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Kurt Diemans Austro-Seop

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Noch vor den Maiwahlen, die das Aufkommen eines erfrischenden Mailüfterls in Österreich unterbanden und eine Reihe verfrühter Hundstage einleiteten, hatte der österreichische Adenauer (Bruno Kreisky) zu einer Jugendkonfrontation über Fragen des Neofaschismus geladen: ohne Frage ein wichtiger staatspolitischer Akt, vor allem im Hinblick auf die parteipolitisch nützliche Neoentdeckung der „Nazigefahr“ durch die sozialistische Wahlpropaganda.

Jetzt, nach der Wahl, berichtet die >rArbeiterzeitung“ ausführlich über diese Konfrontation, an der von erwachsener Seite die Ge-schichtsordinaria Erika Weinzierl, der Unterrichtsminister Fred Sinowatz und der hochverdiente Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Herbert Steiner, teilnahmen.

„Weinzierl verwährte sich“, heißt es dazu in der „AZ“ „gegen Versuche eines Vertreters des Mittelschülerkartellverbandes, Geschichtsmanipulation zu betreiben. Dieser junge Mann versuchte Faschismus und Anschlvßgedan-ken, der auch von prominenten Sozialisten der Ersten Republik vertreten wurde, zu vermengen und meinte dann, daß der Faschismus eine Sozialrevolutionäre Bewegung gegen das Bürgertum gewesen sei. Nicht alle, die 1938 für den Anschluß gewesen sind, waren Nazi, sagte Weinzierl dazu und führte Karl Renner und Kardinal Innitzer an, und als sozial-revolutionäre Bewegung könne man den Faschismus angesichts der Tatsache, daß der Großkapitalismus in die Kriegswirtschaft eingebaut wurde, auch schwer bezeichnen.“

Soweit der Bericht. Davon ausgehend, daß die AZ richtig referierte, kann man der Ordinaria für diese Reflexion keine galante Reverenz erweisen.

Weder Renner noch Innitzer waren natürlich Nazis. Für den Anschluß war aber nur Renner- und das schon 1918, nicht erst zwanzig Jahre später, als er sich, da die Märzveigerln sprossen, den Ein-marschierern als Huldigungsbarde aufdrängte. Bekanntlich hatte der zweifache Staatskanzler, dem Österreich einiges verdankt, eine literarische Ader, die schon im Text zur Hymne der Republik Deutschösterreich zum Fließen kam: ein wenig schwülstig

(was Renner-Art war) und von Wilhelm Kienzl vertont, der auch kein Nazi, aber ein glühender Antisemit war. Letzteres vermochte ihn nicht daran zu hindern, die Worte der Bergpredigt in ergreifender Weise zu veropern: „Selig sind, die Verfolgung leiden...“

Nur um Verfolgung von seiner großen Gemeinde, der katholischen Kirche Österreichs, abzuwenden, war dann Kardinal Innitzer für den Anschluß: aber -wohlgemerkt'. - erst, als dieser mit Militärgewalt vollzogen war. Vorher war er, wie alle österreichischen Bischöfe, ein eifriger Verfechter der Unabhängigkeit Österreichs, ein Patriot von der Inful bis zu den Pontifikälschu-hen, die leider aus der Kirchenmode gekommen sind.

Diese Hingabe an die österreichische Idee, die neben den Sozialenzykliken die Grundlage des Ständestaates bildete, drängte die Bischöfe zu ihrem umstrittenen Schritt im März 1938, der nur aus solcher historischer Sicht zu erklären und zu begreifen ist.

Was aber die Sozialrevolutionären Züge des Nationalsozialismus anbetrifft, scheint der Mittelschüler Wesentliches erkannt, die Hochschulprofessorin aber übersehen zu haben: Natürlich war der Nationalsozialismus auch eine „Sozialbewegung“, wenn auch eine irregeleitete, von falschen Voraussetzungen ausgehende und mit ihrer Entwicklung immer mehr mißbrauchte. Anders wäre ihr Erfolg nicht zu verstehen!

Auch heute mischen sich in neonazistische Strömungen soziale Tendenzen wie Forderungen nach einfacherer Lebensweise, Umweltschutz, Abwendung der Atomgefahr usw. ein. Wer das übersieht, übersieht wesentliche Motivationen einer möglicherweise wieder ernst werdenden Gefahr.

Das „Austroscop“ ist eine politische Kolumne, die durch Provokation zum Denken anregen soll. Die einzelnen Formulierungen des Autors müssen sich nicht mit den Auffassungen der Redaktion decken.

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