Wissenschaft: Postkoloniale Verwirrungen
Ein Eklat an der Universität Bern offenbart, wie in vielen Kulturwissenschaften die an sich wichtigen Anliegen der postkolonialen Tradition in problematische, ja unsägliche Richtungen driften. Ein Gastkommentar über akademischen Aktivismus und "Haltung" in der Wissenschaft.
Ein Eklat an der Universität Bern offenbart, wie in vielen Kulturwissenschaften die an sich wichtigen Anliegen der postkolonialen Tradition in problematische, ja unsägliche Richtungen driften. Ein Gastkommentar über akademischen Aktivismus und "Haltung" in der Wissenschaft.
Die aktuelle Diskussion um die Wertung der Ereignisse vom 7. Oktober und dessen Nachwirkungen bewegen nicht nur die aktuelle Politik und Diplomatie auf höchsten Ebenen, sondern zeitigt auch Reflexe in den universitären und akademischen Betrieben weltweit. Ein ganz junger Vorfall aus dem deutschsprachigen Raum kann hier beispielgebend genannt werden. An der Universität Bern musste ein ganzes Institut, das an sich mit Islamwissenschaft bzw. Nahoststudien verbunden war, aufgelöst werden. Unmittelbarer Auslöser war ein Eintrag in sozialen Netzwerken durch einen wissenschaftlichen Mitarbeiter im vorigen Herbst, der seine große Freude über den Terrorangriff der Hamas ausdrückte. Es folgte eine nur halbherzige Distanzierung durch die kürzlich installierte Institutsleiterin, deren Zugang zum ganzen Thema zudem auch in Kritik geriet.
Die Universität Bern reagierte so, wie sie reagieren musste, um noch größeren Schaden abzuwenden und der akademischen Redlichkeit gerecht zu werden: Die Professorin wurde abgemahnt und das Institut einem gründlichen Reformprozess unterzogen, der letztendlich wohl auch zu personellen Neukonstellationen führen wird. Wenn man weiß, dass dieses Institut zuvor vom hochrenommierten Islamwissenschafter Reinhard Schulze geleitet wurde, der sich zeit seines Lebens mit hochsensiblen und aktuellen Fragen im Zusammenhang mit der islamischen Welt auseinandergesetzt hat und dabei immer eine sauber differenzierte Positionierung einnahm, zeugt von einer unsäglichen Entwicklung im akademischen Betrieb, die in vielen Kulturwissenschaften um sich griff.
Wider den „Orientalismus“
Vieles verbindet sich mit der sogenannten postkolonialen Tradition, deren Start meist mit dem berühmten Buch „Orientalism“ (Orientalismus) von Edward Said angesetzt ist, das erstmals 1978 erschien und ab den 1980er Jahren zum zentralen Gründungsdokument einer ganzen Forschungstradition wurde. Dabei ist das eigentliche Anliegen selbst ein ganz wichtiges: Said analysierte die klischeehaften Darstellungen des „Orients“ in der europäischen Forschungstradition seit dem 19. Jahrhundert und wies auf die kontrastierende Wahrnehmung eines vermeintlich „mystischen“, arationalen, meist sehr schwül gezeichneten „Orients“ (womit er insbesondere die islamische Welt und den Nahen Osten meinte) gegenüber dem aufgeklärten, rationalen „Westen“ hin.
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