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Auf dem Rücken der Patienten

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Standesinteressen stehen wieder einmal gegen die Interessen der Gesamtheit. Und diesmal klingen die Standesinteressen sogar sympathisch, weil die Öffentlichkeit dem Berufsstand der Ärzte von Haus aus ein Höchstmaß an Goodwill entgegenbringt. Doch durch den vertragslosen Zustand zwischen Teilen, der Ärzteschaft und Teilen der Versicherten droht der Bau der sozialen Sicherheit ernsthaft ins Wanken zu kommen.

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Standesinteressen stehen wieder einmal gegen die Interessen der Gesamtheit. Und diesmal klingen die Standesinteressen sogar sympathisch, weil die Öffentlichkeit dem Berufsstand der Ärzte von Haus aus ein Höchstmaß an Goodwill entgegenbringt. Doch durch den vertragslosen Zustand zwischen Teilen, der Ärzteschaft und Teilen der Versicherten droht der Bau der sozialen Sicherheit ernsthaft ins Wanken zu kommen.

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1967 forderten die Ärzte erstmalig eine Revision des seit zehn Jahren hochgehaltenen bundeseinheitlichen Zahnarzttarifs bei der Beamten- und Eisenbahnerkrankenkasse. Man kündigte den Vertrag, blieb aber zunächst allein, weil sich die Dentisten nicht anschlössen. Zur Unterstützung ihrer Kollegen verlängerten aber die praktischen und die Fachärzte die Verträge nicht mehr, die im Juni 1968 mit den genannten Krankenkassen ausliefen. Vorläufig wurde der vertragslose Zustand hinausgeschoben und schließlich schlössen sich auch die Dentisten - den Zahnärzten an.

Die Trotzreaktion kam prompt. Die Eisenbahnergewerkschaft kündigte an, sie wolle notfalls streiken, um gegen die Ärzte durchzukommen — und erntete damit wenig Sympathie. Denn was können die ÖBB-Fahr-gäste dafür, wenn sich' die Zahnärzte nicht mit den Eisenbahnern einigen können? Ebenso ging der Vorwurf ins Leere, man wolle die Öffentlichkeit „gegen die Ärzte mobilisieren“; denn die Repräsentanten des öffentlichen Lebens, vor allem das zuständige Ministerium und nunmehr auch der Bundeskanzler, bemühen sich um eine Lösung des Konflikts. Was nun droht, ist der Totalkonflikt der Ärzteschaft mit einem großen Teil der österreichischen Versicherten,

Der eingeschlagene Weg der Ärzteführung scheint aber heute nur noch vom Erfolgsdenken bestimmt zu sein. Doch reformiert man so das brüchige Sozialsystem, trifft man so das Übel an der Wurzel? Denn das Wollen der Ärzte war ja immer darauf gerichtet, „in unseren Beziehungen zu den Krankenkassen vielleicht von alten Normen“ abzugehen, wie Ärztekammerpräsident Dr. Fritz Daume meint.

Eine solche Forderung richtet sich grundsätzlich aber zuerst an den Ärztestand selbst. Ist er wirklich so selbstlos, wie er dargestellt wird, und ist der Arzt bei aller Anerkennung seiner wichtigen Leistung wirklich so schlecht entlohnt?

Die vorgebrachten Argumente scheinen nicht immer ganz zu stimmen. Was muß sich etwa eine Öffentlichkeit denken, wenn man die Kenntnis überfüllter Wartezimmer vor Augen hat, daß Österreich angeblich zu viele Ärzte habe? Dr. Daume rechnet vor, daß Österreich ärztlich besser versorgt sei als andere europäische Länder und daß deshalb niemand Medizin studieren solle. Doch im Burgenland betreut ein Arzt viermal so viele Patienten wie in Wien, die Zahl der praktischen Ärzte als auch der Zahnärzte ging im letzten Ver-gleichszeitraum um 68 zurück. Und schon 1967 sah sich das Sozialministerium veranlaßt, durch ein Gesetz dem Landärztemangel abzuhelfen. (Woraus bis heute nichts wurde.) Drückt man also nicht fast mit Gewalt die Ärztezahl herunter, um für die bestehenden Wartezimmer noch mehr Patienten zu haben? Dabei scheinen sich in der schwelenden Frage der Bauemkranken-kasse in der letzten Zeit Lösungen anzubahnen. Ein Vorschlag der Ärzte sieht eine Honorargestaltung auf Grund von gebundenen Tarifen und das Inkasso der Kostenaniteile von 20 Prozent durch die Ärzte vor. Damit könnte endlich ein Schlußstrich unter einen leidigen Prestigekrieg gezogen werden., Denn die Volksgesundheit erfordert eine rasche Lösung:

• Der Gesundheitszustand der

bäuerlichen Bevölkerung ist miserabel, weil man nach wie vor auf dem Land erst dann zum Arzt geht, wenn es vielfach bereits zu spät ist. Nur ein vollfunktionierendes Kassensystem für die Bauern kann auf die Dauer Verbesserungen bringen.

• Dafür werden die finanziellen Krisen der übrigen Krankenkassen in Österreich immer akuter. Eine Grippeepidemie im Bundesausmaß kann über Nacht die Zahlungsunfähigkeit mehrerer Institute herbeiführen.

Sorgt man also nicht rechtzeitig vor, wird man Regierung, Parlament, aber auch die Sozialpartner mit Recht verantwortlich machen müssen. Denn die ärztlichen Leistungen werden in der Epoche transplantier-ter Herzen noch teurer werden, verlängertes Alter und neue Zivilisationserkrankungen werden unweigerlich zur Kostenschere werden. Zwei vernünftige Erstvorschläge werden unter den Fachleuten diskutiert:

Der Patient soll bei der Erhaltung seiner Gesundheit mitverantwortlich sein und durch einen Selbstbehalt einen Teil der Kosten selbst tragen, „... weil Kopfwehpulver um acht Schilling das Budget des einzelnen kaum belastet“ (Dr. Daume). Auf diese Weise würden die Krankenkassen nur dann helfend einspringen, wenn der Patient nicht mehr zur selbständigen Heilung beitragen kann.

Der zweite Vorschlag sieht eine „Dynamisierung“ der Leistungen durch die Versicherten vor. Und hier könnte man auch überdies die „Dynamisierung“ der Honorare für die Ärzte in Erwägung ziehen — denn nur dadurch kann man auf Dauer die Querelen auf dem Rücken der Patienten ausschalten. Jedenfalls, es geht darum, den Patienten wieder zu vernünftigerer Einschätzung der ärztlichen Leistung durch spürbare Mitbeteiligung zu erziehen — und den Arzt daran zu erinnern, daß er weder ein Angestellter ist (und jemals werden soll) noch ein Basarhändler, der durch seinen Interessenverband der Gesellschaft dort auf den Fuß tritt, wo es die Allgemeinheit besonders schmerzt.

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