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Theresianisten und Josephinisten
RATIONALISMUS IN DER POLITIK. Von M. Oakeshott. Luchterhand-Verla{, Neuwied und Berlin, 1966. 362 Seiten. DM 28.—.
RATIONALISMUS IN DER POLITIK. Von M. Oakeshott. Luchterhand-Verla{, Neuwied und Berlin, 1966. 362 Seiten. DM 28.—.
Das Buch vereinigt in sich zehn Essays, die Ende der vierziger Jahre und in den fünfziger Jahren entstanden sind. Obwohl sie keine fertige Lehre ergeben, lassen sie eine konsequente Haltung erkennen. Oakeshott, Inhaber des Lehrstuhls für politische Wissenschaft an der zur Universität London gehörenden London School of Economies and Political Science, rechnet mit dem modernen Rationalismus ab, der sich seiner Meinung nach in der gesamten Politik breitgemaeht hat. Wer ist ein Rationalist? Derjenige, der stets für die Unabhängigkeit des Geistes in allen Situationen eintritt, „für ein Denken, das von der Verpflichtung gegenüber jeder Autorität mit Ausnahme der Autorität der ,Ratio’ befreit ist… Er ist der .Feind’ des Aehtungheiischenden, des Glaubens an die Verbindlichkeit des Althergebrachten, der Feind der bloßen Tradition, des Nur-Üblichen •oder der einfachen Gewohnheit. Seine geistige Haltung ist skeptisch und optimistisch zugleich: Skeptisch, da er ohne Zögern jede Anschauung, jede Gewohnheit und jede Überzeugung — mögen diese noch so fest verwurzelt oder allgemein akzeptiert sein — in Frage stellt und am Maßstabe dessen, was er .Ratio’ nennt, mißt; optimistisch, weil der Rationalist niemals an der Fähigkeit seiner .Ratio’ zweifelt, den Wert einer Sache, die Wahrheit einer Meinung oder die Richtigkeit einer Handlung zu bestimmen”.
Man hat Oakeshott auf Grund seiner Meinungen als „Tory-Anarchisten” und als „Konservativen reinsten Wassers” kritisiert. Und konservativ ist Oakeshott, wenn er sagt: Politisches Handeln soll in Übereinstimmung mit überlieferten Formen des Handelns, in Anlehnung an vor- | handene Traditionen erfolgen. Diese Traditionen haben in bestimmten Einrichtungen und Verhaltensformen I Niederschlag gefunden; sie sind die j vorhandenen politischen Institutio- I nen, Gesetze und politischen Entscheidungen, aber auch politischen Sitten. Konventionen und Gewohnheiten. Das Vorhandensein und die Anerkennung solcher tradierter Formen faktischen Handelns, konstituieren die einzelnen Gemeinwesen, die sich durch jeweils spezifische Formen politisier Praxis unterscheiden. An ihnen wird das Besondere j des Gemeinwesens, sein eigenständi- [ ger und eigenartiger Charakter I wahrnehmbar. Das Ensemble dieser Formen ist nichts Abgeschlossenes und Fertiges. Der Rationalist will aber Perfektion. Er will die Unvollkommenheit um jeden Preis aus der Welt schaffen. Er möchte die Perfektion mittels Ratio durchsetzen; -isoliert von Tradition und Gegebenheiten, Orientiert an abstrakten Denkmodellen, betreibt er Politik. Er vergißt, daß Denken und Handeln nicht ein und dasselbe sind; er erkennt nicht, daß eigentliches politisches Handeln auf einer tiefen Kenntnis der Besonderheiten eines Staates beruht und auf die Förderung dieses eigenständigen Charakters abzielen soll.
Nach Oakeshott muß politisches Handeln versuchen, sich an den jeweiligen Traditionen politischen Handelns zu orientieren. Aus den tradierten politischen Verhaltensweisen ist das Besondere und Spezifische herauszulesen. Politisches Handeln besteht in der Verwirklichung von Möglichkeiten, die im Zusammenhang der Tradition bereits angelegt sind; es ist im wesentlichen „an activity of amendment”. Im einzelnen wird man Oakeshott widersprechen müssen, im großen und ganzen wird man ihm recht geben können.
Für uns Österreicher ist Oakeshott besonders interessant; nicht nur, weil er die Zerschlagung der Doppelmonarchie dem Rationalismus anrechnet, sondern auch, weil wir noch immer zu wenig die Maximen unserer Politik der Geschichte entnehmen. Dadurch verlieren wir an Substanz ohne Lösungen zu finden. Es läßt sich im übrigen feststellen, daß in der österreichischen Geschichte auf oakeshottische Staatsmänner häufig Rationalisten folgten und umgekehrt. Politik dm Sinne Oakeshotts wurde von Maria Theresia betrieben, Politik im Sinne des modernen Rationalismus von Josef II. Es wäre reizvoll, bis herauf zur jüngsten Gegenwart unsere Staatsmänner in „Maria-Theresianisten” und „Josefi- nisten” einzuteilen.
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