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Peking warnt

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Außenminister Kissingers jüngste Reise nach Peking galt in erster Linie der Vorbereitung eines Besuches Präsident Fords in der Hauptstadt Rotchinas. Aus dieser Vorbereitungsreise wurde jedoch ein gegenseitiges Pulsfühlen und Aushorchen. Man wollte feststellen, ob die Grundlagen, auf denen der Modus vivendi zwischen Peking un,d Washington beruht, noch existieren. Kissinger hat die rotchiriesische Hauptstadt mit dem Gefühl verlassen, daß die Beziehungen noch intakt seien, daß sie aber verstärkter Pflege und einer Interpretation der amerikanischen Einstellung zu den verschiedensten internationalen Problemen bedürfen.

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Außenminister Kissingers jüngste Reise nach Peking galt in erster Linie der Vorbereitung eines Besuches Präsident Fords in der Hauptstadt Rotchinas. Aus dieser Vorbereitungsreise wurde jedoch ein gegenseitiges Pulsfühlen und Aushorchen. Man wollte feststellen, ob die Grundlagen, auf denen der Modus vivendi zwischen Peking un,d Washington beruht, noch existieren. Kissinger hat die rotchiriesische Hauptstadt mit dem Gefühl verlassen, daß die Beziehungen noch intakt seien, daß sie aber verstärkter Pflege und einer Interpretation der amerikanischen Einstellung zu den verschiedensten internationalen Problemen bedürfen.

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Zunächst einmal wurde bei diesem Besuch wieder klar, daß die Bühne, auf der sich heute Weltgeschichte abspielt, das Dreieck Washington-Peking-Moskau ist. Alle anderen sind periphere Schauplätze. Auch dann, wenn sich dort so virulente Konflikte abspielen wie jener im Mittleren Osten, wie der Konflikt im Mittelmeerraum zwischen Griechenland und der Türkei, oder wie die Krisen in anderen Weltteilen, etwa in Afrika oder Lateinamerika. Freilich werden die Hauptdarsteller in ihren Beziehungen zueinander danach beurteilt, wie sie sich auf diesen Nebenbühnen verhalten. Aber für die Zukunft des Globus ist es ausschlaggebend, was sich in den drei Hauptstädten der Supermächte abspielt, und nur sekundär, was in Lissabon, Belgrad oder Kairo geschieht.

Für Peking ist es wichtig, ob sich Washington Moskau genähert hat, und für Moskau ist Chinas wachsendes Interesse an europäischen Problemen beängstigend. In Washington wieder zerbricht man sich den Kopf darüber, ob die Spannung unter den beiden kommunistischen Supermächten gewachsen ist und ob sie einen echten Faktor darstellt, auf den sich die amerikanische Außenpolitik verlassen kann.

Immer wieder wurde Kissinger in Peking nach der eigentlichen Ber deutung des Wortes „Detente“ gefragt. Er antwortete, in Anlehnung an jenen berühmten Ausspruch des Bundeskanzlers Raab, daß es sinnlos sei, dem russischen Bären auf den Schwanz zu treten, indem er außerdem unterstrich, daß man sich in den USA sehr wohl der sowjetischen Gefahr bewußt sei, daß man aber lieber Gemeinsames herausstreiche, als Trennendes zu dramatisieren. Worauf die Chinesen antworteten, der Weg zum Dritten Weltkrieg sei sowieso unvermeidbar, es sei daher besser, den Realitäten heute schon ins Auge zu schauen. Was die Chinesen offenbar nicht verstehen, ist der Hang der westlichen Welt, den Kopf in den Sand zu stecken.

So etwa,weigerte sich die österreichische Wählerschaft kürzlich, den wirtschaftlichen Realitäten ins Angesicht zu sehen, und die amerikanische Gesellschaft weigerte sich, die Konfrontation mit dem Kommunismus als Realität zu akzeptieren. Man weiß zwar ganz genau, daß die Konfrontation droht, aber man möchte wegschauen, man möchte vor allem vermeiden, aus der Situation Konsequenzen ziehen zu müssen. Denn Konsequenzen ziehen, hieße Opfer bringen, den erreichten Lebensstil ändern, neue Prioritäten setzen.

Statt dessen, so kritisieren die Chinesen, schließt man Waffenbeschränkungsabkommen, von denen man ab ovo weiß, daß die Sowjets sich nur dann an sie halten, wenn es ihnen gerade paßt, und man sucht sich durch Lieferungen hochwertiger technologischer Produkte, vor allem von Lebensmitteln, der Konfrontation zu entziehen. Man versucht, sich von den Konsequenzen freizukaufen. Diese amerikanische Haltung wird von den Chinesen kaum verstanden. Eine Nation, deren gesamte Existenz auf die Verneinung der individuellen Bestrebungen abgestellt .ist, wird für die amerikanische Haltung kaum Verständnis aufbringen. Wesentlicher ist für Peking aber, daß die amerikanische Schwäche dem sowjetischen Antagonisten zu Hilfe kommt und die Waage zuungunsten der rotchinesischen Interessen belastet. Was ist das für ein Dreieck, dürfte man sich in Peking fragen, in dem die beiden anderen Punkte immer näher aneinander rücken? Peking ist daher nicht an einem schwachen Amerika, einem „Papiertiger“ oder an einem in Dekadenz zerfallenden Westen interessiert. Peking braucht starke Vereinigte Staaten, eine glaubwürdige NATO, ein funktionierendes Europa. Es gibt unzählige Beweise dafür, daß Peking versucht, dem Westen zu helfen, weil es dadurch den Druck von seinen eigenen Grenzen abhält. Daß es in Asien nach dem Vietnamdebakel keine weiteren fallenden Dominosteine gab, kann nur dem Einfluß Pekings in Nordkorea zugeschrieben werden.

Daß Peking heute nicht auf dem Einkassieren der Nixon-Zusagen hinsichtlich Taiwans besteht, kann damit erklärt werden, daß weitere Gesichtsverluste Washingtons in Asien und überhaupt, nicht im Interesse Pekings liegen. Die „Bloßstellung“ der italienischen Kommunisten bei ihren Bemühungen, im Westen salonfähig zu werden, sind verzweifelte Versuche Pekings, den Westen vor dem wachsenden sowjet-kommuni-stischen Einfluß zu warnen. Die Empfangsgesten gegenüber konservativen Parteiführern Großbritanniens und Deutschlands sind Signale der Sympathien Pekings und freilich fruchtlose Versuche, den Westen vor dem Abgleiten in den sowjetischen Machtbereich zu bewahren. Diese Gesten sind freilich nicht selbstlos, aber sie wollen das Gleichgewicht im Dreieck wiederherstellen, da,s sich immer stärker und immer schneller nach Moskau hin verschiebt.

Es besteht kein Zweifel, daß Kissinger diese Winke mit dem Zaunpfahl verstanden hat Aber was kann er, und was kann sein Präsident tun? Außenpolitik in einer Demokratie ist gleichbedeutend mit dem Vertreten allgemeiner Interessen und die amerikanische Öffentlichkeit will ihre auf einen möglichst hohen Lebensstandard bin orientierten Interessen verteidigt wissen. Das Ergebnis einer solchen Art von Interessenvertretung heißt eben Detente.

Was aber noch gänzlich unklar bleibt, ist die Besetzung der Rollen in diesem Spiel der Mächtigen. Spätestens gegen Ende 1976 wird es zu einem Wechsel der Hauptdarsteller in Moskau kommen und die Führung in Peking dürfte auch bald wechseln. Das Generationenproblem macht auch vor dem Kommunismus nicht halt. Obwohl es in der Demokratie ständigen Wechsel gibt, scheint dagegen die Lage in Washington noch am stabilsten zu sein. Auch wenn Präsident Ford in Washington 1976 abgewählt werden sollte, kann sein Nachfolger keine andere Außenpolitik machen, als er es tat. Eher eine noch schwächere gegenüber Moskau, denn Stärke kostet immer Geld und Opfer und davon wollen die westlichen Wähler nichts hören.

Wird aber die neue Politikergeneration in Moskau sich mit Detente zufriedengeben? Wird man nicht Breschnjew zum Vorwurf machen, er habe die Schwäche des Westens unterschätzt? Wozu Technik und Lebensmittel kaufen, wenn man sie auch bekommen kann, ohne zu zahlen? Warum in Lissabon den berühmten leninistischen „Schritt zurück“ tun, wenn man dort doch Schritte nach vorne machen kann?

Und wozu ist dann Washington für Peking überhaupt noch von Nutzen? Wird die chinesische Führung nach Mao und Tschu-En-lai nicht gleich; auf Konfrontation mit Rußland schalten und sich auf den Dritten Weltkrieg einstellen, den sie sowieso für unvermeidlich hält?

Es sind gespenstische Perspektiven, die sich aus diesem Besuch Kissingers in Peking ableiten lassen. Sie werden vermutlich während des Besuches Präsident Fords in einigen Wochen noch mehr dramatisiert werden. Man wird die Schüsse vor den Bug des Westens dm Sinne der Interpretation Moskaus als Friedensstörung abtun. Aber vielleicht wird Pekings Warnung den Westen zwingen, doch einmal genauer hinzuschauen und nicht immer wegzu-schauen.

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