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Forderungen an die Schule von morgen

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Die katholische Lehrerschaft Österreichs betrachtet sich als eine Hüterin der Wahrheit, als Trägerin und Verkünderin christlich-abendländischer und im besonderen österreichischer Geistestradition. Sie weiß sich verpflichtet, alles im Geistesleben der Nation und der Menschheit neu Auftretende zu prüfen, das Gute, Wertvolle einzubauen in ihre Berufsarbeit, dem Zweifelhaften aber und dem Gefährlichen gegenüber ihre warnende Stimme zu erheben. Sie wird vor verderblichen Erscheinungen warnen, auch dort, wo andere Kreise keine Gefahr sehen, und auch dann, wenn diese Warnungen unerwünscht sind.

Auf jährlich einmal stattfindenden Delegiertentagungen werden mit den Vertretern der einzelnen katholischen Landeslehrervereine neben den notwendigen organisatorischen und standespolitischen Fragen alle zeitrichtigen pädagogischen Probleme beraten. Wenn die Delegiertentagung der katholischen Lehrerschaft nach Anhörung berufenster Fachleute und nach ernster, gewissenhafter, durchaus demokratischer Dnrch-beratung einer bestimmten Materie zur Abfassung von Richtlinien und Leitsätzen kommt, so sind diese Richtlinien für alle Mitglieder verpflichtend, nach ihnen haben die Landesvereine ihre Arbeit zu gestalten, und die Öffentlichkeit darf in einer Stellungnahme der Reichsvereinigung und ihrer Delegiertentagung die gemeinsame Haltung der gesamten in dieser durchaus unabhängigen und unpolitischen Berufsorganisation zusammengefaßten christlichen Lehrerschaft Österreichs erkennen.

Wo immer über Schule und Erziehung geredet oder geschrieben wird, ist es daher sinnvoll zu prüfen, wie zu den behandelten Fragen die Reichsvereinigung der katholisdren Lehrerschaft stehe. Und es ist nicht nur sinnvoll, sondern es sollte selbstverständlich sein, daß keine gesetzgebende Körperschaft und keine Behörde in Schul- und Erziehungsfragen Beschlüsse fassen, ohne die gehört zu haben, die auf Grund ihrer Sachkenntnis und auf Grund der Tatsache, daß die überwiegende Mehrheit der österreichischen Lehrer ihres Geistes ist, das vornehmste Recht haben, neben der christlichen Elternschaft gehört zu werden, wenn von Erziehung und Unterricht die Rede ist.

Die katholische Lehrerschaft Österreichs ist sich bewußt, daß alle Beurteilung von

Schul- und Erziehungsfragen richtig nur vom Kinde aus erfolgen kann. Sie hat daher kein Verständnis dafür, daß dabei andere Gesichtspunkte, etwa parteipolitische, eine beherrschende Rolle spielen könnten. Einige der durch ein künftiges Schulgesetz zu lösenden Erziehungsprobleme hält sie für so wesentlich, daß sie niemals mit gutem Gewissen irgendeiner Regelung der Angelegenheit durch parteipolitische Kompromißver-handlungen zustimmen wird. Deshalb erhebt die Reichsvereinigung der katholischen Lehrerschaft Österreichs gewisse schon wiederholt ausgesprochene Forderungen immer wieder aufs neue, weil einerseits ihr Gewissen, andererseits eine nüchtern-sachliche Beobachtung der tatsächlichen Verhältnisse sie dazu zwingt.

Unter den unabdingbaren Forderungen, die ein kommendes Schulgesetz zu erfüllen haben wird, steht an erster Stelle die nach einer klaren Zielsetzung aller Erziehung. Die religiös-sittliche Erziehung der katholischen Kinder im Geiste des Christentums muß gesetzlich verankert sein. Die Möglichkeit des Religionsunterrichts allein erscheint hiefür als nicht ausreichend. Es muß vielmehr dafür gesorgt werden, daß das Gewissen dirist-1 icher Eltern, Kinder und Lehrer durch keine Maßnahme verletzt werde. Wenn der Staat schon für seine nationalen Minderheiten ausreichende Schutzmaßnahmen trifft, muß erst recht die christliche Mehrheit des österreichischen Volkes solchen Schutz beanspruchen dürfen.

In allen Schulkategorien einschließlich der gesamten Lehrerbildung und der Hochschulen ist ein Schulmonopol, ein Alleinerziehungsrecht des Staates, unbedingt abzulehnen. Eltern und Schüler müssen in voller Freiheit und ohne zusätzliche wirtschaftliche Belastung die Schule wählen können, die ihrem Gewissen entspricht. Jedem Schulerhalter ist aber die Pflicht aufzuerlegen, seine Lehrpersonen im Sinne eines einheitlichen Dienst- und Besoldungsrechts zu behandeln.

Eine allgemeine Koedukation, die der Eigenart der Geschlechter widerspricht, ist abzulehnen; nur bei besonders gelagerten schulorganisatorischen Notwendigkeiten sind Ausnahmen zulässig.

Das von allen politischen Parteien geforderte neunte Schul ahr muß als fünfte Volksschulstufe eingeschaltet werden. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus physiologischen, psychologischen und schulpraktischen Erfahrungen.

Die österreichische Hauptschule muß erhalten bleiben. Sie dient der Vorbereitung auf das praktische Leben in Handwerk und Industrie, in Gewerbe und Landwirtschaft sowie der Vorbereitung auf die verschiedenen Berufsschulen. Die Mittelschule dagegen dient der Vorbereitung auf das rein wissenschaftliche Arbeiten an den Hochschulen. Man kann zwei Schultypen mit so verschiedenen Aufgaben nicht in einer einzigen Schulkategorie vereinigen — etwa in einer Einheitsmittelschule —, sonst besteht die Gefahr, daß keine von beiden Aufgaben wirklich erfüllt wird. Ein Bildungsrückgang würde die notwendige Folge sein. Die Hauptschule muß elastisch organisiert sein, ihr Lehrplan wird bald mehr dem handwerklichen, bald dem industriellen, bald dem bäuerlichen Leben angepaßt sein müssen.

In der Frage der Lehrerbildung lehnt die katholische Lehrerschaft alle Experimente mit zweijährigen Hochschulkursen nach der Mittelschule ab, sondern fordert nach wie vor die Heranbildung der P f 1ichtschui1 ehrer in Berufsschulen, da nur in ihnen früh genug die Vermittlung des für diesen Stand so notwendigen Berufsethos möglich gemacht wird. Die bisherigen Lehrerbildungsanstalten sind in sechsjährige Lehrerakademien mit Hochschulberechtigung zu verwandeln. Diese Lehrerakademien sollen nach vier Jahren die Reifeprüfung mit Hochschulberechtigung und Ubertrittsmöglichkeit und nach weiteren zwei Jahren die Schulamts-prüfung geben. Nur so erscheint eine geschlossene Berufsausbildung für den lebensnahen Volksschullehrerstand gesichert.

Vor einigen Tagen hat die Reichsvereinigung der katholischen Lehrerschaft Österreichs vor Vertretern des

öffentlichen Lebens und vor Vertretern der Presse neuerlich diese ihre Forderungen in der Schulfrage ausgesprochen, um die katholische Öffentlichkeit auf die Bedeutung dieser Probleme für die Jugend und damit für die Zukunft unseres Vaterlandes aufmerksam zu machen.

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