6843900-1976_08_01.jpg
Digital In Arbeit

Keine süßen Powidltatsdikerln

Werbung
Werbung
Werbung

Vor Bruno Kreisky besuchten drei österreichische Bundeskanzler die Tschechoslowakei: Renner 1920, Schober 1921 und Schuschnigg 1936. Kreiskys Normalisierungstour setzt eine Zäsur nach einer jahrzehntelangen Mißtrauens- und Verstimmungsperiode und ist ein wichtiges Element der Außenpolitik.

Die Verbesserung der Beziehungen zwischen den Nachbarländern geht auf den 19. Dezember 1974 zurück, als der tschechoslowakische Außenminister, Bohuslav Chnoupek, Wien besuchte, um das Wiedergutmachungsabkommen zu unterzeichnen, das 1,2 Milliarden Schilling Entschädigung für Österreicher vorsah, deren Eigentum in der CSSR nach dem Zweiten Weltkrieg konfisziert wurde. Damals, 1948, gingen Prags Kommunistenführer brutal vor, sie enteigneten alle deutschsprachigen Untertanen, sogar die Liechtensteiner und die Schweizer. Das enteignete österreichische Eigentum wurde auf 12 Milliarden Schilling geschätzt.

Während des „Prager Frühlings“ schien eine Lösung nahe. Die Sowjetinvasion hat jedoch die seit Juni 1968 intensivierten Verhandlungen unterbrochen. Nur im April 1971 fanden fünftägige Verhandlungen erfolgreich wieder statt, die im Juni desselben Jahres fortgesetzt wurden. Nachdem die „Arbeiter-Zeitung“ sich über den Zickzackkurs der Husäk-Regierung mißfällig geäußert hatte, wurden die Besprechungen unbefristet vertagt. Dazu kam ein Grenzzwischenfall im Mai 1972, der tschechischerseits als willkommener Anlaß für Untätigkeit benutzt wurde.

Ein Jahr später traf Außenminister Rudolf Kirchschläger in Preßburg seinen tschechoslowakischen Ressortkollegen. Im Juni 1973 hatten Kirchschläger und Chnoupek ein zweites Treffen in Linz, dessen Ergebnis im Juli 1973 zunichte gemacht wurde. Ein österreichisches Privatflugzeug verirrte sich über die Grenze und wurde von einem tschechischen Jäger abgeschossen; der Pilot und der Fahrgast bezahlten mit dem Leben. Gegenseitige Proteste, aber keine Entschädigungsverhandlungen, folgten. Wien verlor die Geduld und rief seinen Botschafter aus Prag zurück. Die Beziehungen waren auf dem absoluten Tiefpunkt seit 1945.

Aber seit einiger Zeit wurde sichtbar, daß für die Tschechoslowaken die Intensivierung ihres Westhandels vor der Politik rangiert. 1960 betrug das Volumen des bilateralen Handels 466 Millionen Kronen. Erst 10 Jahre später kam eine enorme Steigerung: 1970 noch 1279 Millionen Kronen, 1974 sogar 2621 Millionen Kronen. Im Jahr 1975 wurden mehrere Handelsvereinbarungen erzielt und seit dem 1. Jänner 1976 genießt die CSSR volle Liberalisierung im Österreichhandel im Geiste der GATT-Prinzi-pien.

Enttäuschte Hoffnungen und falsche Starts hinderten jahrelang die Normalisierung der österreichischtschechoslowakischen Relationen. Die Maxime der Wiener Ostpolitik lautete: „Keine Normalisierung ohne Kompensation!“

Wien verstand die tschechoslowakische Weigerung um so weniger, als mit den anderen sowjeteuropäischen Ländern längst ähnliche Kompensationsabkommen ausgehandelt werden konnten: 1964 mit Bulgarien; 1965 mit Rumänien; 1967 mit Ungarn und 1970 mit Bulgarien;

1965 mit Rumänien; 1967 mit Ungarn und 1970 mit Polen. Der Wert des konfiszierten österreichischen Vermögens in der CSSR war jedoch wesentlich höher als in den anderen osteuropäischen Staaten. Natürlich wollte sich Prag billig aus der Affäre ziehen und man spielte lange auf Zeitgewinn und Zermürbung der Wiener Geduld. Die Bundesregierung ließ wissen, daß sie nicht geneigt sei, die berechtigten Forderungen für einen Teller Linsen zu verkaufen. Sie konnte die 90.000 registrierten Antragsteller nicht als Quantite negligeable behandeln.

Die tschechoslowakische „Zeitstrategie“ war aber auf Aushungern gerichtet und gewissermaßen auch vom politischen Mißtrauen diktiert. In Prag war man ja von Wiens Neutralitätspolitik nie besonders begeistert. Man schreckte in Prag sogar vor der politischen Denunziation nicht zurück. Besonderes Aufsehen erregte der „Tribuna“-Artikel vom 3. Oktober 1973: „Österreich: eine neutrale Barriere in Mitteleuropa?“, in dem folgende Behauptungen zu lesen waren: „Nicht nur Touristen, sondern auch Diplomaten und Soldaten der NATO-Staaten und die Mitglieder ihrer Geheimdienstorganisationen zeigen ein Interesse für dieses Land, das direkt an die Länder des sozialistischen Lagers grenzt.“ Österreich befindet sich „in einer vasallenähnlichen Position dem Gemeinsamen Markt gegenüber“ und „die ausländischen Monopole und das Fremdkapital penetrieren ständig die österreichische Wirtschaft... Österreichs Territorium ist geeignet für militärische Operationen, schnelle Bewegungen eingeschlossen“.

Auch zur Zeit der „Entspannung“ und des Endes der „Dritte-Mann-Psychose“ hörten die tschechoslowakischen Massenmedien nicht auf, die Öffentlichkeit daran zu erinnern, daß die kapitalistische Welt an der österreichischen Grenze beginnt.

Zwischen den Schreckgespenstern für Prager Parteiführer rangiert daher die „westliche ideologische Subversion“ noch immer in der ersten Reihe. Seitdem die ORF-Sendungen in Wort und Bild in der CSSR empfangen werden, ist die Nervosität in der Prager Parteiführung noch größer geworden, genährt von solchen „Provokationen“ wie dem ORF-Interview mit dem geflohenen tschechischen General Jan Sejna, der verriet, daß gewisse Kontingente des Warschauer Militärpaktes direkt für die Besetzung Österreichs trainiert und reserviert werden.

Von einer „soliden Entwicklung“ sprach man in „Rüde Pravo“ erst Anfang Dezember 1975, wies aber noch immer auf die „große Verantwortung“ der österreichischen Massenmedien hin.

Man sollte sich nicht in rosa Wolken des Politillusionismus verirren. Die Prager Annäherung ist vor allem durch den Wunsch nach Erweiterung des Westhandels motiviert. Seit Ende 1975 ist die tschechoslowakische Diplomatie ernstlich bemüht, die meterdicken Wände der internationalen Isolierung zu durchbrechen. Da diese Wände aus Mißtrauen, schlechter Erfahrung und nicht aus süßen Powidltatsdikerln gebaut worden sind, haben Prags Diplomaten im UNO-Hauptquartier und in Washington kein leichtes Spiel. Die Sowjetinvasion im Jahre 1968 hat nämlich eine nachhaltigere Wirkung, als man gedacht hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung