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Prototyp ist nicht der Einsiedler

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Die Offenbarungswahrheiten gehen vom einzelnen aus; die in ihnen angelegte Ethik ist eine Individualethik. Der Gültigkeitsbereich der Ethik für den einzelnen ist ungeschichtlich und kann insoweit auf jede geschichtliche Situation bezogen werden.Das politische Handeln ist dagegen unvermeidbar sozial bis verbandlich-kollektiv und zielt mittels Machtgewinnung darauf, ein jeweiliges Gemeinwesen nach bestimmten Vorstellungen zu gestalten, sei es etwa in einem konservativ bewahrenden, sei es in einem dynamischen Sinn.Zwischen der Individualethik der Offenbarung und dem verbundenen, sich gegenseitig beeinflußenden Denken und Handeln In der Politik besteht offenkundig keine logische Verbindung. Das Handeln eines Katholiken scheint lediglich die Folge höchstpersönlicher Entscheidungen und insoweit autonom zu sein. Wäre dies tatsächlich so, dann gäbe es freilich keinen Katholizismus.

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Die Offenbarungswahrheiten gehen vom einzelnen aus; die in ihnen angelegte Ethik ist eine Individualethik. Der Gültigkeitsbereich der Ethik für den einzelnen ist ungeschichtlich und kann insoweit auf jede geschichtliche Situation bezogen werden.Das politische Handeln ist dagegen unvermeidbar sozial bis verbandlich-kollektiv und zielt mittels Machtgewinnung darauf, ein jeweiliges Gemeinwesen nach bestimmten Vorstellungen zu gestalten, sei es etwa in einem konservativ bewahrenden, sei es in einem dynamischen Sinn.Zwischen der Individualethik der Offenbarung und dem verbundenen, sich gegenseitig beeinflußenden Denken und Handeln In der Politik besteht offenkundig keine logische Verbindung. Das Handeln eines Katholiken scheint lediglich die Folge höchstpersönlicher Entscheidungen und insoweit autonom zu sein. Wäre dies tatsächlich so, dann gäbe es freilich keinen Katholizismus.

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Denn dieser hätte dann bestenfalls den Charakter einer Summe katholischer, miteinander nicht verbundener, wenn auch einheitlich orientierter Individuen und wäre so etwas wie ein „katholisches Publikum“.

Nun ist aber die Bezeugung des Katholischen keine nur-individuelle, keine dem Sozialen yerschlossene Aktion, sondern auch auf Grund der Anlage der Soziabilität an den Nächsten gebunden. Mehr noch: Das Katholische kann sich nur in Anwesenheit des Nächsten an diesem vollziehen, wenn wir nicht den Einsiedler zum Prototyp des Katholischen erklären.

Aktionen unter Orientierung an den Glaubenswahrheiten zeigen aber nicht allein Bezüge auf den Nächsten, auf das Nahmilieu von Familie und engster Nachbarschaft, sondern expandieren unvermeidbar in Richtung auf das Ganze der Gesellschaft, wie immer nun diese konkret ausgeformt ist: Der Aufwuchs des Christlichen am Menschen vollzieht s|ich jedoch nicht autonom- Wenn man von einer zweiten „Menschwerdung“ des Menschen als Folge seiner Sozialisierung spricht (T. de Chardin), kann man auch davon ausgehen, daß die Anlage des Menschen zum Christlichsein durch ein Milieu bis hin zum sozialen System eines Staates erst durch exogene Bedingungen aktiviert werden kann. Der Mensch kann zum Christ-Menschen nur durch den anderen, und schließlich durch das Insgesamt der Einflüsse eines sozialen Systems werden.

Die Gestaltung des Lebens der Summe dieser „anderen“ in den bürokratisch festgelegten Grenzen eines Staates ist nun das Objekt der Politik; auch einer Politik nach den in den Offenbarungswahrheiten präsentierten Leitbildern.

Wer im Katholischen nicht ein Abstraktum von Ideen und Wörtern — also Philosophie — sieht, sondern etwas, das jn die profane Welt hinein eingepflanzt werden kann, vermag im Politischen am Katholizismus eine von diesem abgeleitete Logik zu erkennen, etwas, das dem Katholischen, seiner Natur, beigegeben ist.

Es gibt keinen apolitischen Katholizismus in dem Sinn, daß die Katholiken nicht daran interessiert wären, wie das Profane jeweils in ihrer Welt gestaltet ist. Die Möglichkeit einer Christwerdung des Menschen ist 'auch an den Bestand von bestimmten sachlichen Bedingungen gebunden. Das Christliche im Menschen wächst nicht in Selbstzeugung, sondern ist das Resultat von endogenen und exogenen Faktoren.

Beim Fehlen von Bedingungen, die an sich den Aufwuchs des Christlichen fördern, kann der Christ auch in höchstpersönlicher Kenntnis der absoluten Wahrheiten diese nicht oder nur unzureichend in die Praxis übersetzen. Das soziale Feld, in dem der Christ einmal lebt, muß

• ökonomische und soziale Bedingungen enthalten, die verhindern, daß der Mensch in einem Zustand lebt, den man als „Elend“ kennzeichnet. In einer durch „Elend“ gekennzeichneten Situation' ist der Christ durch seine animalisch bestimmten Bemühungen, zu überleben, derart an das Irdische, an den „Boden“, gebunden, daß es ihm nicht möglich ist, gleichsam in einem „aufrechten Gang“, in Orientierung an den absoluten “Wahrheiten, das Christliche an sich und am Nächsten zu vollziehen. Wie ist etwa Näch^ stenliebe aktivierbar, wenn man selbst kaum Überlebenschancen vorfindet? Daher müssen in der „Welt“ optimale soziale Bedingungen gegeben sein oder geschaffen werden, die etwa ein Leben in Freiheit von Not gestatten. Der Christ ist — entgegen keineswegs lieblichen romantischen Verzeichnungen — nicht interesselos, auch nicht im ökonomischen Sinn. Wenn das behauptet wird, steckt hinter dem Einreden entweder die Orientierung an inemr marginalen Menschenbild-.'oder gar ein Gegeninteresse.

• Da nun der Mensch erst durch eine Sozialisierung unter christlichen Aspekten zum Christen wird und daher kein „geborener Christ“ ist, muß von Personen, die an einem Aufwuchs des Christlichen interessiert sind, auch auf die kulturellen Sozialisierungsinstrumente, vor allem auf jene des sekundären Bereiches (z. B. die Schule), Einfluß genommen werden. Wir sehen, daß etwa in Hessen, im Musterland einer „links“-bürgerlichen bundesdeutschen Anarchopädagogik, die ihre Macht durch ein sozialistisches Vokabular abzusichern sucht, allmählich Leitbilder und Wertvorstellungen, welche eine Schule ex offo vermitteln soll, geändert werden. Dadurch will man jene Verhaltensmasken produzieren, die sich in einem Anarchismus in Permanenz aktualisieren. Während die Polit-funktionäre im Hintergrund gefahrlos ihre Pfründen genießen und etwa ihre Kinder in das vornehme Internat nach Salem schicken. („Rheinischer Merkur“, 11/1975, S. 4.) • Ähnlich Ist es, falls man eine billige Sexualreform an die Stelle von Sozialreform setzt und das Menschliche am Menschen lediglich „unter-^ leiblich“ interpretiert. Wie kann sich in einer nach nur-animalischen Leitbildern konstituierten Kultur das Christliche aktivieren?

Im öffentlichen Leben gibt es freilich Bereiche, die von absoluten Werten her neutral sind. Politischer Katholizismus war stets der Gefahr ausgesetzt (wie auch der Uberzeugungssozialismus), in seine Leitbilder wertneutrale Denk- und Verhaltensmuster zu inkorporieren und sie gleichzeitig zu „taufen“. Dadurch ist es zu einem Engagement des politischen Katholizismus in Bereichen gekommen, die einen nur-technolo-gischen Kern aufweisen. Man denke an die Probleme um die Marktformen oder an die „Taufe“ eines unvollziehbaren Tauschsystems, das man zynisch „freie“ Marktwirtschaft nennt. Ich erinnere an die substanzlosen Debatten um ein bis jetzt nicht einmal angemessen definiertes „Privateigentum“, das vielfach zum Rang einer idealtypischen „katholischen“ Eigentumsform erhoben wurde. Ähnlich ist die heillose Verwirrung mancher Formen des Sozialismus, in denen man in einer Ziel-Mittel-Vermengung das Mittel „Eigentumsordnung“ zum Ziel valorisiert und dabei den konkreten Menschen vergißt.

Da für die Welt bestimmt, ist der Katholizismus unvermeidbar und oft — ohne daß seine Vertreter dies wollen — ein politischer. Ein apolitischer Katholizismus, das Traumziel aller Anhänger einer Staatskirche — in Österreich aller Josefinisten — widerspricht der Logik des Katholischen.

Die allmählich peinliche Verwechslung des politischen mit einem parteipolitischen Katholizismus hat übersehen lassen, daß dieser eine Erscheinung ist, die nicht der Natur ^des Katholischen eingeboren ist, sondern eine historische Reaktion von Katholiken auf die Stimuli eines Kulturkampfes. Die „Propo-nentenkomitees“ von deklariert oder faktisch katholischen Parteien sind daher auch bei den Gegnern von Kirche und Katholiken zu suchen.

Wie immer man den Katholizismus zu definieren versucht, das Politische an ihm ist ein Unvermeidbares, etwas, das in der Natur des Katholischen angelegt ist.

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