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Neo-Konservativismus ?

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Was Wilhelm Röpkes Buch „Civitas humana“ und Fritz Hayeks „Weg zur Knechtschaft“ für das Aufkommen jenes, heute überall dort, wo Sozialismus und Kommandowirtschaft abgelehnt werden, mächtigen (vielleicht sogar übermächtigen) „Neoliberalismus“ waren, das kann Mühlenfelds umfassende Analyse für die Welle eines „Neo-konservativismus“ werden, die der Autor vom geschichtlichen Horizont heranwogen, ja in ihren Vorläufern bereits unsere Zeit und ihr Denken nicht unwesentlich beeinflussen sieht. Mühlenfeld redet in dem vorliegenden Werk, das übrigens keine leichte Lektüre ist, sondern erarbeitet werden will, einer Besinnung auf die echten und bleibenden — eben die „konservativen“ — Werte das Wort. Sein immer wiederkehrender Königsgedanke ist, daß alle aus der mit der Französischen Revolution verbundenen Geistesrevolte hervorgegangenen, einem Wunschbild nachjagenden Ideologien gerade durch ihre anfängliche Ueber-betonung der Ratio und ihre Mißachtung des Leib und Seele zusammenhaltenden Gefühls triebentfesselnd wirken mußten. Deshalb fällt es ihm nicht schwer, in seiner ausführlichen Ideologiekritik anscheinend so verschiedene Strömungen, wie Liberalismus und Sozialismus, Kommunismus und Faschismus (italienischer und deutscher Spielart), auf einer Ebene zu behandeln. Mühlenfeld ist auch der festen Ansicht, daß die Zeit aller dieser großen Wunschbilder vorüber ist und daß sich in vielen von ihnen ein „konservativer Umschlag“, eine stille und heimliche Hinwendung zu eigentlich typisch konservativen Gedanken und Vorstellungen anbahnt. Schade, daß hier, was überhaupt ein Nachteil dieses streng abstrakt und theoretisch gehaltenen Buches ist, Beispiele aus der praktischen Politik vermieden werden. Allein, es sei erlaubt, sie zu dieser These beizusteuern: der Wandel in der Einstellung zu Glauben und Religion, der gerade die ehrlichen „Neoliberalen“ gegenüber dem alten „Freisinn“ auszeichnet, hat durch niemand anderen als durch ihren „Kirchenvater“ Röpke („Die Presse“, 10. Jänner 1953,

Wochenausgabe) einen beredten Ausdruck gefunden. Und darf man die Gründe, warum die österreichischen Sozialisten, die Söhne der „Internationale 2K“, mit rotweißroten Fahnen und — vor drei Jahrzehnten noch undenkbar — patriotischen Sprüchen in die letzte Wahlschlacht zogen, nur im Gebiet der politischen Taktik suchen? Soweit folgen wir also Mühlenfelds Theorien mit Interesse und Zustimmung. Aufmerksamkeit verdient auch seine scharfe Kritik an den konservativen Parteien der Vergangenheit, die er vorn Nationalismus als einem Ausscheidungsprodukt des Liberalismus infiziert ansieht und deswegen seine konservativen „Prinzipien“ —■ Heimat. Grund und Boden, Eigentum, Familie, Recht, religiösen Glauben — überall, wie die Strebepfeiler zu einem mächtigen Dome, wachsen sehen will. “Aber: Werte, Prinzipien, Ideale! Sind das nicht nur verschiedene Worte mit gleichem Inhalt? Ideal, Eidolon, heißt das aber nicht eben Gleichnis, Bild, Wunschbild? Und um diese zu zerstören, schrieb doch Mühlenfeld- sein Buch. Gibt es überhaupt eine „Politik ohne Wunschbilder“, eine Politik ohne Fern- und Nah ziele? Wir glauben nicht. Allein eine Politik ohne Götzenbilder soll es geben. Und um eine solche ging es wohl auch dem Verfasser.

Ein Nachwort über das Thema Christentum unc Konservativismus, Katholik und konservativ« Position im geistigen Raum unserer Gegenwart is vielleicht noch fällig. Die Gelegenheit soll nich übergangen werden, hier einmal eine Klarstellung zu versuchen. Ist hier überhaupt noch eine Fragi offen, besteht nicht vielmehr, wie schon die ober erwähnten Maxime Mühlenfelds zeigen, eine völ lige Uebereinstjmmung? Allein auch hier hat ge rade in unserer Zeit ein großes Revisionsverfahren stattgefunden, dessen Ergebnis den Christen davor warnt, die 1789 aufgebrochenen Ideen schlechtweg in Acht und Bann zu tun und ohne Blick auf das Gesicht und in das Herz der Bundesgenossen bedenkenlos die konservative Bastion zu beziehen. Die von Mühlenfeld in Erinnerung gerufenen Thesen des Konservativismus: Heimat, Familie, Eigentum u. a., sind auch dem Christen unserer Tage genau so teuer wie seinen Vorfahren, und das Bekenntnis, „der konservative Gedanke ist den Bedingungen seines Wesens zufolge untrennbar an die Vorstellung Gottes, an die historische Religion, an das Christentum gebunden“, sei gerne gesondert vermerkt. Allein wir haben auch noch den freimütigen Satz Armin Möhlers in Ohren, mit dem er die letzte Grundhaltung einer stürmisch nachdrängenden Generation von Konservativen offen darlegt: „Damit halten wir die .konservative Revolution' nicht nur für eine Verneinung des Fortschrittsdenkens, sondern ebensosehr auch des Christentums. Dabei übersehen wir natürlich nicht, daß sich in ihr noch mannigfache christliche Elemente finden. .. Auf jeden Fall scheinen sich uns die in deutlicher Minderheit befindlichen Fälle..., wo ein betont christlicher Standpunkt bezogen wird, bei näherer Betrachtung gerade als ein Zerreiben der ursprünglichen christlichen Haltung herauszustellen.“ („Die konservative Revolution in Deutschland 1918 bis 1932“, Friedrich-Vorwerk-Verlag, Stuttgart [Seite 207].)

Auf der anderen Seite aber stehen Erkenntnisse und Bekenntnisse wie jenes von Georges Bernanos (vgl. Prof. Espiau de La Maestre: „Bernanos und die Revolution“, „Die Furche“, 21. Februar 1953), Walter Dirks („Die Aufklärung — das unvollendete Geschäft“, Frankfurter Hefte, August 1952) und Friedrich Heer („Experiment Europa“, 1952). Sie können heute — 1953 — nicht mehr überlesen werden. Sie sagen übrigens im wesentlichen nichts anderes aus als das, was schon vor über hundert Jahren der französische Philosoph und Konvertit Buchez einer überraschten Umwelt gegenüber formulierte: „Wir halten zugleich daran fest, daß die Französische Revolution aus dem Christentum kommt, daß sie in ihrem Wesen und Ursprung katholisch ist; und wir wagen die Behauptung, daß die grundlegenden Prinzipien, welche die Revolution auf ihre Fahnen geschrieben hat, daß Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Einheit... aus dem Katholizismus kommen. Und so wird diese gewaltige Gesellschaftskrise erst an dem Tag beendet sein, da die Revolutionäre Katholiken oder die Katholiken Revolutionäre sind.“

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