Kenntnis, daß sich im Jahresschnitt zwischen 500 und 700 Kollektivverträge bewegen, ohne daß sie sich anstrengen müssen. Sollen wirjetzt einen Wirbel machen, nur um nicht als braver ÖGB zu gelten? Und so leistungsfeindlich sind wir doch auch nicht. Die Frage für uns ist nur, wie verteilen wir den Erfolg dieser Leistung. Wir werden uns jedenfalls auf einen neuen Wirtschaftspartner einstellen.

Das Gespräch,mit ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch führte Elfi Thiemer.

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