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"Gaudet Mater Ecclesia" - "Mutter Kirche freut sich": Mit diesen Worten eröffnete Papst Johannes XXIII. vor 40 Jahren das Zweite Vatikanische Konzil. Für die katholische Kirche war der Aufbruch dieses Konzils das größte Ereignis des 20. Jahrhunderts - aus dessen Schatten ist sie bis heute nicht herausgetreten. Das Furche-Dossier geht zu den Geschehnissen von 1962 zurück (Seite 13, 15), lässt Österreichs bekanntesten "Konzilssohn" zu Wort kommen (Seite 14) und gibt auch kritischenStimmen (Seite 16, 17) Raum. Redaktionelle Gestaltung: Angelika Walser und Otto Friedrich

Vom Zweiten Vatikanum habe ich (vorerst) nicht viel mitbekommen. Ich wurde am 4. Oktober 1962 geboren. Als am 11. Oktober kurz nach halb zehn Uhr morgens der "Campanone", die größte Glocke des Petersdoms, läutete und die 2.450 Konzilsväter in die größte Kirche der Welt einzogen, war ich eben eine Woche alt.

Als ich 1981 mit dem Theologiestudium begann, war das "Kleine Konzilskompendium" von Karl Rahner und Herbert Vorgrimler - damals Pflichtlektüre - eines meiner ersten Bücher, die ich kaufte: Es steht auf dem Schreibtisch zwischen Bibel und Duden. Nach über zwei Jahrzehnten ist es abgegriffen. Der grüne Einband löst sich in Einzelteile auf. Aber ersetzen möchte ich diese Ausgabe, die 15. Auflage von 1981, nicht, auch wenn es seit kurzem die 29. Auflage gibt, in edlem Kardinalsrot, dafür in schlechterer Papierqualität. Das 775 Seiten starke, nun ziemlich ramponierte Buch gehört zu meiner Sozialisation als Theologe.

Die imposant inszenierte Zeremonie vom 11. Oktober 1962 kenne ich nur von Fotos her. Hans Küng erinnert in seinen eben erschienenen Memoiren (Erkämpfte Freiheit, Piper Verlag, München 2002) daran, dass sich neben Ergriffenheit auch ein anderer Eindruck aufdrängte: Nicht nur Nichtchristen fühlten sich "abgestoßen vom völlig unzeitgemäßen barocken Prunk dieser Zeremonie. So viel verblichene Pracht, so viel hohles religiöses Pathos".

Mehr als ein Stilwechsel

Am 4. Oktober brach Küng nach Rom auf. Im Autoradio hörte er die Live-Reportage eines Ereignisses, das zur weiteren Chronik des Konzils gehört: die Pilgerfahrt Papst Johannes XXIII. nach Assisi und Loreto. Es war die erste Reise eines Papstes seit 1870, als das Erste Vatikanum nach dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges und dem Einmarsch italienischer Truppen in Rom "sine die", auf unbestimmte Zeit, vertagt worden war. Welches Symbol der Öffnung, diese Reise, so sehr sie nach einem Regieplan organisiert war, der zu Pius XII. gepasst hätte!

Hinter den 11. Oktober 1962 kann die Kirche nicht zurück. Ein Stilwechsel war damit eingeleitet. Und es war mehr als ein Stilwechsel. Vorgesehen war er nicht. Von der für viele enttäuschenden Wahl des schon 76-jährigen Angelo Roncalli zum Nachfolger des geradezu antitypischen Pius XII. (1958) hatte man sich ein kurzes Interimspontifikat versprochen. Vor einem verdutzten Kardinalskollegium kündigte Johannes XXIII. jedoch keine neunzig Tage nach seiner Wahl ein allgemeines Konzil an.

Die Kurie war entsetzt. Etliche Theologen waren der Meinung, mit dem abgebrochenen Ersten Vatikanum sei alles gesagt, die Dogmen vom Jurisdiktionsprimat und von der Unfehlbarkeit des Papstes machten Konzilien überflüssig. Der "Probegalopp" des Konzils, die Diözesansynode der Diözese Rom (1960), die "Beschlüsse von atemberaubender Kleinkariertheit" (so der Würzburger Theologe Wolfgang Beinert) produzierte, geriet zum Desaster.

Tromps falsche Prognose

Wenn also schon ein Konzil, dann ein inszeniertes: ein "Concilio lampo", ein zeremonielles Blitzkonzil ohne echte Diskussion. Pericle Felici, der agile Generalsekretär, rechnete mit zwei Monaten. Der Jesuit Sebastian Tromp, Professor an der Gregoriana und Sekretär der Theologischen Konzilskommission, meinte im Frühherbst 1962 im Nachtzug Freiburg-Rom zu einem Priesterstudenten: "Wir haben alles vorbereitet ... Es fehlt ja auch fast nichts mehr an der vollendeten Synthese des katholischen Glaubens." Der Berater von Kardinal Alfredo Ottaviani, der Speerspitze der Konservativen, war davon überzeugt: "Die Herren werden in Rom nicht so lange zu tun haben. Sie werden bald sehen, dass man die Vorlagen nicht besser machen kann, werden rasch unterschreiben und wieder nach Hause fahren. Die Kirche hat ja auch nichts anderes als einen Sack voll Wahrheiten. Den wird sie von Zeit zu Zeit schütteln. Dann wird manches wieder nach oben kommen. Aber es ändert sich nichts." Der Priesteramtskandidat, der sich über solche Selbstsicherheit wunderte, ist seit 1983 Bischof und seit 2001 Kardinal: Karl Lehmann.

Tromp lag mit seiner Prognose falsch. Ein "Konzil der Buchhalter" (so die despektierliche, linke Kritik von Alfred Lorenzer) sollte diese Versammlung der Weltkirche gerade nicht werden. Schon die überraschend hohe Rücklaufquote von 76,4 Prozent auf die von Kardinal-Staatssekretär Domenico Tardini an 3.000 Bischöfe und Gelehrte, Ordensobere, theologische und juridische Fakultäten verschickte Aufforderung, Problemkreise für ein Konzil zu nennen, hätte eine Warnung sein können. Als dann im Sommer vor Konzilsbeginn Textentwürfe an Bischöfe verschickt wurden, langten Proteste aus aller Welt ein. Nicht ein "antirömischer", ein "antikurialer Affekt" trat zu Tage: Viele Bischöfe lehnten sich gegen die Bevormundung durch römische Prälaten auf.

Der Innsbrucker Jesuitentheologe Karl Rahner nahm sich in seinen Gutachten für den Wiener Erzbi-schof Kardinal Franz König kein Blatt vor den Mund: "Eine solche Wald- und Wiesenphilosophie darf ein Konzil nicht vortragen." Die "Dekrete-Fabrikanten" (Hans Küng) mussten eine erste Niederlage einstecken.

Der springende Punkt

Eine "Schleifung der Bastionen" (Hans Urs von Balthasar) war nicht mehr aufzuhalten. Das machte auch der Papst deutlich. Während der Prozession über den Petersplatz am 11. Oktober noch auf der "Sedia gestatoria" über die Köpfe der Bischöfe hinweggetragen, stieg der greise Pontifex, im Hauptschiff der Basilika angekommen, vom Tragethron herunter, um das Spalier seiner Brüder im Bischofsamt "auf Augenhöhe" zu durchschreiten - ein unverkennbarer Akt des Respekts vor den versammelten Konzilsvätern.

Noch deutlicher wurde er in seiner Eröffnungsrede mit der Klage über die "Unglückspropheten, die immer nur Unheil voraussagen".

Wichtiger ist aber ein anderer Satz: "Der springende Punkt ist es also nicht, den einen oder den andern der grundlegenden Glaubensartikel zu diskutieren ... Dafür braucht es kein Konzil." Es sei an der Zeit, "einen Sprung nach vorwärts" zu machen, "der einem vertieften Glaubensverständnis und der Gewissensbildung zugute kommt". Bezeichnenderweise wurde das italienische "un balzo innanzi" durch einen "abschwächeden Zugriff kurialer Kreise" (Bischof Helmut Krätzl) übersetzt mit dem "farblosen" Ausdruck "novo studio" ("neues Bemühen").

Doch genau hier ist die Richtung des Pastoralkonzils angezeigt, das auf Verurteilungen ("Anathema") verzichten sollte: eine zeitgemäße Glaubensverkündigung, die die Tradition kennt, aber um eine Verheutigung bemüht ist ("Aggiornamento"). Hans Küng sieht damit den Startschuss gegeben für den "Auszug aus dem intellektuellen, terminologischen und religiösen Getto".

"Frische Luft!" erwartete sich der "papa buono" vom Konzil. Es hat die Fenster der Kirche weit aufgemacht. Zu weit für manche. Es ging nicht nur um das Latein oder den Messritus. Wenn man die durchschnittliche Rezeptionszeit eines Konzils bedenkt, wird man vorsichtig mit dem Ruf nach einem dritten Vatikanum. Dass manches ins Stocken geraten ist, bestreitet heute niemand.

Aggiornamento

Die anfängliche Euphorie ist einer Ernüchterung gewichen. Mit dem Konzil ist aber aus der "Kirche in aller Welt mit europäischen Exporten" eine echte "Weltkirche" geworden (Karl Rahner). Heutige Bemühungen, den nationalen Bischofskonferenzen zugestandene Rechte wieder zurückzunehmen, werden letztlich scheitern.

Für die heutige Theologengeneration ist es ein dringendes Erfordernis, wieder für die Lektüre des Konzils zu werben. Noch lebende Konzilsteilnehmer bekommen feuchte Augen, wenn sie von den Jahren 1962 bis 1965 erzählen: das Konzil als Ereignis, das für viele profilierte Katholiken zur Lebenswende wurde. Nachgeborene haben nur die Konzilstexte: Kompromisstexte, bei denen hinter den Kulissen um Varianten und Nuancen gerungen wurde, für die Mehrheiten beschafft werden mussten, bei denen es "Textwerkstätten" gab.

Für heute 20-Jährige sind die 16 Konzilstexte mehr oder weniger interessante Schriften. Für sie ist das Konzil Kirchengeschichte. Die Texte sind wieder und wieder zu lesen und durchzustudieren - auch um gewappnet zu sein gegen Instrumentalisierungen und Ideologisierungen. Es liegt nicht nur an Bischöfen, ob es der Kirche heute gelingt, auf der Basis des Konzils einen Sprung nach vorn zustande zu bringen oder ob daraus ein Salto rückwärts wird.

Der Autor ist stellvertretender Redaktionsleiter der Jesuitenzeitschrift "Stimmen der Zeit" in München.

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