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Über Südafrika, Israel und Chile reden sie alle - aber die anderen?

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Ob fiir die internationale Menschenrechtspolitik das Jahr 1977 eine Episode sein wird oder der Anfang neuer Entwicklungen, kann noch nicht abgesehen werden. In der XXXIII. Tagung der UN-Menschenrechtskommission, die seit geraumer Zeit seismographisch menschenrechtliche Entwicklungen in der internationalen Politik vorzeichnet, sind die USA seit 60 Jahren (im Jahre 1977 jährt es sich zum

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Ob fiir die internationale Menschenrechtspolitik das Jahr 1977 eine Episode sein wird oder der Anfang neuer Entwicklungen, kann noch nicht abgesehen werden. In der XXXIII. Tagung der UN-Menschenrechtskommission, die seit geraumer Zeit seismographisch menschenrechtliche Entwicklungen in der internationalen Politik vorzeichnet, sind die USA seit 60 Jahren (im Jahre 1977 jährt es sich zum

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60. Mal, daß ein US-Präsident die Selbstbestimmung der Völker zum Grundsatz der US-Politik erhob, von dem allerdings Südtirol und die Deutschen Böhmens und Mährens nichts spürten) als Anwalt der Menschenrechte in der Welt aufgetreten. Carter selbst hat vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen diese Anwaltsfunktion der USA unterstrichen.

Die Initiative hat Erstaunen ausgelöst. Sie hat zwar Akzente in der Diskussion gesetzt, aber noch nichts begründet. Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hat seit 1970 das Recht, „Situationen“ zu prüfen, die eine große systematische Verletzung der Menschenrechte, so wie sie durch die Apartheidpolitik beispielhaft vorgezeichnet ist, erkennen lassen und über die aus glaubwürdigen Quellen berichtet wird.

Diese Befugnis der Menschenrechtskommission ist in einem juristisch geordneten Verfahren wahrzunehmen. Da sind vertrauliche Beratungen durchzuführen. Dennoch war die Weltpresse voll von Berichten über solche vertrauliche Beratungen.

Im Laufe der Jahre wurden der Menschenrechtskommission durch nichtstaatliche Vereinigungen (vor allem der Internationalen Juristenkommission, die im April dieses Jahres ihre Jahrestagung in Wien abhalten wird, und der Amnesty International) Berichte über massive Menschenrechtsverletzungen in Bolivien, in Brasilien, im Iran, in Uganda, in Nordirland, in Equatorialafrika, in Südkorea, in Indonesien, auf den Philippinen, in Malawi vorgetragen; ganz abgesehen von den in aller Öffentlichkeit behandelten Fällen der Apartheidpolitik, der Politik Israels in den von ihm besetzten Gebieten und Chile.

Die Kommission hätte die Befugnis, auf Grund solcher Berichte die entsprechenden Situationen „gründlich zu studieren“ oder „zu untersuchen“. In keinem Fall ist es aber dazu gekommen. In jüngster Zeit hat vor allem die Situation in Uganda Aufmerksamkeit erregt. Auch hier ist jede ernsthafte Befassung mit dieser Frage in den Vereinten Nationen abgebrochen worden. Der Außenstehende ist ratlos. Das Schweigen der Vereinten Nationen ist in den Interessenlagen der Mitgliedsstaaten begründet: Die kommunistische Staatengruppe wehrt sich gegen jedes nähere Befassen mit der Verletzung von Menschenrechten unter Berufung darauf, daß es eine innere Angelegenheit der Staaten sei, wie sie Menschenrechte achten sollten.

Lediglich die Apartheidpolitik und die Politik Chiles wird für eine so massive Menschenrechtsverletzung angesehen, daß die Vereinten Nationen darüber nicht schweigen dürfen; die starke Gruppe der sogenannten blockfreien Staaten und die südamerikanischen Staaten versuchen, ihre regionalen Mitglieder, die von den Vorwürfen der Menschenrechtsverletzung betroffen sind, möglichst zu schonen, und die westlichen Staaten haben nicht die Mehrheit, um den Dingen eine Wendung zu geben.

Das ist die Realität, die bis heute niemand zu brechen vermochte. Das Resultat ist, daß nur die allgemein an erkannten Situationen, die es gewiß in sich haben, vor den Vereinten Nationen öffentlich behandelt werden: Die erbarmungslose Apartheidpolitik, die Besatzungspolitik Israels, die Brutalität Chiles gegenüber politischen Opponenten.

Gewiß, alle diese Situationen bieten genug Anschauungsmaterial und weisen auf die vielen Saiten des UN-In- strumentariums hin. Doch sie tragen den Vereinten Nationen bei uns zulande den Vorwurf der Einseitigkeit ein. Diese Einseitigkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Aber deshalb zu sagen, die Situationen gehörten nicht untersucht, wäre in jedem Falle opportunistisch, wenn man von den internationalen Beziehungen absieht und die betroffenen Menschen in Rechnung stellt.

Was ist zu tun?

Die Anstrengungen der Regierungen (ich meine, die höchste Ebene des Staates) müssen vervielfacht werden; da genügt es nicht, da und dort ein schönes Wort zu sagen; die Vereinten Nationen müßten auch organisatorisch ihre Instrumente schärfen. Die Presse muß ihre Leserschaft unter einer eigenen, immer wiederkehrenden Rubrik „Menschenrechte in der Welt“ laufend informieren.

Ich spreche hier von den internationalen Problemen. Was für diese Ebene billig ist, muß im nationalen Bereich recht sein: Auch Österreich hat seinen menschenrechtlichen Alltag zu bewältigen, der vor den Gerichten, den Kliniken, den Gefangenenhäusern, in Presse und anderen Manifestationen tagtäglich sichtbar ist: Österreich hat die ihm anvertrauten Volksgruppen zu sichern und seinen Schutz gegenüber der Südtiroler Volksgruppe auszubauen.

Österreich - als Mitunterzeichner der Helsinki-Dokumente - kann den menschenrechtlichen Geschehnissen in anderen Staaten, die sich auf den Korb 3 eingeschworen haben, nicht gleichgültig gegenüberstehen. Doch ist alles das nur sinnvoll, wenn das Volksbewußtsein für die Menschenrechte geweckt wird. Manchmal wird übersehen, daß die Menschenrechte keine bedingungslose Freiheit proklamieren, sondern auch Pflichten in sich schließen. Jedem Recht entspricht in gewissem Sinne auch eine Pflicht. Die politische Bildung muß diese Dinge bewußt machen, damit man die Geschehnisse in den Vereinten Nationen besser verstehen kann.

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