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IMPULSE, DIE VON WIEN AUSGEHEN

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Die jüngsten Auseinandersetzungen über Menschenrechtsfragen haben deutlich gemacht, daß nach Ende des Ost-Westkonflikts die Festigung eines einheitlichen menschenrechtlichen Welt- und Wertverständnisses noch ein Ziel in weiter Ferne ist. Die viel beschworene „internationale Staatengemeinschaft” erscheint in dieser Hinsicht als Fiktion.

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Die jüngsten Auseinandersetzungen über Menschenrechtsfragen haben deutlich gemacht, daß nach Ende des Ost-Westkonflikts die Festigung eines einheitlichen menschenrechtlichen Welt- und Wertverständnisses noch ein Ziel in weiter Ferne ist. Die viel beschworene „internationale Staatengemeinschaft” erscheint in dieser Hinsicht als Fiktion.

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In Wirklichkeit prallen gegenwärtig mit neuer Heftigkeit gegensätzliche Menschenrechtskonzepte aufeinander und zwar vornehmlich in der Nord-Süd-Relation, die in sich sogar die Gefahr bergen, daß bislang als allgemein anerkannte Grundsätze wieder in Zweifel gezogen werden. Ein Beispiel hiefür liefert etwa die heftig geführte Diskussion über die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte im Verhältnis zu regionalen Menschenrechtskonzepten. Für Konfliktstoff sorgen auch so kontra versiell behandelte Themen wie das Recht auf Entwicklung, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und als Dauerbrenner das Verhältnis der individuellen zu den kollektiven Rechten.

Weitere Schwierigkeiten bereiten politische Probleme, die als Menschenrechtsfragen vorgetragen werden. Auch wird sich trotz aller Zusicherungen, daß die Konferenz ausschließlich grundsätzliche Themen behandeln soll, nicht verhindern lassen, daß die Menschenrechtslage in bestimmten Ländern zur Sprache kommt. Wer wollte etwa die Augen vor den menschenrechtlichen Katastrophen verschließen, die sich nur wenige hundert Kilometer vom Konferenzort auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien täglich ereignen.

Wo steht Österreich in diesem Widerstreit der Meinungen, der Fragen und Konzepte?

Ungeachtet der schwierigen Vermittlungsfunktion des Außenministers als Konferenzpräsident muß klargestellt werden, daß Österreich als europäischer Staat mit einer herzeigbaren

Tradition im Menschenrechtsbereich bei der Wiener Konferenz seine grundsätzlichen Positionen ohne Abstriche vertreten wird.

In einzelnen zentralen Fragen bedeutet dies konkret, daß wir die Idee der Universalität und der Unteilbarkeit der Menschenrechte in alle Richtungen zu verteidigen haben. Die Opfer von Menschenrechtsverletzungen nämlich leiden unabhängig von regionalen oder entwicklungsspezifischen Besonderheiten ihres Staates.

Auch wird Österreich mit Nachdruck dafür eintreten, daß die Sorge um die Einhaltung der Menschenrechte in einem bestimmten Land nicht als Einmischung in dessen innere Angelegenheit gewertet werden darf. Weiters wird es sich die österreichische Delegation angelegen sein lassen, auf eine Verbesserung der Tätigkeit der Vereinten Nationen im Menschenrechtsbereich hinzuwirken. Dazu gehört ein effizienteres und mit besseren Mitteln ausgestattetes Menschenrechtszentrum der Vereinten Nationen ebenso wie eine Reform der unübersichtlich gewordenen und häufig doppelgleisigen Schutzverfahren.

Zentrale Schaltstelle

Der Forderung nach Schaffung eines UN-Hochkommissars für Menschenrechte steht Österreich dann positiv gegenüber, wenn gewährleistet ist, daß damit nicht nur ein neues Amt und eine neue Bürokratie geschaffen wird, sondern eine international angesehene Persönlichkeit mit der notwendigen Machtfülle ausgestattet wird, um wirkungsvoll als zentrale Schaltstelle für sämtliche Menschenrechtsaktivitäten der Vereinten Nationen agieren zu können.

Weitere österreichische Anliegen betreffen die Schaffung eines umfassenden Menschenrechtsprogramms der Vereinten Nationen, das insbesondere im Interesse der Entwicklungsländer bereitstehen sollte. Mehr als in der Vergangenheit wird nämlich heute zu Recht die Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten als wesentlicher Faktor der Entwicklungszusammenarbeit erkannt.

Von der Vielzahl der Themen, denen sich Österreich bei der Konferenz widmen wird, sei ferner der Einsatz für greifbare Ergebnisse beim Minderheitenschutz hervorgehoben. Was im europäischen Kontext in so tragischer Weise augenscheinlich wurde, stellt sich auf universeller Ebene ebenfalls zunehmend als Frage von zentraler Bedeutung heraus. Das Zusammenleben verschiedener Volksgruppen auf demselben Gebiet erfordert rechtliche Regelungen, die bislang nur in Ansätzen vorhanden sind. So sollte die 1992 von der Generalversammlung angenommene Minderheitendeklaration der Vereinten

Nationen mit Empfehlungscharakter nach österreichischer Vorstellung in ein rechtsverbindliches Instrument weiterentwickelt werden.

Schließlich unterstützt Österreich alle Bestrebungen, die auf die Bekräftigung des Prinzips der Verantwortlichkeit von Einzelpersonen für schwere Menschenrechtsverletzungen gerichtet sind. Gerade im Jugoslawienkonflikt hat sich deutlich gezeigt, daß die Delinquenten, die für schwerste Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen Verantwortung tragen, überhaupt nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

In diesem Sinn befürwortet Österreich die Errichtung eines internationalen Tribunals, wie es zur Ahndung der Verbrechen gegen das humanitäre Recht im früheren Jugoslawien vom UNO-Sicherheitsrat beschlossen worden ist.

Größere Sensibilität

Die Wiener Weltkonferenz für Menschenrechte wird insgesamt dann erfolgreich sein, wenn sie trotz aller Kontroversen den bisher erreichten menschenrechtlichen Besitzstand bekräftigt und absichert. Es ist zu hoffen, daß es ihr auch gelingen wird, in Einzelfragen, etwa bei der Reform der menschenrechtlichen Aktivitäten der Vereinten Nationen, konkrete Fortschritte zu erzielen.

Ungeachtet solcher Ergebnisse dürfte aber die eigentliche Bedeutung der Konferenz letztlich darin liegen, daß sich die Weltöffentlichkeit hinkünftig menschenrechtlicher Belange mit größerer Sensibilität annimmt und die Menschenrechte in den internationalen Beziehungen endlich jenen Stellenwert erlangen, den ökonomische oder machtstrategische Gesichtspunkte einnehmen.

Die unverzichtbare Funktion der Menschenrechte für eine lebenswerte Existenz sowohl im staatlichen als auch im internationalen Bereich ins Bewußtsein zu heben, dürfte so gesehen wohl der wichtigste Impuls sein, der im Juni 1993 von Wien ausgehen wird.

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