Gerechter Ausgleich durch eine neue Steuer

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Gute Gründe und Studien sprechen für eine Steuer auf - derzeit nicht umsatzbesteuerte - Finanztransaktionen, also den Handel von Aktien, Derivaten und anderen Finanzprodukten. Selbst ein niedriger Steuersatz von 0,01 Prozent brächte enorme Mittel für den globalen Kampf gegen die Armut. Ein Plädoyer, die Vision Finanztransaktionssteuer zu realisieren.

Noch vor wenigen Jahren war das undenkbar: Alle Parteien in Österreich bekennen sich zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene, das heißt zur Besteuerung aller handelbaren Finanzprodukte wie Aktien, Derivate, Futures und Devisen. Kein Wunder, ist es doch tatsächlich nicht einzusehen, warum diese Finanzprodukte von einer Umsatzbesteuerung, wie wir sie bei fast allen anderen Produkten und Dienstleistungen kennen, ausgenommen sind. Rund 13.000 Milliarden Dollar täglich betrug das Volumen der Finanztransaktionen im Jahr 2008. Eine schier unvorstellbare Zahl und ein Vielfaches des Volumens der Realwirtschaft, also des Handels mit Gütern oder Dienstleistungen - auch wenn die Höhe der Transaktionen durch die Finanzkrise kleiner geworden sein sollte.

Es gibt heute tatsächlich viele Argument, die für die Einführung einer solchen Steuer sprechen:

Erstens: Das WIFO hat in einer vom Ökosozialen Forum beauftragten Studie aus dem Jahr 2008 geschätzt, dass bereits bei einem Steuersatz von 0,01 Prozent allein im europäischen Raum Steuereinnahmen von rund 80 Milliarden Euro generiert werden könnten - da ist ein Rückgang des Handelsvolumens aufgrund der Einführung der Steuer bereits einkalkuliert. Bei einer globalen Einführung betragen die Einnahmen rund 250 Milliarden Euro. Dringenden Bedarf für diese Mittel gäbe es: Sowohl für die internationale Armutsbekämpfung, die Finanzierung der EU, die beschlossenen Konjunkturbelebungsprogramme etc. Hier fehlt Geld, das derzeit schwer aus den angespannten Staatshaushalten aufzubringen ist.

Zweitens: Da diese Steuer aufgrund des niedrigen Steuersatzes vor allem den häufigen Kauf und Verkauf von Finanzprodukten verteuern würde, hätte sie eine systemstabilisierende Wirkung. Denn die häufigen Kauf- und Verkaufsentscheidungen wirken oft trendverstärkend, was sowohl die Blasenbildung als auch das Platzen von Blasen forciert. Besonders beschleunigt wird diese Entwicklung durch computerunterstützte Handelssysteme, die auf ganz geringfügige Kursentwicklungen reagieren. Langfristige Investitionen oder auch das Absichern von Preisen - das sogenannte Hedgen - wären hingegen aufgrund des niedrigen Steuersatzes kaum spürbar belastet.

Drittens: Es ist nur zu gerecht, dass jene Branche, die aufgrund einer blinden Marktgläubigkeit in den letzten Jahren extrem liberalisiert sowie dereguliert wurde, extrem vom Boom profitiert und die aktuelle Wirtschaftskrise ausgelöst hat, mit einer Finanztransaktionsteuer einen Beitrag zur Wiedergutmachung der Schäden leistet.

Zustimmung aus Banken und Parlamenten

Umso erstaunlicher ist es, dass diese Argumente international noch kaum Gehör finden: Kein einziges Land in der EU außer Österreich hat die Finanztransaktionssteuer derzeit auf der politischen Agenda. Zwar gibt es vermehrt Befürworter - selbst aus Bankkreisen! -, zwar gibt es Parlamentsbeschlüsse zur Einführung einer EU-weiten Devisentransaktionssteuer in Frankreich und Belgien, zwar spricht sich Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in seinem aktuellen UN-Report für eine "Financial Service Tax" aus, doch auf der Tagesordnung der G-20 sucht man die Finanztransaktionssteuer vergeblich. Daher gilt es zwei große Hindernisse zu überwinden:

Das erste Hindernis ist ein ideologisches. Die meisten Finanzökonomen in Wissenschaft, Verwaltung und Politikberatung haben aufgrund ihrer marktliberalen, neoklassischen Einstellung eine skeptische Haltung gegenüber einer Steuer auf Finanztransaktionen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele eine allgemeine Finanztransaktionssteuer noch immer mit der Tobin-Tax oder der Devisentransaktionssteuer verwechseln, gegen die sich in den letzten Jahren ein reflexartiger Abwehrmechanismus entwickelt hat. Man glaubte - zumindest bis zur aktuellen Krise -, dass der Finanzmarkt umso besser funktioniere, je weniger man in ihn eingreife. Eine Glaube, der nun von der bitteren Realität erschüttert wurde.

Das zweite Hindernis ist die Hürde der Einstimmigkeit in der EU. Selbst Befürworter einer Finanztransaktionssteuer sind derzeit überzeugt, dass eine Einführung zumindest auf europäischer Ebene erfolgen muss. Das ist in der EU aufgrund der notwendigen Einstimmigkeit für einen solchen Beschluss eine große Herausforderung, die wohl nur im Windschatten einer Krise wie der jetzigen zu meistern sein wird.

Visionen? Niemand ahnte, was heute real ist

Was ist also zu tun, wenn es Österreich mit seinem Engagement ernst meint und die Finanztransaktionssteuer nicht nur ein willkommenes Ablenkungsmanöver in der Steuerdebatte ist - nach dem Motto: "Das können wir ruhig fordern, das kommt sowieso nicht." Das Wichtigste ist wohl, weitere Allianzpartner zu gewinnen - Deutschland und Frankreich bieten sich hier an. Über diese beiden Länder bestünde auch die Möglichkeit, das Thema direkt an die G-20 heranzutragen. Auch die EU-Kommission ist stärker in die Pflicht zu nehmen. Sie muss endlich ernsthaft die Machbarkeit einer EU-weiten Transaktionssteuer prüfen - schon aus finanziellem Eigeninteresse: Gerade im Zuge des EU-Budget-Reviews für die EU-Finanzierungsperiode nach 2013 wäre eine Diskussion über neue Einnahmen äußerst zielführend.

Die Utopisten von heute sind die Realisten von morgen, lautet ein bekanntes Sprichwort. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass man Banken enteignen wird und dass Chrysler und Opel Übernahmekandidaten für Fiat sind? Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass Tschechien, die Slowakei, Ungarn etc. Teile der EU sein werden? Noch ist die Finanztransaktionssteuer sicherlich eine Vision, doch nicht derjenige, der Visionen hat, sollte zum Arzt gehen, sondern der, der keine hat.

* Der Autor ist Geschäftsführer des Ökosozialen Forum Österreich und Europa

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