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Quo vadis ÖCV?

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„Der ,Ideologiestreit' in der Farteizentrale der ÖVP, entbrannt am Thema Vietnam, endete mit Maßregelungen. Dem VP-Grundlagenforscher Diem wurde im Wiederholungsfall sogar die Kündigung angedroht. Diem hatte eine Absage an die US-Botschaft mit den .völkerrechtswidrigen Bombardierungen in Vietnam' begründet.“„Die anderen Gemaßregelten sind einige Mitarbeiter der Parteizentrale und der ,Chef der Jungen ÖVP', die gemeinsam mit Sozialisten einen Demonstrationsaufruf gegen die US-Politik in Vietnam unterzeichnet hatten.“„Beim Verfassungsgerichtshof muß ein neues Mitglied ernannt werden. Die ÖVP setzt sich für den ehemaligen Klaus-Sekretär Dr. Graff ein. Dr. Graff hat allerdings dadurch, daß er den Vietnamaufruf unterzeichnet hat, selbst bei der ÖVP Chancen eingebüßt.“(Aus Kommentaren österreichischer Tageszeitungen.)

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„Der ,Ideologiestreit' in der Farteizentrale der ÖVP, entbrannt am Thema Vietnam, endete mit Maßregelungen. Dem VP-Grundlagenforscher Diem wurde im Wiederholungsfall sogar die Kündigung angedroht. Diem hatte eine Absage an die US-Botschaft mit den .völkerrechtswidrigen Bombardierungen in Vietnam' begründet.“„Die anderen Gemaßregelten sind einige Mitarbeiter der Parteizentrale und der ,Chef der Jungen ÖVP', die gemeinsam mit Sozialisten einen Demonstrationsaufruf gegen die US-Politik in Vietnam unterzeichnet hatten.“„Beim Verfassungsgerichtshof muß ein neues Mitglied ernannt werden. Die ÖVP setzt sich für den ehemaligen Klaus-Sekretär Dr. Graff ein. Dr. Graff hat allerdings dadurch, daß er den Vietnamaufruf unterzeichnet hat, selbst bei der ÖVP Chancen eingebüßt.“(Aus Kommentaren österreichischer Tageszeitungen.)

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Ein wenig genüßlich agnosziert die liberale Publizistik diese und andere Beteiligte als CVer. Es ist bekannt, daß sich nicht nur katholische Farbstudenten, sondern auch farblose Angehörige katholischer Hochschulgemeinden mit der linken Linken zusammengetan haben, um zu unterschreiben und zu demonstrieren. Und daß der „Linkskatholizismus“ in vielen Teilen der Erde gleichermaßen reagierte. Aber das Signet CV eignet sich nun einmal besonders gut, um in Österreich bestimmte Tendenzen zu pointieren. Zumal Farbentragen einmal Farbe bekennen hieß. Jahrelang teilten hierzulande viele Intellektuelle die Kritik der Intellektuellen in Saigon, die sich weniger mit der Gefahr der kommunistischen Aggression auseinandersetzten, als mit den „eigenen“ Diktatoren, Militaristen, Kriegstreibern und politisierenden Katholiken. Auch über den unmenschlichen Terrorakten der Kampfverbände Ho Tschi Minhs schien noch immer ein Hauch warmer Menschlichkeit zu liegen. Jetzt, angesichts des Finales in Saigon, ist es freilich wieder an der Zeit, für die „freie Welt“ in die Bresche zu springen. Und was eignet sich besser zum Nachweis der eigenen Konsequenz, als dem ÖCV angesichts des Tuns der „Links-CVer“ eine grundsatzlose Inkonsequenz vorzuhalten. Wer weiß schon, daß es sich dabei im Verband der 10.000 um einige Dutzend handelt?

• Wien, Jänner 1973. Die linke Linke marschiert. Sie weiß warum sie marschiert und sie bringt ihre Forderung mit Spruchbänderparolen und Sprechchören klar zum Ausdruck: Sieg für die FLN. Also Siegfriede für die Truppen des kommunistischen Vietkongs und ihre Verbündeten aus der regulären Armee Nordvietnams. Die linke Linke weiß im Gegensatz zu ihren katholischen Mitläufern laut Günther Nenning, wie man eine solche Demonstration auf die Beine bringt, und sie ist, zumal von Ernst Bloch belehrt, warum in diesem Fall die Aggression der Kommunisten In Vietnam ein „menschenfreundlicher Kampf“ ist; ein Kampf im Dienst der „sozial-humanen Vernunft“, der „aktiv ohne Ausrede“ zu führen ist. Und warum die Gegner, nicht nur die USA, jedenfalls Verbrecher sind.

Während dieser Demonstrationszug der linken Linken und ihrer katholischen Mitläufer durch die Straßen zieht, legen Buchhändler den soeben ausgedruckten 5. Band des „Theologischen Taschenlexikons“ mit Beiträgen von Marxismus bis Pflichten in die Auslage. Der katholische Leser erfährt aus diesem Band, daß bisher ein großer Teil der christlichen Sittenlehre unter dem Einfluß Kants als bloße Pflichtenlehre dargestellt wurde. Dieser untunliche Einfluß sei erst durch die Phänomenologie und die theologische Neubesinnung des 20. Jahrhunderts korrigiert worden. Und der also in vieler Hinsicht entpflichtete Katholik erfährt weiters über die Beziehungen zwischen Marxismus und Christentum, was Werner Post folgendermaßen zusammenfaßte: es bleibt after all eine Differenz; ihre Vermittlung erscheint gegenwärtig möglich. Eher „praktisch“ als „theoretisch“.

Aber auch die fragliche theoretische Differenz haben laut Carl Amery (kritischer Katholik und Sozialist) fast alle „neueren Theologen“ zusammen mit „marxistischen Denkern wie Ernst Bloch“ wegeskamotiert. Nicht ganz zu Unrecht kann die linke Linke vom Kader ihrer katholischen Mitläufer sagen: marschiert im Geist in unsern Reihen mit. • Die geistig beweglichen und unruhigen „Jungtürken“ des ÖCV der sechziger Jahre sind heute meistens schon die Arrivierten des gesellschaftlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Lebens der siebziger Jahre. Sie krochen in die von den Alten Herren leergelassenen Schneckenhäuser der Apparate. Ihren vom Neopositivismus und Neo-marxismus aufgestachelten Kritizismus, namentlich die Kritik des Theismus, brachten sie von in- und ausländischen Hochschulen, insbesondere aus den in den sechziger Jahren zur Mode gewordenen „Gesprächen der Feinde“ heim in ihre Verbindungen.

Der Neomarxismus der Marx-Renaissance der sechziger Jahre hatte mit dem bodenständigen Austromarxismus wenig zu tun. Indessen war der Neopositivismus, laut Erich Heintel (Wien) Fundamentalphilosophie neuzeitlichen Denkens, hierzulande originär: Noch wehte an der Wiener Universität ein Hauch des geistigen Klimas, das Moritz Schlick (t 1936) weit über den „Wiener Kreis“ hinaus verbreitete; aus Kalifornien kam ein Nachhall der Aussage des 1936 aus Wien weggegangenen Rudolf Carnap (t 1970); und in Innsbruck begann in den fünfziger Jahren Wolfgang Stegmüller seine Lehrtätigkeit. In dem 1954 in Oxford geschriebenen Vorwort des Werkes „Mataphysik, Wissenschaft, Skepsis“ stellt Stegmüller fest: Das Problem der Metaphysik ist absolut unlösbar. Fast unbekannt blieb im Österreich jener Tage, was gleichzeitig neben anderen Physikern der aus Wien gebürtige Nobelpreisträger Wolfgang Pauli über das Zusammenstreben von Wissenschaft und Religion geschrieben hat. In den sechziger Jahren zog es vielfach den Geist nach links. Mit eine Rochade nach links lösten große Teile des Liberalismus den für die Ära Adenauer/ Erhard sowie Raab/Karnitz signifikanten Zusammenhalt und gingen, zumal in Kreisen der Intelligenz, die Allianz mit der linken Linken ein. „Vielleicht drei, vier, fünf Jahre empfand und handelte die Linke als Einheit. Der CDU-Staat hielt zusammen“ (Gerhard Szczesny, Rowohlt, 1971).

• Einige Alte Herren im ÖCV spürten diese Veränderungen, deren eigentlicher Charakter durch derbe Provokationen und anstößigen Ulk der Beat-Generation verdeckt war, schon frühzeitig. Vielleicht hoffte man aber, mit einem Appeasement über die verbandsinternen Spannungen hinwegzukommen und eine eklatante „Polarisierung im ÖCV“ zu vermeiden. War nicht schon oft der Verbandsgrundsatz IN DUBIIS LI-BERTAS haltbar gewesen, weil sich die beiden anderen Grundsätze: IN NECESSARIIS UNITAS und IN OMNIBUS CARITAS als unerschütterlich erwiesen? Und: entsprach auch die Öffnung nach links dem Geist Johannes XXIII., einer modernen Toleranz, dem sanften Gesetz des „Dialogs der Liebe“ und der wachsenden Bereitschaft zur Einigung in „praktischen“, vielleicht auch jener in „theoretischen“ Verschiedenheiten? Hatten sich nicht in der bereits legendären österreichischen Koalition christliche Demokraten und demokratische Marxisten schließlich doch wohl oder übel in einem Miteinander gefunden? Warum also die momentane Präsenz einer offenbar gerade modischen „Neuen Linken“ innerhalb des Verbands dramatisieren, wo doch Generationen von CVern die heilsame Wirkung der alten Weisheit des Studentenliedes erlebt haben: Einst wird es wieder helle / In aller Brüder Sinn. / Sie kehren zu der Quelle / In Lieb' und Treue hin.

Was die „alten Typen“ angesichts der Neuen Linken im allgemeinen nicht fassen konnten, war die Tatsache, daß es sich hier nicht um eine neue Folge des „Generationsproblems“ handelte, sondern um die „Umfunktionierung des Ganzen“ und also auch des ÖCV im Sinne des Neomarxismus. Das Neue kam größtenteils via BRD. Anfangs der sechziger Jahre hatten aber viele Stipendiaten aus dem ÖCV das neue Denken an den Universitäten der Ursprungsländer kennengelernt. Aus den USA und England heimgekehrt, wandten diese „.Jungtürken“ im ÖCV ihren Zorn gegen die Alten, aber auch gegen die vielfach schon arrivierten Angehörigen der ersten Erfolgsgeneration nach dem Krieg. Dem kühlen Rationalismus der Technokraten schleuderte sie ihren emotional gesteigerten „Ekel an der Überflußgesellschaft“ entgegen und die erklärte Absicht, die „Regeln eines betrügerischen und blutigen Spiels“ zu brechen. So wie um 1936 der Krieg in Spanien, schied um 1965 der Krieg in Vietnam die Geister. Nicht alle in den USA entstandenen Engagementgründe der Neuen Linken waren in Österreich anbringlich und Günther Nenning mußte sich um „stellvertretende Engagementgründe“ für Österreich bemühen. Ein Motiv zog aber auf beiden Seiten des Atlantiks: die Revolutionierung der Gesellschaft durch die Revolutionierung der Universität. • Im Oktober 1964 fand an der Universität von Kalifornien die Erstaufführung der Revolution der Studenten statt. Nach Hörerstreik und Massenverhaftungen wurde schließlich der Rektor der Universität zum Rücktritt gezwungen. Das damals verlautete radikale Forderungsprogramm des „Free Speech Movement“ (FSM) enthielt zum erstenmal so ziemlich alle Motive, die seither bei den verschiedenen Äußerungen des studentischen Protests auch in Österreich durchgespielt wurden: Abschaffung des Systems der Pflichtseminare, Noten, Gutpunkte in den Sozial- und Geisteswissenschaften (nicht in den Naturwissenschaften); Aufhebung aller Bestimmungen in Wohnheimen, die Besuchs- und Ausgehzeiten festlegen und ein Kontrollsystem darstellen, das geignet ist, die Studenten „untereinander zu spalten“; Einrichtung einer ständigen Vertretung der Studenten, die die Leitung der Universität wirksam mitbestimmt; Aufbau einer „Pädagogischen Fakultät“ (Hinweis: Projekt Klagenfurt), die das Grundstudium der Sozial- und Geisteswissenschaften übernimmt; Lernfreiheit: entweder Schlußprüfung auf „freiwilliger Basis“ oder Studienprogramm mit minimaler Anleitung“ der Studenten ohne Pflichtseminare, Noten und Gutpunkte; Rücktritt des amtierenden Rektors sowie der Beamten, die „eine geschickte Ablenkungstaktik anwenden“; Umbesetzung des Aufsichtsrates der Universität, am besiten durch Entlassungen und Erweiterungen.

Henry Miller hat dieses Forderungsprogramm getextet. Seine Lektüre erspart jene des Kalendariums der Etappen der Hochschulreform und der Studentenrevolution. 1967 hat dann Herbert Macuse die „Opposition der amerikanischen Jugend“ den Studenten der Freien Universität Berlin erläutert und in Zusammenhang mit der Interpretation des Neomarxismus die Revolution einer neuen Linken als eine „sexuelle, moralische, intellektuelle und politische“ ausgerufen.

• 1965 bereits waren Studierende des ÖCV bei der Präsentation des Gedankenguts der Neuen Linken anläßlich des Symposions zur 600-Jahr-Feier der Universität Wien in maßgebender Weise beteiligt. Ernst Bloch wurde damals in die Mitte dieses intellektuellen Happenings gestellt. Heribert Steinbauer arrangierte in den Dialogen die Fittings zwischen den aus der BRD geholten Interpreten einer neuer Wirklichkeit und dem an Ort und Stelle, vor allem von Friedrich Heer, ausgehenden parallelen Denken.

Anläßlich der nächsten Hochschülerschaftswahl stellte das Informationsblatt der ÖVP-Zentrale „Immer besser informiert“ (IBI) bereits das Leitbild einer „progressiven Mitte“, das Ziel einer „Umfunktionierung des ÖCV“ vor, mit der die reaktionäre, kapitalistische, imperialistische und konfessionelle Bindung seitens der Alten Herren beseitigt und die österreichische Linke „links überholt“ werden sollte. Bei einer der nächsten Hochschülerschaftswahlen trat schon die von Günther Nenning innerhalb des ÖCV geschaffene „Kritische Gruppe“ auf, die offen und ungehindert im ÖCV dafür eintrat, fortan links zu wählen.

• Wie nie zuvor erwies sich auch im ÖCV der sechziger Jahre eine „Wortmode“ als wirksames Mittel zur Machtergreifung einer Minorität. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat einmal abgedruckt, wie der progressive Kultusminister eines Landes der BRD diese Mittel anwenden will: „Man kann nun einmal nicht einfach eine ganze Lehrergeneration ausrotten und durch eine neue ersetzen. Aber: an jeder Schule ein halbes Dutzend junger Leute, die solch ein Kollegium in Bewegung bringen; die einfach mal den Aufstand proben. Die Masse der Kollegen weicht dann zurück. Einen Jungen kriegen sie noch klein, aber: wenn wirklich einmal sechs junge Leute in einer Konferenz einen tüchtigen Skandal produzieren, dann bricht der Wiederstand der Mehrheit zusammen.“ Ende des Zitats.

Und also nahm die Demokratisierung der Demokratie vielfach ihren Verlauf. Mit der „Neuen Sprache“ kamen die „Neuen Wahrheiten“ in die Verbindung. Das Couleur, äußeres Zeichen der Gesinnungsgemeinschaft, wurde in einer Verbindung als „Fetzen Textil“ erkannt. Theologische und philosophische Erkenntnisse, die nicht den Methoden des Neomarxismus oder einer rein mathematischen Logik standzuhalten schienen, waren „out“. Die europäische und zumal die österreichische Kulturtradition geriet fast ganz in den Mahlstrom des Amerikanismus der Technokraten und der Neuen Linken. Das Freundschaftsprinzip wurde nach den Methoden des herrschenden Psychologismus oft bis zur Unappetitlichkeit seziert. Wie gesagt: es handelt sich bei all dem nur um das Happening, das einige Dutzend vor dem schweigenden Auditorium der 10.000 aufführen. Aber dabei •kommen einmal mehr Jene recht, die wie Lenin die Haltung der Engagierten mit den Attentismus des „Rests“ vergleichen: „Die parteilosen Leute sind in der Philosophie ebenso hoffnungslose Stümper wie in der Politik.“

• Ist der ÖCV überhaupt noch zeitgemäß, hat er eine Zukunft? Der ÖCV ist zeitgemäß, weil die Krise im ÖCV Teil der Krise unserer Zeit ist und sein Zustand daher bedauerlich, aber zeitgemäß wurde. In ihm ereignet sich vor allem die aktuelle Krise des Religiösen im Ansturm der marxistischen und des bürgerlichen Atheismus; im ÖCV wird der Zustand des Politischen transparent, jene Unentschiedenheit im Transi-torium zwischen revolutionärem Anarchismus und rechthaberischer Reaktion; den Akademikerverband trifft die jetzige Krise der Wissenschaft, die verstümmelnde Wirkung eines positivistischen Wissenschaftsbegriffs besonders hart; und in einer Studentenverbindung ist kein Platz für jene Liegebetten der Psychiater, auf denen die Brüderlichkeit eines Männerbundes diagnostiziert wird.

Die Sanierung der Verbandssituation kann daher nicht durch Novellierungen der Satzungen und Geschäftsordnungen geschehen. Dazu reichen auch die Artikulationen der Wortmode, die momentane Effizienz der Formulierer, Texter und Stars aller Dialoge nicht aus.

Die gedachte Umfunktionierung richtet sich gegen eine Wahrheit, die in den wichtigen religiösen Bereichen ganz und gar ungeschichtlich ist und daher weder der Totalität marxistischer Geschichts- und Gesellschaftsauffassung unterworfen werden kann noch der neopositivistischen Kritik des Theismus. Der ÖCV bedarf für sein erstes und Fundamentalprinzip keines Ersatzes der Religion durch irgendeine Ersatzreligion oder Praxis ohne Religion, sondern einer tieferen Erfassung dessen, womit das Credo in einer Welt ohne Gott konfrontiert ist.

An einem anders gearteten ÖCV wären nicht einmal seine Gegner interessiert. Von jungen Menschen, die die Verfestigung im Glauben brauchen und suchen, ganz zu schweigen.

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