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Warschauer Pakt: Schild und Schwert

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Am 14. Mai 1955, vor 30 Jahren, wurde der Warschauer Pakt ins Leben gerufen; vor zwei Wochen wurde der Pakt um weitere 20 Jahre verlängert (siehe FURCHE 18/ 85). Hier ein Hintergrundbericht über die Entwicklung des östlichen Militärbündnisses.

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Am 14. Mai 1955, vor 30 Jahren, wurde der Warschauer Pakt ins Leben gerufen; vor zwei Wochen wurde der Pakt um weitere 20 Jahre verlängert (siehe FURCHE 18/ 85). Hier ein Hintergrundbericht über die Entwicklung des östlichen Militärbündnisses.

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Die Signatarstaaten des Warschauer Paktes - die Sowjetunion, Albanien, Bulgarien, die DDR, Polen, Rumänien, die Tschechoslowakei und Ungarn — verpflichteten sich im Mai 1955 in der polnischen Hauptstadt im Interesse der europäischen Sicherheit zu einer engen Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet. So schufen sie auf Initiative der Sowjetunion die Grundlage zu einer multinationalen Streitmacht.

Der politische Vorwand dazu war weder die 1949 gegründete westliche militärische Verteidigungsorganisation, die NATO, noch eine Verhärtung der „Ost-West-Fronten” beziehungsweise eine (abermalige) Kulmination des „Kalten Krieges”. Die Schaffung des Warschauer Paktes hängt vielmehr mit den sogenannten Pariser Verträgen aus den Jahren 1954/55 zusammen, die der Bundesrepublik Deutschland ihre volle Souveränität zurückgaben und ihr die Möglichkeit boten, sich auch militärisch in der NATO vertreten zu lassen.

1955 war Stalin bereits zwei Jahre tot. Aber sein Geist lebte und regierte noch im Kreml. Auch die Nachfolger des Diktators waren vom Alptraum besessen, daß die Deutschen — und in diesem Falle Westdeutschland — die Niederlage von 1945 auf lange Dauer nicht hinnehmen und zur baldigen Revanche rüsten würden.

Mit jedem diplomatischen Mittel versuchte man in Moskau zwischen 1953 und 1955, die Ratifizierung der Pariser Verträge zu verhindern. Sowjetführer Georgij Malenkow ging dabei sogar so weit, daß er sich bereit erklärte, die Sowjetposition in der DDR aufzugeben und im Interesse eines neutralen und nur mit bescheidenen Selbstverteidigungs-1 Streitkräften ausgerüsteten Deutschland den deutschen Staat in seinen Grenzen von 1945 wieder entstehen zu lassen.

Daß der Warschauer Pakt so rasch als Gegenmaßnahme zur Ratifizierung der Pariser Verträ-i ge unter Dach gebracht wurde, hatte auch einen anderen Grund. Denn am 15. Mai 1955 unterzeichneten die vier Großmächte in Wien den österreichischen Staatsvertrag, der dem Land seine volle Souveränität zurückgab und somit die Besatzungstruppen zum Verlassen Österreichs veran-laßte.

Die Sowjetarmee hätte danach aber nicht nur ihre Besatzungszone in Österreich, sondern auch Rumänien und Ungarn räumen müssen. Denn in den Friedensverträgen von 1947 hatte die Sowjetunion bloß das Recht erhalten, zur Aufrechterhaltung der Verbindungslinien nach Österreich Truppen in Ungarn und Rumänien zu stationieren. Würde jedoch Österreich frei, müßten die Sowjets innerhalb von 90 Tagen auch aus Ungarn und Rumänien abziehen .'..

Durch den am 14. Mai 1955 abgeschlossenen Warschauer Pakt wurde Moskau seiner diesbezüglichen Verpflichtung automatisch entbunden. Die Sowjettruppen konnten nun weiterhin in den beiden Donauländern stationiert bleiben, wie sie auch in Polen und in der DDR gegenwärtig waren.

Es ist jedoch ein Irrtum, anzunehmen, daß mit der Schaffung des Warschauer Paktes etwas grundlegend Neues in Osteuropa geschehen war. Die Staaten, die Mitglieder dieses östlichen Militärbündnisses wurden, hatten Regierungen und Regierungssysteme, die ihnen von den Sowjets nach 1945 aufgezwungen worden waren. Sie waren „Volksdemokratien” mit Einparteiherrschaft, nach dem Muster der Sowjetunion.

Der Warschauer Pakt hatte daher von Anfang an keinen nennenswerten zusätzlichen Wert, zumal die Sowjetregierung mit den übrigen nachmaligen sieben Paktmitgliedern bereits vor 1955 eine Reihe zweiseitiger Beistandsverträge abgeschlossen hatte, die ihr - unter anderem -auch militärische Sonderrechte in Osteuropa sicherten.

Der Wortlaut des Vertrages über „Freundschaft, Zusammenarbeit und Beistand” stützt sich auf drei an sich vernünftige und einsichtige Grundlagen: auf die Koexistenz verschiedener Gesellschaftssysteme im Interesse des europäischen Friedens; auf die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten; auf die volle Anerkennung der souveränen Gleichheit der Vertragspartner.

Der Hauptpunkt des Paktes aber ist zweifellos die Beistandsklausel.

Der sowjetische Armeegeneral S. M. Schtemenko, 1968 Stabschef des Warschauer Paktes, drückte bei der Übernahme seines Postens

„Tonangebende Kraft im Warschauer Pakt war von Anfang an das Oberkommando der Sowjetarmee” die Ziele und Grundsätze des östlichen Militärbündnisses mit folgenden Sätzen aus: „Der Warschauer Vertrag ist Schild und Schwert der sozialistischen Staaten in Europas, ist einer der wichtigsten Faktoren zur Sicherung des Friedens und der Stabilität unseres Kontinents.”

Die tonangebende und dominierende Kraft im Warschauer Pakt war von Anfang an und ist auch noch heute die Sowjetunion beziehungsweise das Oberkommando der Sowjetarmee. Auch die bisherigen Oberbefehlshaber dieses Militärbündnisses waren bisher stets sowjetische Staatsbürger: bis 1960 war es Marschall I. S. Konjew, von 1960 bis 1967 Marschall A. A. Gretschkb, von 1968 bis 1977 Marschall 1.1. Jaku-bowski und zur Zeit der fähige Soldat Marschall V. G. Kulikow, zwischen 1971 und 1977 Generalstabschef der Sowjetarmee.

Sogar der ständige Stellvertreter des Oberkommandierenden des Paktes ist im Gegensatz zu den Bestimmungen des Vertrages ein sowjetischer Militär. Alle Waffenchefs und Abteilungsleiter des Vereinten Oberkommandos in Moskau sind ebenfalls sowjetische Bürger.

Nominell sind die Stellvertreter von Marschall Kulikow die jeweiligen Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten. In der Praxis jedoch besitzen diese nur eine beschränkte Machtbefugnis.

Der österreichische Militärfachmann Friedrich Wiener schrieb in seinem Buch „Soldaten im Ostblock” folgendes über die innere Zusammenarbeit des Warschauer Paktes:

„Kameradschaftliche Beziehungen zwischen den einzelnen Armeen, persönliche Kontakte über längere Zeit oder echte Freundschaften zwischen den Soldaten sind äußerst selten. Das dienstliche Zusammentreffen verläuft in starren Formen...

Die Verbindungen laufen nicht von einer Armee zur anderen, sondern in jedem einzelnen Fall über die Führungsspitze in Moskau. Dieser merkwürdige Zustand wird nicht einmal durch ein räumliches Naheverhältnis, durch das Vorhandensein von sowjetischen Garnisonen in' vier Staaten des Warschauer Paktes, gemildert... Gruppenaufnahmen von Soldaten mehrer .Bruderarmeen' sind stets von der Propaganda gestellt...”

Es gibt einige strategische Vorteile des Warschauer Paktes gegenüber der NATO, die man in drei Abschnitte zusammenfassen kann:

# Politisch und ökonomisch gesehen ist die Stärke des Paktes die Gemeinsamkeit der kommunistisehen Ideologie und die durch den Comecon koordinierte Wirtschaft.

• Die geographischen Vorteile beruhen auf einem geschlossenen, nicht durch natürliche Hindernisse unterbrochenen Territorium mit großer Tiefe, das eine günstige Voraussetzung für den Nachschub über Land-, Luft-, See- und Flußwege bietet.

# Die militärischen Vorteile schließlich lassen sich in Stichworten wie folgt zusammenfassen: ein hohes Maß an einheitlicher Bewaffnung und Ausrüstung der Armeen, modernste Raketenbewaffnung, wobei die Atom- beziehungsweise Kernwaffenmonopole ausschließlich der Sowjetarmee vorbehalten sind; ein größerer Mobilisierungsgrad im Ernstfall dank der ständigen paramilitärischen Ausbildung großer Teile der Zivilbevölkerung und ein höherer Prozentsatz an ingenieurtechnischen Kadern in den Warschauer-Pakt-Armeen.

Die Großverbände, Divisionen und Einheiten der Warschauer-Pakt-Armeen sind nahezu einheitlich nach sowjetischem Vorbild gegliedert. Einige Waf f engattungen, wie zum Beispiel Heimatluftabwehr, sind einem zentralen sowjetischen Oberkommando untergeordnet.

Die dreißigjährige Geschichte dieses Militärbündnisses ist reich an inneren Krisen und Problemen, die 1955 für die Paktgründer noch völlig unvorstellbar waren. Die Hegemonie der Sowjetunion in den osteuropäischen Ländern führte entgegen allen Erwartungen nicht zu einer raschen Unterwerfung der Nationen.

Im Oktober 1956 kam es in Ungarn zu einem Volksaufstand. Im-re Nagy kündigte sogar mit Einverständnis des Ministerrates und des Großteils der Bevölkerung den Warschauer Pakt auf und strebte - das Beispiel Österreichs vor Augen — eine strikte Neutralität an.

Als Antwort erfolgte vier Tage später eine sowjetische Militärintervention, die nicht nur dem Aufstand ein Ende bereitete. Die von Moskau eingesetzte neue Regierung (Kädär) mußte im Mai 1957 einen Stationierungsvertrag mit der Sowjetunion abschließen, der für unbegrenzte Zeit (offiziell: „provisorisch”) weitere Sowjetgarnisonen im Lande zuließ.

1959 zogen die Sowjets auf mehrmaliges Verlangen der rumänischen Regierung (und durch einen geschickten Trick von Georg-he-Dej) ihre Garnisonen aus dem Balkanland zurück. Es war für sie ein folgenschwerer Fehler. Denn von diesem Zeitpunkt an begann Rumäniens eigenwilliger Kurs, der sich dann unter Ceaucescu in der Mitte der siebziger Jahre auch auf Rumäniens praktische Teilnahme im Warschauer Pakt auswirkte.

Der, .Prager Frühling” 1968 hatte auch bei der CSSR-Armee deutliche Spuren hinterlassen. Führende Militärs entdeckten plötzlich Mängel an der Organisationsstruktur des Warschauer Paktes. So ließ Generalleutnant Vaclav Prchlik auf einer Pressekonferenz im Juli 1968 die Journalisten wissen, daß der Pakt keine Gleichberechtigung für die Mitglieder des Bündnisses bietet.

Am 21. August 1968 erfolgte die Militärintervention des Warschauer Paktes in der CSSR. Lediglich zwei Mitgliedstaaten weigerten sich, Truppen zu schicken: Die Volksrepublik Albanien, die dann am 16. September 1968 auch offiziell aus dem Pakt austrat, und die Rumänische Sozialistische Republik, die ihrerseits jedoch schleunigst die Bevölkerung in sogenannten Volksgarde-Abteilungen mobilisierte und die Armee in Bereitschaft versetzte, da die ernsthafte Gefahr bestand, daß noch im Winter 1968/69 die Warschauer-Pakt-Armeen und vor allem die Sowjetarmee auch Rumänien ihre „brüderliche Hilfe” in Form von Panzern und motorisierten Truppen zukommen lassen könnten.

Im Dezember 1970, als in den polnischen Küstenstädten Arbeiterunruhen ausbrachen, wollte der damalige Parteichef W. Go-mulka mit Truppen des Warschauer Paktes Herr der Lage werden. Die Sowjetführung wagte diesmal jedoch keinen solchen Schritt. Lieber opferte man Go-mulka und wies die Genossen in Warschau an, den aufständischen Arbeitern Zugeständnisse zu machen.

Die Zugeständnisse führten dann so weit, daß in der zweiten Hälfte 1980 „Solidarnosc” und damit für Moskau erneut ein „Polen-Problem” entstand. Die Schatten einer abermaligen militärischen Aktion zeichneten sich über Polen ab. Lediglich Breschnews schlechter Gesundheitszustand und nach seinem Tod die Schwierigkeiten des Interregnums hatten dazu geführt, daß diesmal der Warschauer Pakt nicht in Aktion trat.

Dafür ließ man Jaruzelski wal-

„Die 30jährige Geschichte dieses Militärbündnisses ist reich an inneren Krisen und Problemen” ten: Im Dezember 1981 „putschte” der General mit der eigenen Armee gegen die Arbeiterschaft, wobei hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurde: „Wenn wir es nicht gemacht hätten, wären die Brüder vom Warschauer Pakt gekommen!”

Seit 1970 sind beinahe jährlich große gemeinsame Manöver des Warschauer Paktes üblich. An diesen nehmen — als Beobachter — auch die außereuropäischen sozialistischen Staaten in Person ihrer Verteidigungsminister teü.

Man spricht auch darüber, daß seit 1975 ein Geheimabkommen existiert, in dem der Einsatzraum des Warschauer Paktes erweitert wurde. Demnach hätte Moskau das Recht, Warschauer-Pakt-Armeen — im Bedarfsfall — auch in außereuropäischen Gebieten einzusetzen; selbstverständlich nur dann, wenn die „sozialistische Staatengemeinschaft” in Gefahr wäre.

Am 26. April wurde der Pakt in Warschau - ohne Diskussion — nach den Wünschen der Sowjetunion nur zwanzig Jahre verlängert. Änderungen oder sogar Reformen an der Struktur dieses östlichen Militärbündnisses wurden nicht besprochen. UrTd es ist auch ganz sicher, daß solche in Zukunft nur dann erfolgen werden, wenn sie sowjetischen Interessen entsprechen würden...

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