7033378-1989_40_01.jpg
Digital In Arbeit

Zögernde Annäherung

Werbung
Werbung
Werbung

Im vatikanischen Staatssekretariat herrscht seit einigen Wochen Hochbetrieb. Einzelne Abteilungen fassen Teilberichte zusammen, damit Papst Johannes Paul II. die aktuellen pastoralen Anliegen der Katholiken in der UdSSR sowie grundsätzliche Fragen der sowjetisch-vatikanischen Beziehungen beim Empfang des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow in der letzten Novemberwoche vortragen kann. Nach sowjetischen Mitteilungen hat nun

auch der Vatikan die Audienz des Kremlführers beim Papst bestätigt.

Die päpstliche Audienz für den sowjetischen Führer geht auf zahlreiche Vorbereitungsschritte in den letzten 18 Monaten zurück. Nach den reaktivierten Unterredungen zwischen dem Kreml und dem Vatikan im Vorfeld der historischen Begegnung Gorbatschows mit Ca-saroli im Juni 1988 haben beide Seiten de facto Kanäle für Verhandlungen in bezug auf die aktuellen Nöte der Katholiken in der UdSSR gefunden. Die Wiederherstellung der katholischen Hierarchie in Litauen, die Ernennung eines Apostolischen Administrators für Weißrußland, eine direkte vatikanische Bibelaktion sowie mehrere Reisen polnischer Bischöfe in die westlichen Republiken der Sowjetunion kennzeichnen eine Wende.

Die spürbaren Erleichterungen für die Katholiken in der UdSSR - die je nach Republik sofort oder nach hartem Ringen gewonnene Registrierung von Gemeinden und sogar Genehmigungen für den Bau von Kirchen - werden durch außenpolitische Signale komplettiert. Sowjetische Diplomaten scheuen den Kontakt mit vatikanischen Nuntien nicht, und die zahlreich in Italien eingetroffenen Gruppen von sowjetischen Künstlern und Journalisten tauchen bei Generalaudienzen des Papstes auf. Die Erlaubnis einer baldigen Ernennung eines römischkatholischen Bischofs in Lemberg sei als nächster Schritt der konstruktiven Reaktionen der Sowjetführung auf die vatikanische Pastoraldiplomatie zu erwarten.

Allerdings fehlte den vatikanischen diplomatischen Vorstößen bisher eine geregelte Verhandlungsbasis mit dem Kreml. Das Memorandum und Schreiben des Papstes an Gorbatschow, das Casaroli persönlich im Kreml überreichte, blieb sehr langeunbeantwortet. Erst Ende August traf ein persönlicher Vertreter Außenminister Edward Schewardnadses, Jurij Karlow, mit Gorbatschows Antwort ein. In italienischer Sprache verfaßt, soll das Schreiben Gorbatschows kaum auf die konkreten Themen des Memorandums eingehen, wohl aber grundsätzliche Verhandlungsbereit-

schaft bekunden. Dem Vernehmen nach seien Lösungen von „Problemfragen in den bilateralen Beziehungen“ Anliegen des Kremls.

Die Audienz für Gorbatschow wird keine schnellen Ergebnisse herbeiführen. Die vatikanische Anerkennung der sowjetischen Westgrenze wird der internationalen nicht vorausgehen. Die separatistischen Vorstöße im Baltikum warnen sogar davor. Auch die Frage der Legalisierung der ukrainisch-katholischen Kirche sei ein kaum lösbares Problem. Hier wird das Problem einer kulturellen Bindung des Sowjetführers an die russisch-orthodoxe Kirche berührt.

In der Tradition dieser Kirche erzogen und auf Unterstützung dieser Kirche für seine Reformschritte hoffend, muß Gorbatschow mit der Gefahr einer Liierung seiner Parteigegner mit dieser Kirche rechnen, wenn er wohl aus pragmatischen Gründen wegen der innenpolitischen nationalistischen Spannungen und nach außenpolitischen Überlegungen seiner Menschenrechtspraxis wegen die Legalisierung der ukrainisch-katholischen Kirche zuläßt.

Einerseits ist dem Kremlführer die Zahl ausländischer, auch österreichischer, Regierungsanfragen über die unierte Kirche bekannt. Beim jüngsten Treffen des amerikanischen Außenministers James Baker mit seinem Amtskollegen Schewardnadse wurde die Frage der Wiederzulassung der ukrainischkatholischen Kirche erneut erwähnt. Andererseits weiß der Sowjetführer um die massiven Widerstände in der russisch-orthodoxen Kirche. Drei Metropoliten dieser Kirche, die wohl unter Druck der Sowjetführung nach Rom reisten und in terminlicher Nähe zum Eintreffen Jurij Karlows vom Papst empfangen wurden, überreichten ein Schreiben des Patriarchen Pimen, das auf die kanonische Legalität der Lemberger „Wiedervereinigungssynode“ von 1946 beharrt und den ukrainischen Katholiken das Recht auf Registrierung, allerdings ohne Bekenntnis zum byzantinischen Erbe, einräume. Dem Vernehmen nach habe der Papst diese Bedingungen abgelehnt. Das Letztgenannte würde ein Scheitern aller vatikanischen Unionsmodelle bedeuten.

Die grundsätzliche Verhandlungsbereitschaft der Sowjetregierung und das wohl als Positionspapier zu bewertende Schreiben des Patriarchen Pimen liefern schon den Ton für den Verlauf der künftigen vatikanischen Ostpolitik: Zunächst wird wohl die Rückgewinnung jener katholischen Positionen in der UdSSR angestrebt werden, die infolge der früheren restriktiven sowjetischen Religionspolitik verlorengingen. Spekulationen über einen baldigen Papstbesuch in Moskau sind voreilig. Der sowjetische Botschafter in Rom, Nikolaj Lunkow, hat vor „übereilten“ Erfolgen gewarnt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung