6826179-1974_13_09.jpg
Digital In Arbeit

Jugend allein ist nicht abendfüllend

Werbung
Werbung
Werbung

Ich erinnere mich noch mit Vergnügen an eine Diskussion im Fernsehen, in welcher unser Direktor Stoß von der Josefstadt einem Münchner Dramaturgen, der sich mit Eierkopf, Glatze und Hornbrille kostümiert hatte, auf dessen Vorwurf, daß man in Wien viel zu viele altmodische Stücke gäbe, kurzerhand erwiderte: „Wir können's uns eben nicht leisten, wie in Deutschland vor leeren Häusern zu spielen“. Ja, vielleicht wäre es sogar richtig, auch unsere Theater überhaupt nicht zu subventionieren. Denn wohin unsere viel zu vielen Subventionen führen, merkt man am deutlichsten am Burgtheater. Doch auch in Deutschland wächst, in den nur spärlich mit Publikum gefüllten Zuschauerräumen, die Erbitterung über die vergeudeten Abende. Es geht einfach nicht an, daß Leute, die den ganzen Tag lang zu tun gehabt haben, von andern Leuten, die den ganzen Tag lang nichts zu tun gehabt haben, als progressive Stücke zu schreiben, autobusweise in die Theater gefoppt werden und dort nicht wissen, ob sie lachen oder weinen sollen. Das hieße ja die Kunst, und vor allem die Kunst der Dramatik, insofern' sie überhaupt eine ist, viel zu wichtig nehmen. Dramatik ist, wenn nicht ausschließlich, so vor allem ein Handwerk, das beherrscht sein will. Am meisten verstehen von diesen Dingen Günter Grass, der erfreulicherweise imimer weiter in die Mitte rückt, und unser Peter Turrini, der schon dadurch dazu prädistiniert ist, ein anständiger Handwerker zu sein, als er ursprünglich das Möbeltischlerhandwerk seiner Familie erlernt hat und sich vor allem auf die Holzeinlegearbeiten versteht, von denen ein guter Teil des Stifter-schen „Nachsommers“ handelt; und Ibsen war überhaupt Apotheker, das heißt er verstand es, Bühnenwirkungen gleichsam mit der Apothekerwaage nicht nur auszuwiegen, sondern auch auszu-wägen.

Denn gute Stücke schreiben sich nicht so leicht, wie man schlechte Stücke in den Zeitungen lobt. Ich erinnere mich noch, daß mir vor — ach wie langer — Zeit die Darvas erzählt hat, Molnär sei nachts immer wieder aus dem Schlaf aufgefahren, um sich Notizen zu machen, am Ende machte er dann aus einer enormen Anhäufung von Zettelchen ein Stück, und während der Uraufführung, die zumeist in der Josefstad't stattfand, ging er in der Josef-städterstraße auf und ab, trank immerzu aus einer Hip-Bottle, und fortwährend mußten reitende Boten aus dem Theater kommen und ihm melden, ob die Leute lachten oder nicht... Er nahm's eben noch ernst; und auch noch später, etwa unter Hofrat Lothar, sah man nicht nur im Zuschauerraum, sondern auch auf der Bühne gutgekleidete Frauen und Bediente servierten den Helden, deren Anzüge von Kniäe nichts zu wünschen übrigließen, Cocktails. Kurz, das Theater war erfüllt von einer Atmosphäre von Opulenz und Wohlbehagen, wie man sie eben am Abend zu erleben wünscht, wenn man den ganzen Tag nicht gewußt hat, wovon man seine Rechnungen bezahlen soll.

Denn — um es nochmals zu betonen — ein Theaterstück ist kein eigentliches Kunstwerk wie etwa ein Gedicht, sondern ein Gebrauchsgegenstand, und dieses Umstandes war schon Shakespeare gewiß, bei dem auf die Szene, wo der König von England vor der Schlacht von Azincourt im Lager umhergeht, um zu hören, was sich seine Leute von der mehr oder weniger idiotischen Weltpolitik überhaupt denken, die Sache mit der jugendlichen Gans folgt, welche Französisch lernt: das erstere ist eine der größten Szenen des Theaters überhaupt und daher immer noch nicht als solche erkannt, und das letztere ist eine der albernsten Konzessionen an die Lachfreudigkeit des Publikums. Fällt uns denn nicht auf, daß Shakespeare, seit er „in die Rente“ gegangen war, kein wie immer geartetes Stück mehr geschrieben hat, ja, daß er selber niemals eines seiner Stücke, sondern bloß seine Gedichte hat drucken lassen, daß seine Stücke samt und sonders nicht von ihm allein, sondern daß sie Überarbeitungen fremder Stücke sind, und daß der „Sturm“, vielleicht wirklich van ihm, beim Publikum nie richtig ankommt!

In unseren Tagen erst hat sich eine Schar junger Künstler auf das Theater gestürzt, schreibt Stücke, überarbeitet Stücke, inszeniert und verinszeniert sie. Was Wunder, daß dem Theater nicht mehr gegeben wird, was des Theaters ist, beziehungsweise sein sollte! Was Wunder, daß sich das, was von Kritikern, die von der Vergangenheit nichts mehr wissen, „Nostalgie“ genannt wird, mehr und mehr des Theaters wie-derzubemächtigen beginnt! Ich denke noch mit Vergnügen an den Umstand zurück, daß, als meine alte „Ollapotrida“ im Winter 1926/27 in Frankfurt uraufgeführt wurde, weil ich damals den Kleistpreis bekommen hatte, daß der zu jener Zeit schon viel berühmtere Kleistpreisträger Bert Brecht vom Jahr 1925 mit einem Einakter hinterdrein kam, in welchem sich ein junges Ehepaar alle Möbel selbst gezimmert hatte und immerzu damit zusammenbrach. Aber aus dem erwarteten Rahmabschöpfen Brechts wurde nichts, nach dem Jubel über die Ollapotrida folgte ein Gepfeife über die Hervorbringung des jetzt hoffentlich selig oder vielleicht auch nicht sonderlich selig Gewordenen, denn verdient hatte er sich ja die Seligkeit nicht, und für uns andere alle war er zwar ein lyrisches, aber kein dramatisches Genie, kurzum: als Vorläufer des heutigen progressiven Theaters konnte er uns schon damals nicht imponieren, und das beste, was wir aus ihm machen kannten, war, daß wir über seine politischen Überzeugungen herzlich lachten. Er war ein guter Kamerad und, wdder seinen Willen, ein großartiger Lyriker, aber seine Stücke... passons lä dessus, ob es nun dem eingangs erwähnten Glatzkopf aus München paßt oder nicht...

Eins ist sicher: So wie man's jetzt versucht, geht's nicht weiter, Kellertheater allein machen einen nicht fett, Genialität hin, Genialität her: Tantiemen sind schließlich Tantiemen, ohne sie lebt man schlecht, und alles in allem: Res venit — wieder einmal — ad tria-rios...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung