Dänische Kurpfuscher

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Es herrscht eine europaweite Unbildung in Sachen Religion. Anmerkungen zum Karikaturenstreit.

Wie können unqualifizierte Zeichnungen zu abgefackelten Botschaftsgebäuden führen? Wie soll sich ein Botschafter für die Dummheit einer Zeitung entschuldigen? Um die Eskalation um die dänischen Karikaturen zu verstehen, muss der Hintergrund ausgeleuchtet werden.

Europa hat vielerlei Zensur erlebt, vom kirchlichen Index bis zu Hitlers und Stalins Denk-und Schreibverboten. Die Meinungsfreiheit wurde geknebelt, Menschen wurden getötet, und den jeweils Mächtigen hat es doch nichts genützt. Es ist undenkbar, dass Europa wieder eine staatliche Zensur einführt; so etwas können sich nur Leute vorstellen, die in Ländern ohne Meinungsfreiheit leben.

Ende der Zensur heißt allerdings nicht Ende der Verantwortung. Ein Arzt wird gründlich gebildet, dann handelt er aus eigener Verantwortung, oder er kommt als Kurpfuscher vor Gericht. Den Kurpfuschern der dänischen Tageszeitung hat das Gericht ihr Handwerk nicht gelegt. Weder Journalisten noch Richter haben Verantwortung wahrgenommen, weil sie - es ist schmerzlich zu sagen - ungebildet sind.

Es herrscht eine europaweite Unbildung in Sachen Religion; niemand muss etwas glauben, aber alle und gerade Journalisten müssen über Religionen Bescheid wissen. Mit der Ablehnung des kirchlichen Dogmatismus seit der Aufklärung ist auch eine kulturelle Tradition über Bord gegangen, die der Lebensorientierung der Menschen gedient hat. Wer an dieser Orientierung festhält, in welcher Religion auch immer, lässt sie sich nicht nehmen, und es ist ein Zeichen von kulturkämpferischer Arroganz, sich darüber lustig zu machen. Die Verspotteten haben Solidarität verdient; jene europäischen Zeitungen, die die dänischen Karikaturen nachgedruckt haben, sind eine Solidarität der Dummheit eingegangen.

Der nazistische Rassismus und Antisemitismus hat Europa eine furchtbare Lektion gelehrt. Es ist eine Sensibilität entstanden, die es heute nicht erlauben würde, mit dem Judentum so umzugehen wie mit dem Islam. Aber müssen sich erst derartige Katastrophen ereignen, um sensibel zu werden? Sensibel zum Beispiel dafür, dass die islamische Welt in den letzten 200 Jahren zu den Verlierern der Geschichte gehört, nicht zuletzt als Opfer des europäischen Kolonialismus, der sich mit aufgeklärter Präpotenz breit machte?

So lassen sich die allergischen islamischen Reaktionen auf die unverantwortliche Verletzung religiöser Gefühle verstehen. Ihr Ausmaß allerdings, die Androhung und Ausübung von Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen und liefert denjenigen eine scheinbare Legitimation, die sich mangels Bildung den Islam nicht anders als Bomben werfend vorstellen können. Dass Terroristen, die Europa kollektiv bedrohen, sich als treue Diener des Propheten ausgeben, ist ein Problem der Muslime. Europäischen Journalisten aber steht es an, sich von jeder kollektiven Beschuldigung zu distanzieren und den Antisemitismus nicht gegen einen Antiislamismus einzutauschen. Sie hätten sonst die Lektion des 20. Jahrhunderts nicht verstanden.

Die Autorin ist Professorin für Praktische Theologie an der Evang.-Theol. Fakultät Wien.

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