"Memory Wars": Kampf um Erinnerung
In einer polarisierten Gesellschaft droht auch der Traumatherapie ein Rückschlag. Über Geschichte und Gegenwart der „Memory Wars“.
In einer polarisierten Gesellschaft droht auch der Traumatherapie ein Rückschlag. Über Geschichte und Gegenwart der „Memory Wars“.
Im Superwahljahr 2024 wird es wieder zu beobachten sein: Die Zuschreibung von Opfer- und Täterrollen erfolgt rasant und ungeniert. Man muss nicht unbedingt in die USA blicken, wo der mehrfach angeklagte Donald Trump an seiner Wiederkehr arbeitet; auch im kleinen Österreich ist die Täter-Opfer-Umkehr allseits beliebt. Erstaunlich, wie viele selbsternannte „Opfer“ es heute gibt: zum Beispiel die Leidtragenden einer bösartigen Justiz, voreingenommener Medien oder diskriminierender, ja „faschistischer“ Corona-Maßnahmen. Menschen, die vor der eigenen Haustür kehren und sich kritisch selbst reflektieren, sind im öffentlichen (Debatten-)Raum kaum noch auszumachen. Die Täter-Opfer-Umkehr wird besonders perfide, wenn es dabei um Personen geht, die deformierender Gewalt ausgesetzt waren – und als Folge davon ein Trauma, eine tiefe innere Verletzung, davontrugen, die ihr weiteres Leben massiv beeinträchtigt.
USA 1990: Eine angehende Psychologie-Professorin der Universität Oregon stößt in ihrer eigenen Psychotherapie auf verstörende Erinnerungen. Sie deuten darauf hin, dass Jennifer Freyd als Jugendliche von ihrem Vater missbraucht worden ist. Sie will die Geschichte in der Familie aufklären. An ihre Eltern schreibt sie: „Ich habe nicht die Absicht, das Rechtssystem zu nutzen, um Wunden von vor vielen Jahren zu heilen. Ich bitte euch, mir zu helfen, indem ihr meine Wünsche respektiert.“ Doch die Eltern wollen nichts von der Geschichte hören. Mathematik-Professor Peter Freyd hat einen anderen Verdacht im Sinn: Die Therapie sei es, die zur Verwirrung seiner Tochter geführt habe. Kurz darauf gründen er und seine Frau die „False Memory Syndrome Foundation“: eine Interessensgemeinschaft, deren Mitglieder angeben, fälschlicherweise des sexuellen Missbrauchs beschuldigt zu werden.
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