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Alois Musil: Scheich aus Österreich

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Er war Priester und Orientalist, kaisertreuer Österreicher – und fühlte sich nach dem Ersten Weltkrieg in Wien verfemt, sodass er in Prag lehrte und vor allem auf Tschechisch publizierte. Zum 80. Todestag Alois Musils, damals berühmter, heute unbekannter Kenner des Orients.

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Er war Priester und Orientalist, kaisertreuer Österreicher – und fühlte sich nach dem Ersten Weltkrieg in Wien verfemt, sodass er in Prag lehrte und vor allem auf Tschechisch publizierte. Zum 80. Todestag Alois Musils, damals berühmter, heute unbekannter Kenner des Orients.

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Vor 80 Jahren, am 12. April 1944, verstarb eine der schillerndsten Forschergestalten Österreichs. Der fast vergessene Alois Musil hinterließ ein umfassendes wissenschaftliches Werk und war einer der bekanntesten Orientkenner Europas.

Ich betrat Gebiete, welche noch von keinem Europäer besucht wurden. Den ganzen Tag geistig und physisch arbeitend – an manchen Tagen bis 14 Stunden fußwandernd, zerrissen, schmutzig voll von Ungeziefer der schlimmsten Art ... In Abde kroch ich hinauf zu einer wichtigen Inschrift. Nachdem ich abgeklatscht und abgeschrieben hatte, stürzte der Turm ein, und riesige Blöcke wälzten sich herunter – nie habe ich den Tod näher gesehen. Ich empfahl meine Seele Gott und klammerte mich an einen Eckstein, stürzte mit ihm etwa 76 Meter tief und entkam mit blutigen Händen und Füßen, aber mit ganzen Knochen. Aber größer war mein Seelenleiden, als man mich in el-Arab überfallen, mir Revolver, Geld und vier Hefte mit ethnografischen Notizen geraubt hatte. Die Hälfte der Ergebnisse einer 30-tägigen Arbeit war verloren.

Das schrieb Alois Musil 1902 an die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften. Der Grenzgänger zwischen Religionen, Kulturen und Wissenschaften war katholischer Priester, Kartograf, Orientalist, Arabist, Ethnologe, Epigrafiker, K. k. Generaloberkriegsrat im Ersten Weltkrieg, Beduinenscheich, Österreicher und Tscheche.

Der Gelehrte legte im Laufe seiner Orientexpeditionen über 16.000 Kilometer auf dem Kamel­rücken zurück und erbrachte neben einer Fülle an wissenschaftlichen Arbeiten die größte Materialiensammlung zur Ethnologie, Geografie und Geologie des nordarabischen Raumes. Er entdeckte die Wüstenschlösser der Omajaden, kartografierte erstmalig bisher von keinem Europäer bereiste Gebiete zwischen dem Roten Meer und Mesopotamien mit erstaunlicher Präzision und schuf ein ethnografisches Standardwerk zu den Beduinen Arabiens.

Musil stammte aus bescheidenen Verhältnissen und wurde 1868 in Mähren in eine Kleinbauernfamilie als eines von fünf Kindern geboren. Das harte Leben am Hofe und die Mitarbeit in der Landwirtschaft bereiteten ihn darauf vor, die späteren Strapazen seiner Forschungsreisen, Malaria inklusive, auszuhalten. Die Förderung des Olmützer Erzbischofs Theodor Kohn ermöglichte ihm ein postgraduales Bibelstudium in Jerusalem und Beirut. Damals teilte Musil den Optimismus, biblische Erzählungen archäologisch nachweisen zu können. Bald lenkte er aber den Blick auf die arabische Welt.

Musils große Orientforschungsreisen erstreckten sich über zwei Jahrzehnte. Das Arabische wurde seine zweite Muttersprache. So konnte er mit Hilfe befreundeter Beduinen 1898 das noch unentdeckte Omajadenschloss Qusair Amra besichtigen: „Ich betrete es: überrascht sehe ich an den Wänden Spuren von Malereien, ich durcheile die wenigen Räume, alle sind mit Wandgemälden geschmückt.“ Da Feinde gemeldet wurden, musste Musil rasch flüchten; eine fotografische Aufnahme gelang ihm noch, allerdings verlor er die Fotoplatte auf der Flucht. Zu Hause schätzte man ihn als Hochstapler ein. Die Enttäuschung war groß, und Musil musste wieder als Katechet aufs mährische Land.

Am Wiener Militärgeographischen Institut erlernte er die Grundbegriffe der Kartografie und Vermessung. Da er keine Finanzierung mehr bekam, machte er sich 1900 allein in die Wüste nach Ost-Edom auf. Er erreichte erneut Qusair Amra und konnte endgültig den Beweis von der Existenz dieses früharabischen Bauwerks erbringen. Die reich bemalten Wände stellen auch Menschen dar und widerlegen das bis dahin postulierte Bilderverbot des Islam. Musils Forschungsergebnisse und die zuverlässigen Karten der durchwanderten Gebiete brachten ihm nun die Anerkennung der wissenschaftlichen Fachwelt.
Der zum Professor für Biblische Hilfswissenschaften und Arabische Sprache an der Universität Wien berufene Musil brach in der Folge zu längeren Aufenthalten zwischen Palästina, Nordarabien, Hedschas, dem Eu­phrat und Südostmesopotamien auf. Er erforschte erstmalig die Wüste Inner­arabiens, und es entstand die große kartografische Arbeit „Arabia Petraea“. Sein Arbeitspensum war unglaublich. Karten mit geografischen Namen wurden angelegt, Inschriften abgeklatscht, Materialien für die Forschung zu Hause gesammelt. Topografische Reiseberichte zeigen minutiöse Aufzeichnungen, die sich zugleich wissenschaftlich präzise wie abenteuerlich lesen.

Musil wurde als einziger Europäer vollwertiges Mitglied eines Beduinenstammes, der Rwala. Er erhielt die Würde eines Scheichs, was ihm in gefährlichen Situationen das Leben rettete. Fast ein Jahr begleitete Musil den größten Beduinenstamm Nordarabiens auf seinen Wanderungen. Seine Aufzeichnungen führten zu einem kolossalen kultur-ethnografischen Standardwerk über die Sitten und Gebräuche der Beduinen, das 1928 in New York erschien.

Gegenspieler von T. E. Lawrence

Musil hatte seit 1912 gute Kontakte zum österreichischen Kaiserhaus, die im Ersten Weltkrieg Österreich-Ungarn hilfreich werden sollten. Seine Freundschaft mit den Arabern führte 1914/15 zu einer Mission, um zwischen den verfeindeten Beduinenstämmen zugunsten der Mittelmächte zu vermitteln. Alois Musil wurde daher auch als indirekter Gegenspieler des britischen Spions und Offiziers T. E. Lawrence bezeichnet. Dieser wurde im cineastischen Wüstenepos „Lawrence von Arabien“ (1962) mit viel legendenhaftem Material heroisiert. Allerdings bemerkte schon die New York Times 1928, nachdem Musils ethnografisches Hauptwerk auf Englisch erschienen war, dass das Gold und Dynamit, das Oberst T. E. Law­rence kübelweise in den arabischen Sand gesetzt habe, keine Spuren hinterließen, während Musils wissenschaftliche Arbeiten Bestand haben werden, denn diese haben den Horizont der Menschheit erweitert und die Welt bereichert.

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