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Wie viele Katholizismen?

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Als Folge einer romantischen Verzeichnung haben Katholikentage im Rückblick den Charakter von „Heer-Schauen”, als ob die manifest-massenhafte Bezeugung des Katholischen nur quasimilitärischen Show-Charakter haben könnte. Mehr noch: Katholikentage wurden und werden zuweilen auch heute noch als Demonstration einer perfekt uniformen Gesinnung angesehen. Der eine Glaube, dessen Substanz in einer ungeahnt vielfältigen Weise in menschliches Verhalten und Denken umgesetzt werden kann, wird auf diese Weise in peinlicher Simplifikation als ein Homogenes angesehen. Auch in der Situation von Katholikentagen, bei deren Betrachtung daher zuweilen alles, was den tradierten Hypothesen eines Einheits-Katholizismus zu widersprechen scheint, in eine „Auflösung” umgejubelt wird.

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Als Folge einer romantischen Verzeichnung haben Katholikentage im Rückblick den Charakter von „Heer-Schauen”, als ob die manifest-massenhafte Bezeugung des Katholischen nur quasimilitärischen Show-Charakter haben könnte. Mehr noch: Katholikentage wurden und werden zuweilen auch heute noch als Demonstration einer perfekt uniformen Gesinnung angesehen. Der eine Glaube, dessen Substanz in einer ungeahnt vielfältigen Weise in menschliches Verhalten und Denken umgesetzt werden kann, wird auf diese Weise in peinlicher Simplifikation als ein Homogenes angesehen. Auch in der Situation von Katholikentagen, bei deren Betrachtung daher zuweilen alles, was den tradierten Hypothesen eines Einheits-Katholizismus zu widersprechen scheint, in eine „Auflösung” umgejubelt wird.

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Falls ein Katholikentag nicht lediglich als ein Kirchentag verstanden wird, sondern als ein spontanes Miteinander von Katholiken an der Basis, die nur durch das jeweils gewählte Thema orientiert werden, dann muß in ihm eine Manifestation des Katholizismus im Österreich von 1974 gesehen werden.

Was ist aber dieser so oft zitierte und begrifflich so schwer faßbare Katholizismus? Ist er eine Addition erwachsener, beitragzahlender oder „praktizierender” Katholiken, ist er eine Summe von Mitgliedern katholischer Verbände? Jene hypothetische einheitliche Erscheinung, die man in einem Begriffsnots’tand als Katholizismus bezeichnet, ist im allgemeinen eine in manchen Situationen erforderliche Abgrenzung gegenüber einem Nicht-Katholizismus. Ähnlich, wie man etwa von dem Sozialismus spricht. Keineswegs handelt es sich beim Katholizismus, trotz der Bindung der in ihm engagierten Menschen an bestimmte absolute und insoweit konstante Werte, um einen Zustand, sondern um einen

Prozeß, einen Sachverhalt, der zu ständiger Fehlinterpretation vor allem durch Gegner führt, die einen Katholizismus von gestern mit Argumenten von heute bekämpfen. Vor Jahrzehnten war es noch berechtigt, etwa Katholizismus weitgehend mit dem „Verbands-Katholizismus” gleichzusetzen. Man denke an 1933. Beim österreichischen Katholikentag 1974 kann, ebensowenig wie bei dem vor einigen Wochen für die Bundesrepublik stattfindenden, von einer Gleichsetzung jener Katholiken, die teilnehmen, mit den Verbandskatholiken gesprochen werden. Der Katholizismus ist nur in einer Wesensschau (also ungegenständlieh-essen- tialistisch) feststellbar und etwa als eine gedachte Zusammenfassung von Personen zu verstehen, die auf Grund der überlieferten Regeln ihren (den) Glauben in der Art eines weitgehend einheitlichen Weltverständnisses offen zu bezeugen suchen. Zwischen dem Kern des katholischen Glaubens, der trotz einheitlichen transzendenten Ursprunges ein breites Spektrum von Vollzugsmöglichkeiten umfaßt, und dem Katholisch-Sein besteht nun keine linear-monotone Beziehung. Soziale Interessen, Nahmilieu, das Alter mit seinem je verschiedenen Traditionsfonds, die Einflüsse von Stadt und Nicht-Stadt, aber auch die unterschiedliche parteipolitische Präferenz; sie alle werden in einem je verschiedenen Katholisch-Sein ausgewiesen. Daher kann man auch von einem geschichtlich eingebundenen Milieu-Katholizismus sprechen.

Selbst innerhalb der einzelnen Verbände gibt es nicht die von Außenstehenden zuweilen vermutete Einheitlichkeit. Wenn Funktionäre eines Verbandes ein „Selbstver- ständnis” in einem „Papier” vorlegen, tun sie dies vielleicht in eigener Sache, keineswegs aber auf Grund einer Beauftragung von seiten derer, die sie auch in ihren persönlichen Anschauungen vertreten sollen. Daher bedürfte die Übung von einzelnen Verbandsfunktionären (in der ganzen Welt!), private Ansichten zu solchen ihrer Mitglieder hochzuheben, ohne daß diese sie dazu formell delegiert hätten, einer besonderen Untersuchung.

Wenn es auch viele Katholizismen gibt — das zeigt sich neuerlich bei den Vorbereitungsarbeiten zum diesjährigen Katholikentag —, darf die Darstellung des Katholischen nicht in einen Nur-Intellektualismus oder in eine anarchistische „Offenheit” ausufern, sondern kann nur innerhalb von Grenzen erfolgen, die aus der Logik des Glaubenskernes gesetzt sind. Grenzüberschreitungen sind wohl etwa die orthodoxen, scheinkatholischen Radikalismen, ob sie sich nun mit dem Reizwort „konservativ” oder „progressiv” zu legitimieren suchen. Wenn die Hafttiefe einer radikalen Überzeugung soweit geht, daß schließlich nur mehr die Instrumente der Glaubensdarstellung angebetet oder fetischistisch eine Liturgie mit dem Glauben verwechselt, oder im Katholischen eine moralische Rechtfertigung anarchischer „Sozialreformen” gesehen wird, sind jene Grenzen, innerhalb welcher das Katholische noch berechtigt vollzogen werden kann, nicht nur erreicht, sondern überschritten. Daran ändert auch nichts, wenn die Massenmedien und die „bürgerliche” Boulevardpresse die Agenten der Radikalismen überproportional heraussteilen und versuchen, den Exzeß zum Rang des Normalen zu heben.

Andeirseits hat aber nach meinem Dafürhalten das Katholische bedingt auch dort noch seinen Ort, wo man es nach koventionellen Maßstäben nicht vermuten dürfte, wie es auch bedenklich ist, die Welt lediglich in das Sakrale und in das Profane einzuteilen (J. Brothers, Concilium 1/1973). Einzelne Menschen, die im Sinn berechtigter strenger Regeln nicht „praktizieren”, sind zuweilen noch als katholisch anzusprechen. In unserer Welt ist jedenfalls mehr an Katholizismus vorhanden, als man von den von Soziopessimisten lustvoll publizierten (geringen) Frequenzziffern etwa bei Gottesdiensten ablesen kann.

Unverkennbar ist mehr Glaube da, als die Vertreter der nicht selten etwas primitiven Säkularisierungsthese wahrhaben wollen. War etwa die geradezu „liturgische” Verflechtung von bewaffneten paradierenden Sol-

daten und uniformierten Würdenträgern mit Prozessionen, die Verfilzung von Wallfahrten mit ungemein weltlich orientierten Reden von Par- teipolitikem nicht auch so etwas wie Säkularisierung? Ähnlich wie die Reduktion von Glaubensbezeugung auf Folklore?

Der Katholikentag 1974 hat formell und auch in der Art der Einladung den Charakter eines Delegiertentages. Die Frage der Legitimation der Delegierten wurde nicht untersucht. Jeder Teilnehmer hat daher das Recht, ohne Bindung an Weisungen von Verbänden oder Pfarren, seine höchstpersönliche Meinung zu vertreten und dadurch die Vielfalt des Katholischen zu demonstrieren; wenn auch nicht in der chaotischen und billig-unverbindlichen Lieblichkeit wie beim diesjährigen „Konzil von Taizė”, das bereits bestens unterwandert worden war, (wie etwa die „Fürbitten” gezeigt haben) das „Christliche” verstanden wurde.

Auf dem Katholikentag 1974 wird man mehr als bei seinen Vorgängern die Anwesenheit von Verbänden als solchen vermissen, deren Angehörige ehedem, auch in unserem Land, so etwas wie eine Subgesellschaft bildeten. Nicht selten mit einem exklusiven Eigen-Sein auch in Dingen, die mit Glaubensbekenntnis kaum zu tun hatten. Die Sonderveranstaltungen von Verbänden des Katholikentages können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich in erster Linie um einen Katholikentag von einzelnen und nicht von Gruppen handelt. Wie in der vorindustriellen Gesellschaft zeigt sich daher bei diesem Katholikentag das Katholische zuvorderst als eine Kooperation von Bischöfen und den Pfarrvölkem. Was man im stereotypen Kritiker jargon „Amts-Kirche” nennt (als ob je eine auf Dauer zielende Organisation ohne „Amt” aus- kommen könnte), bedient sich nicht mehr allein der Medien von Ver- bandsappairaten, sondern sucht auch die unmittelbare Verbindung mit der „Basis”, mit den Vertretern der Pfarrgemeinden. Vielleicht, weil da und dort Verbandsapparate ein Drittes zwischen den Bischöfen und den Pfarren sein wollten; was sie auch einmal in einer völlig anderen Situation gewesen sind. Die minoritäre Position der Verbände muß jedoch nicht enthusiastisch begrüßt werden, weil ein verbandsloser („desaggre- gierter”) Katholizismus in Kritischen Situationen, wie wir sie in Österreich seit 1973 haben, leicht in die Gefahr gerät, Massen-Katholi- zismus zu werden, der lediglich bei bestimmten Stimulis aktiv wird. Da-, her soll die Tatsache eines zumindest dem Schein nach verbandsneutralen Katholizismus zwar festgestellt, aber keineswegs positiv gewertet werden.

Noch ein besonderes Merkmal zeigt dieser Katholikentag: das offizielle, das Amts-Österreich, wird auch diesmal vertreten sein. Ex offo. Aber kein einziger der Vertreter der Republik Österreich kommt unmittelbar aus jenem Bereich, den man das katholische „Lager” nennt: Womit in erster Linie Führungsgremien der katholischen Verbände oder pastorale Institutionen gemeint sind. Ein scheinbar bereits perfekt laizistischer, zumindest aber gegenüber der Kirche neutraler Staat tritt für einige Stunden in höflich agierenden Organen wohlwollend einer ihm im Kern fremden Institution „Kirche” und Delegierten der Katholiken gegenüber, die für die offiziellen Repräsentanten nach ihrer Vermutung überwiegend nicht Gesinnungsfreunde sind.

Die zuweilen für beide Teile unheilvolle komplexe Vermengung von Kirche und staatlicher Administration ist bis auf korrekte fiskalische Arrangements und das Unterrichtswesen weitgehend (und in Wien völlig) entflochten. Aber noch besteht kein Freund-Feind-Verhällnis, obwohl die Regierung und die obersten Verwaltungsgremien der gastgebenden Stadt fast katholikenrein sind. Wie anderswo.

Wir werden wahrscheinlich erst geraume Zeit nach dem Katholikentag 1974 erkennen, daß er eine bereits lange vorher vollzogene Wende im Katholizismus unseres Landes geradezu drastisch anzeigt: Einen neuen Katholizismus, der zwischen Anpassung an die Meinung der Herrschenden („Kaisertreue”) und an die profane Politik des Tages und einer noch billigeren politisch gesinnungslosen „Offenheit” einen Eigen- Stand zu gewinnen sucht. Da, wo dieser neue Katholizismus die Schwelle des Sakralen überschreitet, kann aus ihm die besondere Form eines parteineutralen politischen Katholizismus entstehen: Mit ihm wird sich wahrscheinlich die Katholische-Soziale Tagung 1975 befassen.

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