Gastarbeitermodell aus der Mottenkiste

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Beim Integrationspaket geht es vorrangig um politische Signale, und es geht um rhetorische Selbstvergewisserung.

Konstruktiv Kritik üben, heißt Alternativen zu entwickeln. Die Kirchen, Caritas und Diakonie, unterbreiten seit Monaten Vorschläge und leben Integrationsmodelle vor. Doch unsere Kritik sei nichts wert, hat uns der Klubobmann der christlichsozialen Partei Andreas Khol ausrichten lassen. Da fragt man sich, ob wir wirklich dieselben Ziele - Spracherwerb, soziale Besserstellung der MigrantInnen und deren Integration - im Auge haben?

Warum ein schlechtes Modell wählen, wenn es bessere gibt? Der niederländische Integrationsvertrag z. B. ist arbeitsmarktbezogen und gestützt auf die drei Säulen Förderung und Unterstützung von Migranteninitiativen, rechtliche Gleichstellung und Überwindung sozialer Ungleichheiten.

In die Sprachförderung investiert die niederländische Regierung beinahe zwei Milliarden Schilling, die Sprachkurse betragen 600 Stunden. Die Ausweitung auf 900 Stunden wird diskutiert. Im Gegensatz zum österreichischen Entwurf sieht jener der deutschen Regierung eine Anspruchsberechtigung auf Kursbesuch für alle Migranten mit Niederlassungsberechtigung vor. In den Niederlanden können seit 1985 alle Zuwanderer, die fünf Jahre im Land leben das aktive und passive Wahlrecht zu den Kommunalparlamenten ausüben und haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt. 1994 wurde ein Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet, das unter Mitfinanzierung der Regierung in allen großen Städten Anti-Diskriminierungsbüros vorsieht. Weiters besteht der Zugang zum öffentlichen Dienst und zum sozialen Wohnbau.

Im Integrations-Modellprojekt (INTO) der Diakonie haben wir Erfahrungen gesammelt, die für Integration unabdingbar ist. INTO verfügt über cirka 50 Zwischennutzungswohnungen. Die Wohnungen werden von den Migranten und Flüchtlingen selbst renoviert. In einem Möbellager werden gespendete Möbel und Geräte gelagert, bis sie von den den Klienten gebraucht werden. Außerdem wurde ein Wohnungsdarlehensfonds eingerichtet.

Den Projektteilnehmern werden ihrer individuellen Situation angepasste Deutschkurse vermittelt. Zusätzlich veranstaltet INTO eigene Kurse, in denen man einerseits Spezialvokabular für das Berufsleben erlernt und andererseits bestimmte Alltagssituationen in Österreich sprachlich geübt werden, wie etwa Schulanmeldung, Banküberweisung, Arztbesuch...

Vom INTO-Projekt werden Kontakte mit den zuständigen Arbeitsämtern aufgenommen und die KlientInnen auf die Jobsuche vorbereitet. Firmen werden bei der Beantragung von Beschäftigungsbewilligungen beraten und unterstützt. Zusätzlich zu den Kursen finden laufend Bewerbungstrainings- und Berufsorientierungskurse statt. Die durchschnittliche Verweildauer der Teilnehmer beträgt 19 Monate.

"Bad practice" statt "best practice" wird es laut Entwurf in der Familienpolitik geben. Die in Europa einzigartige Kontingentierung des Familiennachzugs bleibt aufrecht. Es kommt sogar noch zu einer Verschlechterung des Aufenthaltsrechts für nachgezogene Familienangehörige. Den Niederlassungsnachweis gibt es jetzt erst nach fünf Jahren. Bisher wurde eine unbefristete Niederlassungsbewilligung schon nach zwei Jahren erteilt, wenn der Ersteinwanderer eine solche besaß.

Warum ein schlechtes Modell wählen, wenn es bessere gibt? Offensichtlich weil es nicht um gute Modelle geht. Es geht um politische Signale, es geht um rhetorische Selbstvergewisserung. Es geht nicht ums Deutsch lernen. Dann müssten mindestens 600 Stunden angeboten werden. Es geht nicht um eine Verbesserung der sozialen Situation. Dann müssten der Ausschluss vom Arbeitsmarkt, von der Sozialhilfe, der Notstandshilfe, das Problem des Familiennachzug angegangen werden. Es geht nicht um die Sicht der Betroffenen. Denn dann müsste Mitbestimmung und Wahlrecht ermöglicht werden. Es geht nicht um sozialen Aufstieg. Denn dann müsste Qualifizierung im Mittelpunkt stehen.

Stattdessen wird das Gastarbeitermodell der sechziger und siebziger Jahre aus der Mottenkiste geholt und als innovatives und modernes Saisonniermodell verkauft. Die Arbeitskraft von Menschen wird ins Land geholt, ihre Familien, ihre Zukunftsperspektiven, ja gar Aufstiegschancen müssen sie aber draußen lassen. Dabei benötigt man gar keine moralische Bewertung, ob ein Saisonniermodell menschenwürdig ist oder nicht, sondern müsste sich nur die Frage stellen, ob das Modell funktionieren kann. Und alle Erfahrungen, seien sie aus der Vergangenheit, oder aus der Gegenwart der Schweiz, zeigen: Es funktioniert nicht! Denn Menschen lassen sich nicht wie Pakete herumschieben. Sie bleiben im Land und bringen ihre Familien mit, sei es dann auch illegal. So kreiert die Politik das Ausländerproblem der Zukunft, das dann natürlich wieder zum Problem der Ausländer wird, die sich nicht integrieren wollen.

Integration ist die Herstellung von Chancengleichheit im sozialen, politischen und gesellschaftlichen Leben. Integration orientiert sich am Grundsatz "Gleiche Pflichten, gleiche Rechte". Integration umfasst den sozialen Aufstieg von Migranten, Gleichberechtigung und den Schutz vor Diskriminierung. Wenn das auch die Ziele der Regierungskoalition sind, dann muss das vorliegende Paket, wieder aufgeschnürt werden.

Der Autor ist Direktor der evangelischen Diakonie Österreich.

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