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Vor allem eine Predigt

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„Der Erlöser des Menschen, Jesus Christus, ist die Mitte des Kosmos und der Geschichte.“ Mit dieser an Teilhard de Chardin erinnernden Formulierung führt Johannes Paul II. gleich mit dem ersten Satz seiner ersten Enzyklika in die christologi-sche Betrachtungsweise ein, die die Sicht des Papstes vom Menschen und der Welt bestimmt.

Den Sinn des Lebens erfährt der Mensch nach den Worten des Papstes nicht primär aus irgendeiner wie immer gearteten Ordnung der materiellen Verhältnisse, sondern durch die Liebe, die damit zum Prinzip seiner Existenz wird. Da diese Liebe aber erst in der Erlösungstat Jesu Christi ihre Vollendung und damit gleichzeitig ihre ausreichende Begründung gefunden hat, ist es zu allen Zeiten die grundlegende Aufgabe der Kirche, der Menschheit Christus, den Gekreuzigten, zu predigen und sie so zur eigentlichen Quelle eines erfüllten Lebens zu führen.

Solidarität!

Der Mensch befindet sich heute freilich in einer bedenklichen Situation. Da seine ethische Entwicklung mit dem technischen Fortschritt nicht Schritt gehalten hat, lebt er im staatlichen wie internationalen Bereich unter Spannungen, die das Ergebnis schwerer sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeiten sind.

Die beschleunigte Vergeudung der Reserven an Rohstoffen und Energie und die fortschreitende Schädigung des geophysischen Lebensraumes bewirken, „daß sich die Zonen des Elends mit ihrer Last an Angst, Enttäuschung und Bitterkeit unaufhörlich weiter ausdehnen“. (III, 16)

Die traditionellen Strukturen und Mechanismen im Bereich der Weltwirtschaft haben sich offenbar als unfähig erwiesen, alte Ungerechtigkeiten zu überwinden und den Herausforderungen der Gegenwart standzuhalten. Daraus folgt,“ daß man sie durch neue, zweckmäßigere ersetzen muß.

Für solche neue Mechanismen legt der Papst kein ausgearbeitetes Konzept vor. Er weist jedoch auf das Prinzip der Solidarität als die Grundlage einer neuen Ordnung hin und nennt als Einzelziele einerseits einen gesunden internationalen Wettbewerb, andererseits eine umfassende und unmittelbare Umverteilung der

Reichtümer zugunsten der Entwicklungsländer.

Damit trifft sich die Enzyklika weitgehend mit den Forderungen, die die Vereinten Nationen bereits 1974 in den verschiedenen Dokumenten betreffend eine Neue Internationale Wirtschaftsordnung vorgelegt haben.

Die Vereinten Nationen selbst werden vom Papst im Zusammenhang mit der Menschenrechtsfrage anerkennend 7 angesprochen. Wenn dann freilich der Schutz der Menschenrechte als Hauptzweck der UN genannt wird, so liegt dem eine Verkennung des eigentlichen Ziels der Organisation zugrunde. Dieses ist nämlich die Wahrung und gegebenenfalls Wiederherstellung des internationalen, des zwischenstaatlichen Friedens. Das in Artikel 2 niedergelegte Verbot, in die inneren Angelegenheiten eines Staates einzugreifen, und eine mehr als dreißigjährige Praxis haben deutlich gemacht, daß die Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten die Menschenrechtsfrage nicht als Selbstzweck, sondern allenfalls als Mittel zum Friedenszweck (und da in sehr einseitiger Weise) ansieht.

Das Johannes Paul II. zurecht sehr am Herzen hegende Anliegen des Schutzes der Menschenrechte hat daher von der Weltorganisation unmittelbar wenig zu hoffen und muß wohl auch für die nächste Zukunft von privaten internationalen Organi-

Der Text der Enzyklika „Redemptor hominis“ ist als Beilage zum Wiener Diözesanblatt im Erzbischöflichen Ordinariat, Wollzeile 2, 1010 Wien, Zimmer 202 (Telefon 52 9511, Klappe 233 Durchwahl) zum Preis von 10 Schilling erhältlich. sationen wie Amnesty International und, was den Bereich der Gewissensund Religionsfreiheit anlangt, wohl von der Kirche selbst in die Hand genommen werden.

Eine Politik der kleinen Schritte, wie sie derzeit die Beziehungen des Heiligen Stuhls zum Ostblock kennzeichnet, ist hier wohl die am besten geeignete. Sie kann durch ein nicht provokantes, aber mutiges Bekenntnis zur Solidarität mit der bedrängten Kirche gefördert werden, wie zuletzt das Treffen von Bundespräsident Rudolf Kirchschläger mit dem Erzbischof von Prag, Kardinal Frantisek Tomäsek, in Prag gezeigt hat.

So sehr die Enzyklika vom Stil des neuen Papstes geprägt ist, kann man sich doch des Eindrucks nicht erwehren, inhaltlich habe man das meiste eigentlich schon vorher gewußt. Das ist 13 Jahre nach Abschluß des Konzils weiter nicht verwunderlich, denn die umfassenden Konzilsdo-kum*nte können ja heute inhaltlich noch nicht überholt sein.

Auch Zweifel

Das aber gibt dem Rundschreiben Johannes Pauls II. mehr den Charakter einer aufrüttelnden Homilie und muß jene enttäuschen, die eher Ansätze zu konkreten Schritten (auch und vor allem von der Kirche selbst) erwartet haben. Der Papst mag das selbst gefühlt haben, wenn er schreibt: „Vielleicht bleiben diese Überlegungen teilweise .abstrakt'“ (III, 16).

Die Glaubwürdigkeit der Kirche wird von vielen jedenfalls kaum allein nach ihren Aussagen beurteilt. Man wird die Katholiken zu organisiertem Tun bringen müssen - im Bereich des Weltfriedens genauso wie im Bereich der Entwicklung. Einen solchen Aufbruch zu leiten, wäre heute eine eminente Aufgabe des kirchlichen Amtes.

Im übrigen behandelt die Enzyklika am Rande auch noch so verschiedene Themen wie die Kollegialität, den Ökumenismus, das Verhältnis von Theologie und Lehramt, Eucharistie und Buße, den priesterlichen Zölibat und die Rolle Marias in der Kirche. Zu manchen von ihnen wird sich Johannes Paul II. wohl früher oder später ausführlicher äußern.

Wenn man einzelne kritische Stimmen, die bereits laut geworden sind, auch nicht überbewerten sollte, so ist es anderseits klar, daß der innerkirchliche Dialog offen bleiben und der Eindruck vermieden werden muß, es werde ja doch wieder nur (um ein Bibelwort abzuwandeln) alter Wein in neuen Schläuchen geboten. Dies wäre nicht nur ein Unglück für die Kirche, sondern auch eine menschliche Tragik für den Papst, der wie wohl kein anderer schon durch seine Wahl die Hoffnung verkörpert, der durch das Konzil in der Kirche erwachte Frühling werde sich nach einigen Kälterückfällen endgültig durchsetzen.

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