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Wohin kommt der Papst ?

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In welches Österreich kommt der Papst fünf Jahre nach seinem ersten Besuch? In ein Land, dessen moralischer Grundkonsens dringend erneuert werden müßte.

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In welches Österreich kommt der Papst fünf Jahre nach seinem ersten Besuch? In ein Land, dessen moralischer Grundkonsens dringend erneuert werden müßte.

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In der schwelenden Krise Österreichs - die im Kern eine moralische ist — stellt der bevorstehende Besuch von Papst Johannes Paul II. eine Chance dar, wie sie vor wenigen Monaten noch nicht zu vermuten war.

Viel deutlicher stehen die Möglichkeiten der inneren Sammlung und Klärung dessen, was seelisch verstört und zerstreut wirkt, vor unseren Augen. Die politischen Spannungen im Zusammenhang mit der Causa Waldheim, die gesellschaftlichen Entsolidarisie-rungsprozesse (als Folge der Krise der Verstaatlichten Industrie oder der Budgetsparmaßnahmen) sowie ein Pandämonium von Korruptions- und anderen Affären haben ja das große Ausmaß der Malaise offenbart. Im Sumpf der Skandale haben viele eine Ahnung von jener moralischen Bodenlosigkeit verspürt, die entsteht, wenn ein Gemeinwesen den Begriff des Gemeinwohls verliert.

In einer solchen Situation vielschichtiger Verwirrung steigt das Verlangen nach Orientierung und Autorität. Politisch gesehen können damit gewiß auch Gefahren verbunden sein: der Wunsch nach einem „starken Mann“, das Aufkommen von „terribles simplifi-cateurs“ et cetera. Die Sphäre des Papstbesuches ist damit jedoch nicht berührt.

Johannes Paul II. hat es in der Hand, sich durch Worte der Zuneigung und Anerkennung, der Klarheit und Wahrheit als Freund Österreichs zu zeigen und damit wie kaum ein anderer einen Beitrag zum inneren Frieden und zur Versöhnung zu leisten. Dies scheint momentan von fast ebenso großer Bedeutung zu sein wie der eigentliche pastorale Besuchszweck der Glaubensstärkung. Gleich wichtig auch wie der kirchenpolitische Blick über die Grenzen hinweg an der vielleicht entscheidenden Ost-West-Nahtstelle eines Europa, dessen Identität nur in seinen christlichen Wurzeln zu finden ist.

In welches Österreich kommt der Papst? Es ist ein Österreich mitten im Uber gang, mit viel Verunsicherung und Gereiztheit, dem Gefühl einer gewissen Vereinsamung nach den Turbulenzen um Bundespräsident Kurt Waldheim und die sogenannte „Vergangenheitsbewältigung“. Trotz aller Skandale ist Österreich keine Bananen-Republik oder Räuberbande. Es geht ja keine Demontage des Staates oder seiner Institutionen vor sich, sondern eine längst überfällige Demontage korrupter Verhältnisse.

Zum anderen war die langgeübte Hinnahme der Skandale in achselzuckender Gleichgültigkeit in gewisser Hinsicht noch schlimmer als die Skandale selbst. Denn die Bagatellisierung unterhöhlte permanent das, was „politische Verantwortung“ heißt.

Statt der Bemühung um eine Unterscheidung zwischen Gut und Böse wird in einer Zeit des Pluralismus, der weithin als Relativismus verstanden wird, und im Zeichen der „Entideologisie-rung“, die als Versachlichung aufgefaßt wird, häufig das Kind mit dem Bade ausgegossen. In der Politik hält man sich hauptsächlich oder nur mehr an ein System sozialer Nützlichkeitserwägungen. Auch in Österreich ist damit der Egoismus zu einem geradezu „positiven“ Steuerungselement der Gesellschaft geworden, während der Begriff des Gemeinwohls verdunstet.

Seit dem ersten Papstbesuch 1983 hat sich also auch in Österreich die Glaubwürdigkeitskrise der Politik erheblich verschärft. Die vielzitierte Politikverdrossenheit wurde ihrerseits durch eine wachsende Verantwortungsscheu von Menschen genährt, die einer Art „Zuschauerdemokratie“, das heißt privatistischen Lebensmodellen den Vorzug geben und vor lauter Selbstverwirklichung den Blick für die unerläßlichen sozialen Bindungswerte verlieren.

Analog gab und gibt es auch unter Christen die Flucht in eine öffentlichkeits- und gestaltungsunwillige Nischenfrömmigkeit. Doch scheint bereits eine Gegenbewegung begonnen zu haben mit dem Ziel, ein unterscheidbares, klar konturiertes Christentum gesellschaftlich wieder wirksamer zu machen. (Dabei ist zwar die Gefahr eines katholischen Neo-Integralismus gering, aber doch nicht ganz übersehbar.)

Wenn man nach den Gründen der wachsenden Desorientierung fragt, dann sollten zwei Faktoren besonders hervorgehoben werden: die Pluralismusproblematik, verschärft durch die zunehmende gesellschaftlich-technische Komplexität, und das Umsichgreifen einer diffusen Angst.

„Man will den Pluralismus als Ausdruck moderner Subjektivität für sich, hält ihn aber als gesellschaftlich-kulturelle Wirklichkeit nur schwer aus“, beschreibt der katholische Publizist David Seeber das Lebensgefühl vieler Zeitgenossen, die heute wieder für fundamentalistische Strömungen (auch in der Kirche) anfällig werden. In diesem Zusammenhang spielt die namen-und gestaltlose Angstwelle eine große Rolle. Sie ist in Österreich für die Aggressivität, das wachsende Freund-Feind-Denken und die Vernaderungsbereitschaft mitentscheidend.

Auch innerkirchlich forcierten manche betont konservative Kräfte das Bild einer „belagerten Festung“—mit der wenig christlichen, weil angstbestimmten Konsequenz, Hoffnung vor allem in Geschlossenheit, Gehorsam und Disziplin zu sehen. Im linken Milieu Österreichs ist dies als Indiz für einen fundamentalistischen „Rückzug ins Mittelalter“ und für die Gefahr eines neuen Polit-Ka-tholizismus gedeutet worden. Als Folge konnten da und dort im sozialistischen Bereich eine ideologische Aufladung, eine Abgrenzungstendenz und eine antikirchliche Stimmungsmache beobachtet werden.

Vor dem Hintergrund solcher nicht ungefährlicher Regressionserscheinungen sind auch die Spannungen im Zusammenhang mit den letzten Bischofsernennungen in Österreich zu sehen. Doch zugleich hat die Lebendigkeit der innerkirchlichen Auseinandersetzung gezeigt, daß es trotz aller Bremser, die das Rad der Entwicklung zurückdrehen möchten, keinen Weg zurück hinter das Konzil geben wird. Ganz allgemein könnte daher von den Christen in Osterreich am ehesten die Fähigkeit erwartet werden, die vielfältigen Ängste in unserem Land zu überwinden und einen Ausbruch aus dem gegenwärtigen Engpaß zu finden.

Mehr denn je ist dies daher die Stunde der Laien. Sie selbst bestimmen über das Maß ihrer Mündigkeit.

Der Autor ist Präsident der Katholischen Aktion Österreichs. Kurzfassung eines Vortrags beim Studientag „Papstbesuch 1988“ der Katholischen Medienakademie im April 1988 in Salzburg.

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