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Mit den Augen des Arztes

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In dem Artikel „Eine Sozialcharta für die Bauern“ (Furche Nr. 30) nimmt Hans Ströbitzer, St. Pölten, zu einem Problem Stellung, das — von höchster Aktualität — noch lange Zeit die Öffentlichkeit über die unmittelbar betroffenen Kreise hinaus beschäftigen wird. Obwohl jeder fortschrittlich denkende Mensen in diesem Lande Verständnis für den Anspruch der Bauern auf soziale Absicherung im Krankheitsfall aufbringen wird, haben doch gerade die jüngst auf diesem so wichtigen Gebiete erfolgten gesetzlichen Regelungen Voraussetzungen geschaffen, die durch Nichtberücksichtigung betroffener Interessenvertretungen den Keim ernster Spannungen in sich tragen, aber auch durch besondere Umstände, wie die Gewährung eines Staatszuschusses, andere weitreichende Folgerungen nach sich ziehen können. Aus diesen Gründen erscheint es daher mehr als wichtig, zu dem genannten Artikel kritisch Stellung zu nehmen.

Wirklich neue Wege?

Der Verfasser ruft den Eindruck hervor, daß das Bauernkrankenver-eicherungsgesetz vollkommen neue Wege gegangen ist. Jeder Fachmann wird ihm aber bescheinigen müssen, daß dem absolut nicht so ist. Es ist ja gerade das hervorstechendste Merkmal dieser Entwicklung, daß sich die Bauernkrankenversicherung eng-stens an die bereits bestehenden Regelungen der ASVG-Krankenkas-sen anlehnt. Mit Bestürzung wurde von politisch Hellsichtigen vermerkt, daß hier eine nie wiederkehrende Chance nicht wahrgenommen wurde. Es wäre nämlich gerade hier die einmalige Gelegenheit gewesen, den Beweis zu erbringen, daß eine Krankenversicherung nach anderen Grundprinzipien wie die jetzt bestehenden Kassen mit ihren bekannten Fehlern und Mängeln genauso gut oder noch besser funktionieren könnte. Das wirklich einzig Neue an diesem Gesetz ist die Tatsache, daß nun alle Bauern zwangsversichert sind. Dem Verfasser fällt daher auch der Verlust gewisser Freiheiten zugunsten einer Stärkung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz der Bauern auf, „deren Höchstwerte seit alters her Eigentum und Freiheit waren“.

Wenn erwähnt wird, „die zwanzig-prozentige Beteiligung der Versicherten an den Kosten schiebt hingegen dem Mißbrauch dieses Sozialinstitutes einen Riegel vor; es ist möglich, daß dieser erste Versuch auch einmal Vorbild für andere Krankenkassen werden wird“, so muß man darauf hinweisen, daß auch dies keineswegs ein Novum darstellt. Sowohl die Krankenversicherungsanstalt für Bundesangestellte als auch die Versicherungsanstalt der Eisenbahnen haben schon seit Jahr und Tag einen solchen Selbstbehalt.

Wenn weiters festgestellt wird, „die Vertreter der Bauernversicherung sind natürlich dafür, daß womöglich alle Bauern auf Krankenschein behandelt werden sollen“, so besteht der einzige Unterschied nur in der Weltanschauung derjenigen, die dieselbe Forderung für andere Versichertenkreise seit eh und je vorbringen.

Auch die Grundhaltung zum Prinzip der Solidarität ist ganz gleich geblieben. Einer falsch verstandenen Solidarität nämlich. Nachdem es sich doch offensichtlich um eine „Sozial“-versicherung handelt, ist unseres Erachtens die Solidarität, des ,.Aile-fürEinen“, in Verbindung mit dem Sub-sidiaritätsprinzip nur für die sozial Bedürftigen zutreffend. Der Begüterte braucht ja die Solidarität der weniger Begüterten nicht. Es soll auch bei den Bauern jenes sinnwidrige Zerrbild einer segensreichen Sozialentwicklung kopiert werden, die den Arzt zwingt, den im Mercedes vorfahrenden Generaldirektor zum gleichen Sozialtarif zu behandeln wie den Hilfsarbeiter; die demjenigen, der sich einen Kuraufenthalt selbst leisten könnte, die gleiche Hilfe gewährt wie dem armen Teufel.

Es ist In dem gleichen Aufsatz von einer „zweiten Einkommensverteilung“ die Rede, einem Begriff, der in einem ganz anderen Lager seine tiefen Wurzeln hat. Wenn zugegebenermaßen die Bauernschaft gewichtige Argumente einer sozialen Benachteiligung anführen kann, so bleibt doch das bittere Empfinden, daß man Ideen dieser Art schon anderswo gekonnter vorgeführt bekommen hat.

Am Rande, aber deswegen nicht weniger gravierend, ist noch zu bemerken, daß die Gefahr eines „grünen Zentralismus“ kaum Ins Gewicht fällt. Wesentlich erscheint uns vielmehr, daß die Bauernkrankenversicherung ein Glied des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger geworden ist, und dieser trägt eine andere Farbe als die Mehrheit der Bauern! Mögen die Bauern diesen Schritt nie bereuen müssen.

Was nicht bedacht wurde

Die „Presse“ schreibt in ihrer Ausgabe vom 21. Juli 1965: „Wer geglaubt hatte, mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Errichtung der Bauernkrankenversicherung im Nationalrat würden sämtliche Einwände ob der vollendeten Tatsache im Nichts zerstieben, sieht sich getäuscht. Die Protestwelle geht weiter — nun gegen das neue Gesetz. Die Ärztekammer, die sich durch die eilige Beschlußfassung im Parlament nicht ganz zu Unrecht an die Wand gedrückt fühlte, fuhr mit schwerem Geschütz auf. In einer Protestresolution wurde die steirische Ärztekammer sehr deutlich: Wenn die ärztliche Versorgung der bäuerlichen Bevölkerung ernstlich gefährdet werde und die steirischen Ärzte sich für eine vertragliche Behandlung auf Grund der derzeitigen gesetzlichen Situation nicht zur Verfügung stellten, so sei dies einzig Schuld derjenigen, die auf eine solchermaßen

,überstürzte' Beschlußfassung gedrängt hätten. Ein Boykott von Seiten der Ärzte ist damit drohend an die Wand projeziert worden.“

Es drohen aber auch noch andere ernste Gefahren für die künftige gesundheitliche Betreuung der Landbevölkerung, über die man nicht kurzsichtig hinwegschauen sollte. Es liegt auf der Hand, daß nun die Privatpatienten beziehungsweise Klassenpatienten In den Landkrankenhäusern auf ein Minimum herabsinken werden. Diese Verminderung der Klassenpatienten wird wahrscheinlich das ohnehin schon enorme Defizit der Landkrankenhäuser, das durch die ungenügenden Tagesver-pflegsätze der Krankenversicherungsträger zustande kommt, noch weiter in die Höhe treiben. Wer aber wird dieses zusätzliche Millionendefizit tragen? Das Absinken der Honorare der Landprimarärzte wird möglicherweise dazu führen, daß noch weniger Anreiz wie bisher bestehen wird, kleine Landprimariate zu übernehmen. Es werden sich immer weniger Kliniker bereit finden, nur für das Krankenhausgehalt allein die offenkundigen ärztlichen, gesellschaftlichen und familiären Nachteile einer solchen Laufbahn auf sich zu nehmen. Eine negative Auslese wäre die Folge.

Eine Bettenknappheit ist aus der Tatsache abzuleiten, daß der Krankenhausaufenthalt nun leichter erreichbar ist und der Wille zur Hauspflege bei mittelschweren Fällen dadurch bei den Patienten, aber auch infolge des Honorierungssystems bei den Ärzten abnehmen wird. Wer wird die erforderlichen Erweiterungsbauten finanzieren?

Akuter Ärztemangel

Das Problem der Landflucht der Ärzte ist sicher nicht mit einer kommenden „Überproduktion“ von Medizinern zu lösen, denn Österreich ist heute schon ein Land mit einer der größten Ärztezahlen, bezogen auf die Bevölkerung. Und doch gibt es schon jetzt Teile unseres Landes, vor allem gebirgige und entlegene Gegenden, in denen akuter Ärztemangel besteht. Der Verfasser des Artikels über die Sozialcharta gibt zu, daß „das Leben eines Landarztes naturgemäß anstrengender und entbehrungsreicher als das seines Kollegen in der Stadt ist“. Er schreibt aber weiter: „Es liegt an der Gesellschaft, diese Berufe zu fördern und noch attraktiver zu machen.“ Er meint doch nicht am Ende — jetzt von den Ärzten aus gesehen —, daß dies durch die Bauernkrankenversicherung geschehen ist. Die Ärzte kann man so nicht auf dem Land halten. Denn niemand arbeitet gerne mehr um weniger Geld. Auch nicht die Ärzte.

Schließlich wird noch gesagt, daß „die bäuerliche Pflichtversicherung zu einem höheren Status der Volksgesundheit beitragen wird“. Dies ist zu hoffen. Es möge aber auch bedacht werden, daß eine Krankenkasse nur gewisse Voraussetzungen zu schaffen vermag. Es wird sioh auch sonst noch viel ändern müssen; etwa die hygienischen Verhältnisse, die einseitigen Ernährungsgewohnheiten und anderes mehr, denn auch hier gilt: Vorbeugen ist besser als heilen.

Der Bauernstand ist bis auf den heutigen Tag der Kern unseres Volkes geblieben. Diesen Kern gesund zu erhalten ist eine wesentliche Aufgabe. Ob der eingeschlagene Weg der beste gewesen ist, wird die Zukunft zeigen.

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