6878390-1978_51_12.jpg
Digital In Arbeit

Protest gegen anonyme Diktatur des Habens

Werbung
Werbung
Werbung

Einfacher leben“ wurde von der letzten Bischofskonferenz als Leitsatz ausgegeben. Wie steht es damit in den Orden?

Das Problem der Armut scheint in den Erneuerungsbestrebungen der Orden eine untergeordnete Rolle zu spielen. Vordringlicher scheint die Frage der Nachwuchskrise und der Überalterung zu sein. Sie ist wenigstens vordergründiger.

Nicht weniger vordringlich ist das Problem der äußeren Anpassung an die Erfordernisse der modernen Gesellschaft. Diese hat in den Orden länger als anderswo nicht stattgefunden, und so klaffte die Lebensform der Orden und die der Welt vielfach weit auseinander. Während die Gesellschaft sich von der patriarchalischen Lebensform schon längst zur modernen, demokratischen entwik-kelt hatte, erhielten sich in den Orden bis in die jüngste Zeit viele Elemente der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur. Durch das Zweite Vatikanische Konzil kam aber vieles in Bewegung. Das Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens setzte klare Akzente. Heute sind die Verfassungen der Orden im Geiste des Zweiten Vatikanums erneuert, und ein zeigemäßer Führungsstil und Lebensstil sind schon weithin verwirklicht.

Spielt also die Frage „einfacher leben“ keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle in der Erneuerung der Orden? Keineswegs!

Es vollzieht sich zurzeit in den Orden ein Prozeß des Hineinwachsens in die Gesamtkirche und der Einwur-zelung in die moderne Gesellschaft (Inkulturation). Dieser Prozeß kann jedoch nicht am Reißbrett entworfen und diktiert werden; er ist, wie alles andere, ein Lebensprozeß. Er kann nur Schritt für Schritt vor sich gehen.

Mit der Anpassung an die heutige Gesellschaft ist auch die Gefahr gegeben, sich den Trends dieser Gesellschaft zu unterwerfen und von ihnen aufgesogen zu werden. Dies gilt nicht nur für die Orden, sondern für alle Christen. Hier setzt der innere Erneuerungsprozeß an. Die Armutshaltung spielt dabei eine dominierende Rolle. Wenn das christliche Leben in seinem Wesen Nachfolge Christi sein muß, dann ist es Aufgabe der Orden, diese Nachfolge in ihrer Radikalität nachzuleben. Besteht nicht in der modernen Konsumgesellschaft, die

das Christentum in seinem Nerv trifft, die Gefahr, das Evangelium zu verharmlosen, es in Stunden der Andacht gelten zu lassen, aber ihm keinen Platz mehr zu geben im Alltag? Besteht nicht die Gefahr des Pharisä-ismus, dem Jesus den^Campf bis in den Tod angesagt hat: äußere Werke der Frömmigkeit noch zu tun, aber innerlich genau so habgierig, hartherzig, ehrgeizig und machtgierig zu sein wie die Welt, die Christus vergessen hat oder leugnet?

„Protestfigur gegen die anonyme Diktatur des Habens“ nennt Johann Baptist Metz die Orden („Zeit der Orden“, Herder 1977). Durch die Besitzlosigkeit sollen die Orden zu dieser Protestfigur werden. Aufgabe der Orden ist es, mitten im modernen

Das Ringen um die Erneuerung der Orden vollzieht sich im Stillen trotz der täglichen Behinderungen und Bedrängnisse“

Wirtschaftsprozeß eine Lebensform zu entwickeln, die diesen Protest zum Ausdruck bringt. Es geht dabei nicht bloß um das soziale Engagement für die Armen, für die unterentwickelten Völker, auch nicht um eine Revolte gegen den bereits die Grenzen des Möglichen überschreitenden Industrialisierungsprozeß, der zur Zerstörung des Menschen und der Natur führen könnte, sondern um mehr. Es geht um das Reich Gottes. Es geht um das christliche Lebensideal, das höher ist als die bloß rationale Vermenschlichung der Welt

Was ist in dieser Hinsicht schon verwirklicht, was bleibt noch zu tun? Ordensleute, besonders Ordensfrauen, stehen in vielen Werken, die die Solidarität mit den Ärmsten der Gesellschaft zum Ausdruck bringen: Dienst an körperbehinderten und gehirngeschädigten Kindern, an sittlich gefährdeten Jugendlichen, an Lebensmüden und besonders auch an alternden Menschen. Viele Orden

tragen infolge der Überalterung das Leid, manche dieser Werke aufgeben zu müssen.

Um die Radikalität der Nachfolge und die Solidarität mit den Armen zum Ausdruck zu bringen,sind in vielen Ordenskonstitutionen Gesetze aufgenommen worden, die die Verwaltung der irdischen Güter nach sehr strengen Maßstäben neu ordnen, genaue Haushaltspläne verlangen und die Abgabe der Uberschüsse zugunsten Ärmerer fordern.

Dieser Prozeß ist im Gange. Es werden aber noch viele Überlegungen notwendig sein, um ihn überall sichtbar werden zu lassen. Die geschichtliche Entwicklung der Orden ist ja gerade in Österreich derart alt und mit der Vergangenheit tief verwachsen, daß, ohne einen abrupten Bruch zu wagen, der vieles zerstören würde, sehr vorsichtig und umsichtig überlegt werden muß. In vielen ordenseigenen Werken wie vor allem den höheren Schulen, den Krankenhäusern, spielt außerdem auch die Einflußnahme der staatlichen Verwaltung und Gesetzgebung eine so dominierende Rolle, daß der freien Initiative sehr enge Grenzen gezogen sind. Dadurch gestaltet sich die Neuordnung dieser Werke oft äußerst schwierig, ja sie ist vielfach schon zur Existenzkrise dieser Werke geworden.

Es mag oft äußerlich das Ringen um die Erneuerung der Orden wenig sichtbar sein, es vollzieht sich im Stillen trotz der alltäglichen Behinderungen und Bedrängnisse, trotz der traurigen Rückschläge, die die Orden in der nachkonziliaren Zeit erlitten haben.

Es vollzieht sich nicht bloß eine echte Bewußtseinsveränderung in den Einzelnen, sondern auch ein Wandel in den Werken, der nach außen hin allerdings noch wenig sichtbar ist. Wirkt die Verfassung der Wohlstandsgesellschaft auch in Bezug auf das Armutsideal bisweilen relativierend und leistet so der Verharmlosung des Christlichen Vorschub, so darf wohl festgestellt werden, daß sowohl hinsichtlich der Lebensform als auch hinsichtlich des Apostolates das „In der Welt, aber nicht von der Welt“ und der „Protest gegen die anonyme Diktatur des Habens“ in den Bemühungen der Ordensreform einen zentralen Platz einnehmen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung