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Familie muß in die Verfassung!

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Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat eben, am Beginn seiner Sommersession, einen für die weitere Gestaltung der Familienpolitik in unserem Lande bedeutungsvollen Rechtssatz ausgesprochen. Demzufolge fallen Maßnahmen zur Erleichterung der Familiengründung und zur Hebung der Geburtenfreudigkeit durch Gewährung von Familien- beihilfen unter den Begriff „Bevölkerungspolitik“. Der geplante Familienlastenausgleich unterliege daher gemäß Art. 12, Abs. 1, Zif. 2, nur bezüglich der Grundsätze der Kompetenz des Parlaments, in Ausführung und Vollziehung jedoch dcn Ländern. Die bestehenden Entwürfe für den Familienlästenausgleich gehen, so führte der Verfassurigsgerichtsh’of weiter aus, über die Beschlußfassung über bloße Grundsätze weit hinaus und bedürfen daher einer völligen Neuformulierung.

Was der Präsident des Verfassungsgerichtshofes vor nicht allzu langer Zeit1 über das Wirtschaftsleben sagte, gilt ganz allgemein für das gesamte pulsierende Leben der Gesellschaft überhaupt. Auch das Gesellschaftsleben schreitet voran, und die Rechtsordnung muß sich seiner Entwicklung immer wieder von neuem anpassen. Dies gelte, so fuhr er fort, nicht zuletzt auch für die Gestaltung des Verfassungsrechtes.

Nun hat die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung insbesondere der letzten 50 Jahre ein bis dahin völlig unbekanntes Problem aufgeworfen. Der kollektive Aufstieg ganzer Gesellschaftsschichten und die individua listische Einstellung dem einzelnen gegenüber, ohne Rücksicht auf Verpflichtungen gegenüber für ihn wesentliche Gemeinschaften,"‘ haben die noch im Familiettverbande Leben-; den zu Menschen minderen Rechte? gemacht. Der Zerfall der Familie im Zeitalter des aufgeklärten Neomalthusianismus bedroht nun die Existenz und die Ordnung unserer Gesellschaft, die eben sehr bald die Verletzung ihrer natürlichen Ordnung rächt. Kaum’ gibt es heute einen Gesellschafts- oder Kultur-, bereich, der durch den Zusammenbruch der Familie nicht vor die schwierigsten Probleme gestellt wäre! Die nun allenthalben einsetzende „Wiederentdeckung der Familie“ hat auch vor dem Verfassungsrecht nicht Halt gemacht.

Heute erscheint die Familie nur mehr in jenen Verfassungstexten nicht auf, die noch ganz der Formulierung der individualistischen Menschenrechte Lafayettes aus der Zeit der Französischen Revolution nachgebildet sind, oder auf noch ältere Urkunden zurückgehen. Zur Gruppe der ersteren gehört - leider auch noch die österreichische Bundesverfassung mit ihrem Staatsgrundgesetz aus dem Jahre 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger. Daran hat auch die positivistische Verfassung Kelsens und interessanter weise sogar die Verfassung 1934 nichts geändert. Dies wurde nun der Grund, warum der Verfassungsgerichtshof anläßlich der Einbringung der beiden Initiativanträge für den ersten Schritt zum Ausgleich der Familienlasten von der Bundes-regierung zur Entscheidung über die Kompetenz angerufen wurde.

Das Institut für Sozialpolitik und Sozial- Ireform zählt — ohne Anspruch auf Vollständigkeit — an die 20 Staaten auf, die die Rechte der Familie bisher in ihre Verfassung aufgenommen haben. In allen diesen Verfassungen — soweit es sich um Bundesstaaten handelt — ist die Familie der vollen Kompetenz des Bundes anvertraut. Sogar die sicherlich von jedem Verdacht antiföderalistischen Geistes freie Schweiz hat mit der verfassungsmäßigen Verankerung der Familie für ihren Schutz die volle Kompetenz des Bundes begründet. Wie erst kürzlich bei einer Tagung der Zürcher Sektion des schweizerischen Vereines für Sozialpolitik bekannt wurde, besteht die feste Absicht, von diesen Vollmachten immer mehr und mehr Gebrauch zu machen. Gerade bei der so verschiedenen Verteilung der Kinder einerseits und des Einkommens anderseits in den Alpen- und Voralpenländern kann der Ausgleich der Familienlasten nur Aufgabe des Bundes sein. Wie für die Schweiz gilt dies auch für Oesterreich. Nach einer vorläufigen Berechnung des Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform steht in den österreichischen Bundesländern (nach den Ergebnissen der Volkszählung 1951) der Verteilung der Kinder zwischen 0 und 18 Jahren folgende Verteilung der Einkommen und Löhne gegenüber:

100,0% 100,0% 100,0%

Diese Uebersicht zeigt, daß zwischen der Verteilung der Kinder und der Verteilung der Einkommen aus selbständiger wie aus unselbständiger Arbeit ein beträchtliches Mißverhältnis besteht. Wien und Vorarlberg sind die einzigen Bundesländer, auf welche im Vergleich zur Quote der Kinder eine günstigere Quote des Einkommens fällt. Bei den Löhnen ist Wien überhaupt das einzige, in dem die Lohnquote die Quote der Kinder übersteigt. Tatsächlich sind es derzeit auch diese beiden Bundesländer, in denen der Kinderbeihilfefonds Ueberschüsse erzielt. Ein länderweiser Ausgleich der Familienlasten könnte bei dieser Situation niemals zu einer gerechten und befriedigenden Lösung führen. Die Behauptung des Vertreters der Vorarlberger Landesregierung in der Verhandlung des Verfassungsgerichtshofes, daß das verschiedene Ausmaß an Geburtenfreudigkeit in den einzelnen Bundesländern verschiedene Maßnahmen erfordern würde und damit die Länderkompetenz zu Recht bestünde, geht an der Tatsache der Verschiedenheit der Einkommensverteilung unter den Bundesländern vorbei und übersieht die Folgerungen, die sich aus einer länderweisen Regelung ergeben würden. Ein Ausgleich, der die Lasten der Familie in einer in den einzelnen Bundesländern verschiedenen Höhe auszugleichen versucht, könnte von den Familien nie als gerecht empfunden werden. Ueberdies würde in einem solchen Falle für die Durchführung des Lastenausgleiches auch der kostenlose und bei der Ausbezahlung der derzeitigen Kinderbeihilfe bewährte Apparat der Bundesfinanzverwaltung nicht zur Verfügung stehen.

Die beiden antragstellenden Parteien müßten — wollten sie sich mit dem gegenwärtigen Text der Verfassung bescheiden — nicht nur ein völlig neues Grundsatzgesetz ausarbeiten, sondern überdies in jedem einzelnen Bundesland eine entsprechende Ausführungsgesetzgebung durchfechten. Was dies zu einem Zeitpunkt bedeutet, zu dem in vier Bundesländern die Landtagswahlen vor der Tür stehen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. — Die Wahrscheinlichkeit, daß unter Beibehaltung der derzeitigen verfassungsrechtlichen Situation die Familien in absehbarer Zeit in einer auch nur halbwegs zufriedenstellenden Lösung in den Genuß des ihnen schon seit langem von beiden Regierungsparteien in Aussicht gestellten Ausgleich ihrer Lasten kommen, ist somit äußerst gering. Es ist hingegen sehr unwahrscheinlich, daß die Alliierten einer Revision der Bundesverfassung in diesem Punkt ihre Zustimmung versagen würden, zumal darauf hingewiesen werden kann, daß sogar sämtliche Volksdemokratien die Familie in ihrer Verfassung verankert haben.

Soll der von beiden Regierungsparteien angekündigte erste Schritt zum Ausgleich der

Familienlasten nicht noch in letzter Minute aufs neue auf die lange Bank der ‘‘Tagesordnungen und Parteienverhandlungen geschoben werden, so bleibt nur der Weg einer Verfassungsergänzung. Der Kompetenzartikel 10 der Bundesverfassung, der die Agenden aufzählt, die in die volle Kompetenz des Bundes fallen, müßte durch eine neue Ziffer 17 ergänzt werden, die nach dem Vorschlag des Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform etwa folgenden Wortlaut haben könnte: „Bundessache ist die Gesetzgebung und die Vollziehung in folgenden Angelegenheiten: 17. Familienpolitik, insbesondere der Ausgleich der Familienlasten, sowie die Interessenvertretung der Familie.“

Bei dieser Gelegenheit könnte gleichzeitig auch die längst fällige Ergänzung des Kata- loges der Grundrechte nachgeholt und in das oben genannte Staatsgrundgesetz durch einen neuen Artikel 20 erweitert werden. Dieser könnte in Anlehnung an in den modernsten Verfassungen gebräuchliche Formulierungen etwa folgenden Wortlaut haben: „Ehe und Familie stehen als natürliche Keimzelle der Kultur und als Grundpfeiler der sozialen Ordnung unter dem Schutz des Staates. Der Bund, die Länder und die Gemeinden prüfen alle ihre Maßnahmen auf ihre Auswirkungen auf die Familie, sie anerkennen insbesondere in ihrer Steuerpolitik die wirtschaftlichen Erfordernisse der Familie und sorgen durch entsprechende Maßnahmen für einen gerechten Ausgleich der Familienlasten. Die häusliche und erzieherische Arbeit der Frau wird den übrigen Berufen gleich geachtet.“ Eine solche Revision der Verfassung wäre jetzt nicht nur sachlich wie auch im Interesse der Familie unbedingt erforderlich, sondern würde auch in der derzeitigen österreichischen Situation die einfachste Lösung darstellen. Sie könnte noch in dieser Parlamentssession beschlossen werden und würde die ehebaldigste Verwirklichung eines Familienausgleichs — oder — Beihilfengesetzes garantieren. Die auch für die Grundsatzgesetzgebung toten Sommermonate würden ausreichend Gelegenheit geben, ohne Zeitverlust über die Haltung der Alliierten einer diesbezüglichen Verfassungsergänzung gegenüber Gewißheit zu erhalten. Solche Ergänzungen werden ohne Zweifel auch erforderlich sein, um unsere Bundesverfassung in dieser Hinsicht auf die Höhe eines modernen gesellschaftlichen Ordnungsgesetzes zu bringen.

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