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Das Gerüst muß bleiben

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Das ist alles sehr schön und ideal gedacht. Schon oft hat man dergleichen probiert, nicht nur in Frankreich. Aber es war nie von langer Dauer. „Historisches Denken“ ist heute bei unserer jungen Generation weitgehend verpönt. Sie will nur das Jetzt sehen, mit dem Blick auf das Morgen.

Regeln und Statuten, Tagesordnung und Gebräuche umgeben uns Ordensleute gleichsam wie eine Schale, ein Gerüst, in dem wir geborgen sind. Ihre Einzelheiten sind im Grund unwesentlich. Wesentlich sind Schwung, Begeisterung, Aufgeschlossenheit, vor allem aber die Liebe Christi, die sich in der brüderlichen Liebe äußert. Dazu muß kommen — auch das will unsere Jugend nicht gern wahrhaben — eine gewisse Aszese. Intelligenz, Schwung und Aufgeschlossenheit allein schaffen es nicht. Dae Opfer, das unser

Beten ergänzt und unterstützt, ist und bleibt der Treibstoff im Tank unseres Apostolats„betriebes“, ohne den die Liebe bald verdorrt, so daß ein Leerlauf eintritt. Das sind Wahrheiten, die unsere Klosterjugend als ausgesprochen unangenehm empfindet, und bei deren Erwähnung sie sofort — leicht gereizt — auf die Übertreibungen von früher hinweist.

Aber selbst unter der Voraussetzung, daß all dies Positive vorhanden ist — kann es allein aus sich bestehen? Kann man es ohne weiteres zur Grundlage machen? Leider sagt uns die Erfahrung, daß es nur allzusehr Schwankungen ausgesetzt ist, es flammt auf, erreicht Höhepunkte, macht aber auch Krisen durch, es wird abnehmen, es kann erlöschen. Dann ist es erfahrungsgemäß die Schale, das Gerüst, von dem wir sprachen, die das Ganze noch am Leben erhält, bis der Geist

Gottes wieder einmal hineinbläst und eine Erneuerung zustande- bringt. Die Geschichte aller Orden und Klöster ist voll von diesem Auf und Ab. Schlägt man aber das Gerüst als „unwesentlich“ zusammen und wirft es fort, dann ist mit einer

Krise alles zu Ende. Alles läuft auseinander.

Die eigene Note

Man kann den traditionellen Lebensformen der Orden gegenüber zweierlei Haltung einnehmen. Muß man das oder jenes unbedingt beibehalten? Wenn nicht, weg damit! Oder: Muß man das oder jenes unbedingt abschaffen? Wenn nicht, dann bleibt es dabei. Das eine ist negativ, das andere positiv. Heißt es auch hier: „In medio virtus?“

Es gibt so etwas wie einen klösterlichen Lebensstil. Dazu gehören nicht nur Chorgebet und Choral, sondern auch Stillschweigen, Tischlesung, Klausur, ein Gehorsam und eine Armut, die man mitunter auch wirklich spürt, und manches andere mehr. Die Weltleute setzen diesen klösterlichen Stil bei uns voraus. Sie stellen da hohe Anforderungen, sie legen ihn als Maßstab bei jedem Orden und bei jedem Kloster an. Ihre Kritik ist dementsprechend, und mit Vergleichen sind sie gleich bei der Hand. Der Abiturient, der Klostergedanken hat und der wie alle jungen Menschen heute ungemein kritisch ist, sieht darauf zuerst. Er ist fürs Strenge, Monastische. Er ahnt aber nicht, wie wenig diese idealen Forderungen mit der vielseitigen Tätigkeit eines Konventes heute in Einklang zu bringen sind. Die alte monastische Idee des siebenmaligen Gotteslobes, schön alle drei Stunden über den Tag verteilt und nach Möglichkeit gesungen, läßt sich bei den heutigen Anforderungen in Schule und Seelsorge einfach nicht mehr durchführen. Es sei denn, man findet sich damit ab, daß nur die alten „Emeriti“ und Novizen im Chor sind, während die übrigen — im Gehorsam! — ihrer Arbeit nachgehen und trotzdem, wegen des seltenen Chorbesuches, als „schlechte Ordensleute“ erscheinen. So kann es nicht ausbleiben, daß der junge Mann, sobald er eingetreten und einige Zeit in der Gemeinschaft ist, seine Auffassungen ändert. Nun kann es ihm auf einmal nicht mehr „modern genug“ sein. Erst hielt er möglichst feierliche Liturgie für das Moderne, nun ist er der Meinung, daß Seelsorge und Schule „selbstverständlich vorgehen“. Den „lästigen“ Chor sollte man bis sieben Uhr morgens fertig haben, um für die Arbeit frei zu sein. Es geht nicht anders! Die Konventmesse gestaltet man volksliturgisch, Vesper oder Komplet lassen sich auf deutsch an Stelle von Rosenkranz und Andacht setzen — und im übrigen wird der klösterliche Lebensstil zusammengestrichen, bis fast nichts mehr übrigbleibt. Man muß aufs Wesentliche gehen! Wenn man sich aber darauf beschränkt, bleibt nicht viel übrig, wenigstens nichts Repräsentatives mehr. Wirkt das, was an die Stelle dieses alten Lebensstiles getreten ist: die intensiv betriebene, aufs letzte modernisierte Seelsorge, wirklich attraktiv? Bei manchen Kongregationen tut sie es ohne Zweifel. Da ist was los, heißt es. Aber bei einem alten Orden sucht man eben etwas ganz anderes, Werte, die dem Laien viel bedeuten und die der Mönch selbst nun von sich werfen will. Ist die angestrebte und teilweise schon verwirklichte radikale Lösung das Ideal? Der Gedanke einer aktiven Seelsorgergemeinschaft (Priesterteam), die die letzten Kräfte einzig in dieser Richtung mobilisiert und ausschöpft, ist für die alten Orden ein Novum. Sollen und können sie sich darauf umstellen? Haben Prämonstratenser noch eine Existenzberechtigung, wenn sie ihre weiße Kutte durch Priesterzivil ersetzen (ist doch viel praktischer…) und wie Pallottiner leben? Nein, denn sie geben sich dadurch auf. Die Umstellung ist nötig, doch darf sie keinesfalls so radikal sein. Sie müssen bei aller Zeitaufgeschlossenheit ihre eigene Note behalten. Und das ist möglich! Der Jugend fehlt für diese Notwendigkeit mitunter nur das rechte Feingefühl.

Man kann sie verstehen, diese „zornigen jungen Männer“ in der Kutte. Die große Besorgnis um das Reich Gottes ist ihr Herzensanliegen. Das macht sie unruhig. Mit dem Elan der Jugend gehen sie daran, Vorschläge und Ideen auszuarbeiten. Daß dabei manchmal etwas verkehrt und einseitig ist, muß man begreifen. Der Jugend fehlt es an Erfahrung, aber weil alles so neu ist, was man jetzt anpackt, kann man es ihr eigentlich gar nicht verübeln, daß sie sich so wenig an der Erfahrung der Alten orientiert. Oft fehlt es ihr auch an Klugheit, aber dafür hat sie den Mut, etwas zu riskieren und zu experimentieren. Ein Mut, der den Alten meist abgeht, der aber höchst notwendig ist.

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