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Die Dritte Säule muß halten

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Die Innenpolitik in der EU ist noch den Mitgliedstaaten vorbehalten. In einem Europa ohne Grenzen wird Sicherheit zur entscheidenden Frage.

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Die Innenpolitik in der EU ist noch den Mitgliedstaaten vorbehalten. In einem Europa ohne Grenzen wird Sicherheit zur entscheidenden Frage.

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Asyl- und Einwanderungspolitik, Schutz der Außengrenzen, Kampf gegen Drogenabhängigkeit, Bekämpfung des Organisierten Verbrechens gehören zur sogenannten „Dritten Säule” der Europäischen Union; besonders sensible Bereiche, die nicht nur einen essentiellen Bestandteil nationaler Souveränität darstellen, sondern auch Grundrechte berühren.

Über einen Punkt ist man sich in der EU einig: Die Zusammenarbeit in der Dritten Säule funktioniert nicht so, wie sie sollte. „Seit ihrem Inkrafttreten ist hier absolut nichts passiert”, stellt Michel Petite, Leiter der Task Force „Regierungskonferenz 1996” der Europäischen Kommission, fest. Liegt es daran, daß die Staaten in diesen Bereichen nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen bereit sind, liegt es am unzulänglichen Instrumentarium? „Der intergouvern-mentale Ansatz hätte von großen Verbrecherorganisationen erfunden werden können”, kritisiert der deutsche EU-Parlamentarier Elmar Brök. Tatsache ist: In der „Dritten Säule” gab es bisher keine einzige verbindliche Maßnahme, die bereits vollständig in Kraft getreten ist. Die „EUROPOL”-Konvention über die Zusammenarbeit der europäischen Polizeieinheiten gilt bis heute nicht, weil Großbritannien als einziges der 15 Mitgliedsländer die insbesondere von Österreich vertretene Forderung, der Europäische Gerichtshof (EuGH) müsse in Datenschutz-Angelegenheiten ein Mitspracherecht bekommen, ablehnt. Das Dubliner Asylübereinkommen (Juli 1990) wurde nicht von allen Mitgliedsländern ratifiziert, das Schengener Abkommen gilt noch nicht in der gesamten EU - bei uns ab 1. Juli 1997.

Die Regierungskonferenz müsse „die Fähigkeit der Union verstärken, ihre Bürger vor Terrorismus, Drogenhandel, Geld Wäscherei, Ausbeutung illegaler Einwanderer und anderen Formen der Organisierten Internationalen Kriminalität zu schützen”, heißt es daher im Schlußkommunique des Rates der Staats- und Regierungschefs in Madrid vom Dezember 1995. Von fast allen Mitgliedern der europäischen „Reflexionsgruppe”, die die Aufgabe hatte, die nach „Maastricht” aufgetretenen Problemkreise darzustellen, werden eine Vereinfachung des umständlichen fünfstufigen Bearbeitungsverfahrens, eine stärkere Einbindung des Europäischen Parlaments und des EuGH und vor allem das Abgehen vom Einstimmigkeitsprinzip gefordert. Denn schon jetzt zeichnet sich ab: Großbritannien wird weiterhin gegen die „Einmischung” des Europäischen Gerichtshofes auftreten und deshalb EU-Entscheidungen in der Dritten Säule boykottieren.

Unbestreitbar bedeutet europäische Zusammenarbeit in diesem Bereich eine Gratwanderung. Einwan-derungs- und Asylpolitik sorgt schon innerstaatlich für Diskussionen; wie sehr die Standpunkte der europäischen Länder voneinander abweichen, zeigte zuletzt das Vorgehen in der Frage der Bosnienflüchtlinge. Dem österreichischen Weg der größtmöglichen Integration und der Rückführung auf freiwilliger Basis, der, so das Innenministerium, „auf Österreichs großer Tradition im Umgang mit Flüchtlingsströmen” beruhe, sind andere EU-Länder nicht gefolgt. Kann und soll es da eine Gleichschaltung geben?

Aber auch bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, die zweifellos nur grenzüberschreitend möglich ist, bringt die europäische Zusammenarbeit neuen Konfliktstoff. Schon im innerstaatlichen Bereich können die dafür erforderlichen Maßnahmen Grundrechte des Bürgers berühren und Angst vor Mißbrauch hervorrufen - umso mehr, wenn überstaatliche Einrichtungen daran teilnehmen. Bei der Zusammenarbeit der Polizei wird es vor allem um die Weitergabe von Informationen gehen - neben der EUROPOL-Konvention ist ein „Europäisches Informationssystem (EIS)” und ein „Zollinformationssystem (ZIS)” vorgesehen. Wer aber schon der „eigenen” Polizei mißtrauisch gegenübersteht und sich durch Lauschangriff und Rasterfahndung bedroht sieht, wird zu einer „Europa-Polizei” umso weniger Vertrauen haben - nicht ganz zu Unrecht, da der Grundrechtsschutz im EU-Recht bis heute nicht hinreichend verankert ist. Dabei geht es nicht nur um die fehlende Zuständigkeit des Europäisehen Gerichtshofes im Bereich der „Dritten Säule”, der ein schweres Rechtsschutzdefizit für den einzelnen darstellt. Es gibt in den EU-Verträgen bis heute keinen Grundrechtskatalog. Eine Mehrheit in der Reflexionsgruppe fordert nun den Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention - wozu aber erst ein formales Problem gelöst werden muß: Die EU hat keine eigene „Rechtspersönlichkeit”, ist also derzeit rechtlich dazu gar nicht in der Lage.

Ansätze einer Zusammenarbeit und weniger Konfliktstoff gibt es in anderen Bereichen, etwa bei der Polizeiausbildung. Hier hat ein von Österreich initiiertes Projekt gute Chancen, für Europa adaptiert zu werden: Die „Mitteleuropäische Polizeiakademie” (MEPA), an der derzeit Österreich, Deutschland, Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Slowenien beteiligt sind, fand vor kurzem im Innen- und Justizministerrat viel Anklang. Ein wichtiger Schritt, um zumindest bei den Behörden Berührungsängste abzubauen und die Voraussetzungen für eine funktionierende grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu schaffen.

Ein Kernbereich der „Dritten Säule”, der Schutz der Außengrenzen, stellt Österreich vor besondere Anforderungen. Im Innenministerium gibt man sich zuversichtlich: Man sei auf dem besten Weg, bis 1. Juli 1997 das Ziel zu erreichen und die Bedingungen des Schengener Abkommens zu erfüllen; die Einrichtung neuer Stellen und die Anschaffung der erforderlichen technischen Geräte verlaufe planmäßig. Neue Grenzgendarmen in Zeiten des Sparpakets, während andererseits Zöllner an den Binnengrenzen ihre Aufgabe verloren haben?

Das gab viel Anlaß für Kritik und „Grundsatzdebatten” über den Kün-digungs- und Versetzungsschutz für österreichische Beamte. Was dabei übersehen wurde: Mit Versetzungen oder dem „Austausch” von Personal allein hätte man das Problem nicht lösen können, selbst wenn es die rechtliche Möglichkeit gäbe. Der „Zoll” hat auch im Binnenmarkt nicht ausgedient. „Die Aufgaben in der zivilen Zollverwaltung sind anders, aber bestimmt nicht einfacher geworden”, so Andreas Hartl von der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich in Linz. „Im Bereich der Marktordnung sind jetzt wesentlich schärfere Kontrollen und mehr Verwaltungsaufwand nötig.” Nicht nur, weil „die EU-Vorschriften viel komplizierter als die bisherigen Regelungen sind”. Im Binnenmarkt fließen vor allem im Agrar-bereich Milliardensubventionen, Subventionsbetrug als neue Form der grenzüberschreitenden Kriminalität ist im Ansteigen begriffen. Dadurch gefordert sind nicht nur die Zollbehörden in den einzelnen EU-Ländern, sondern - wie so oft - die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der EU. An einem Ausbau der „Dritten Säule” führt kein Weg vorbei.

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