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Die Pisa-Studie macht es offiziell: Österreichs Schüler verbringen besonders viel Zeit im Klassenzimmer. Und was bleibt vom langen Unterricht?

Das Pensum kann sich sehen lassen: 3.407 Stunden sitzen Österreichs Schülerinnen und Schüler zwischen zwölf und 15 Jahren in der Schule. Ein internationaler Spitzenwert, wie die Pisa-Studie eindrucksvoll belegt: So müssen ihre deutschen Kollegen in diesem Zeitraum nur 2.200 Stunden in der Klasse ausharren, Jugendliche im Testsiegerland Finnland gar nur 1.200 Stunden.

Auch die wöchentliche Arbeitszeit österreichischer Schüler ist beachtlich: 32 bis 40 Stunden verbringen Schüler der allgemeinbildenden (AHS) und berufsbildenden höheren Schulen (BHS) pro Woche in der Klasse. Dabei fallen in den BHS tendenziell mehr Wochenstunden an als in den Gymnasien. AHS-Schüler haben in der 5. Klasse eine 33-Stundenwoche, ab der 6. Klasse kommen zu 31 beziehungsweise 32 verpflichtenden Unterrichtsstunden insgesamt zehn Stunden in Wahlpflichtfächern dazu.

Brisant wird das hohe Stundenausmaß an Österreichs Schulen - inklusive Lernzeit zu Hause oft bis zu 55 Wochenstunden -, wenn man einen Blick auf den Nutzen dieser Mühen wirft: So meinten im Rahmen einer market-Umfrage vom Jänner dieses Jahres 47 Prozent der Eltern, dass ihre Kinder in der Schule "viele Dinge lernen müssen, die man im späteren Leben eigentlich nicht braucht".

Tausende von Stunden - umsonst? Johann Wimmer, der für die AHS zuständige Abteilungsleiter im Bildungsministerium, warnt zumindest hinsichtlich der Unterrichtsstundenzahlen vor der beschränkten Aussagekraft internationaler Vergleiche: "Da werden Dinge miteinander verglichen, die in Wahrheit nicht vergleichbar sind. So gibt es etwa in keinem europäischen Land außer in Österreich und Deutschland Religion als Pflichtfach." Eines steht jedoch auch für den AHS-Experten außer Streit: Schüler der Oberstufe arbeiten insgesamt mindestens so viele Wochenstunden wie voll berufstätige Erwachsene.

Ob sie damit überfordert sind? "Das lässt sich nicht verallgemeinern. Individuelle Überforderung entsteht vor allem dann, wenn die Bildungsambitionen der Eltern höher sind als die Leistungsfähigkeit oder die Leistungsbereitschaft des Schülers." Wobei es - so Wimmer - weit häufiger an der Leistungsbereitschaft mangle als an den Fähigkeiten. "Tatsache ist, dass sich 16- oder 17-jährige Jugendliche in einer problematischen Entwicklungsphase befinden. In dieser Zeit fehlt vielen einfach das Interesse für die Schule." Mitunter könne sogar eine Unterbrechung der Schullaufbahn heilsam sein - nach einem Abstecher ins Berufsleben kehre so mancher gern wieder auf die Schulbank zurück und bringe nachher wesentlich bessere Leistungen.

Auch AHS-Schülersprecher Michael Steiner glaubt nicht an eine generelle Überforderung der Schülerinnen und Schüler, doch werde die Qualität ihrer Arbeit durch sinnlose Belastung geschmälert. Insgesamt seien die Ergebnisse, die das österreichische Schulsystem erzielt, "ganz in Ordnung". Bezeichnend sei aber, dass gerade Pisa-Sieger Finnland seinen Schülern besonders wenige Wochenstunden abverlangt - aus Steiners Sicht ein klares Indiz für die Ineffizienz unseres Systems. Durch eine Reform, die zu einer Reduktion der Stundenzahl führt, müsse es möglich sein, das Leistungsniveau der Schüler nicht nur zu halten, sondern sogar noch zu verbessern. Neben Änderungen des Lehrplans fordert Steiner eine permanente Lehrerfortbildung. "Ich glaube, dass wir ein Anrecht darauf haben, dass unsere Lehrer nicht nur fachlich, sondern auch pädagogisch auf aktuellem Stand sind. Immerhin beeinflusst die schulische Laufbahn unser ganzes Leben."

Welche Unterrichtsfächer als interessant und welche als langweilig, besonders schwierig oder belastend angesehen werden, ist nicht nur individuell unterschiedlich, sondern, so Johann Wimmer, auch gesellschaftlich bedingt. Am beliebtesten seien Geisteswissenschaften und lebende Sprachen. Was nicht ganz unproblematisch sei: "Der Drang zu den Geisteswissenschaften entspricht nicht dem Bedarf der Wirtschaft. Und für Sprachen ist wirklich nicht jeder begabt - die Erwartungen in diesem Bereich sind oft viel höher als die tatsächliche Eignung." Auch Latein kommt bei der Jugend besser an als allgemein angenommen. Steiner: "Der Großteil der Schülerinnen und Schüler schätzt dieses Fach."

Ziemlich weit unten auf der Hitliste: Mathematik und die naturwissenschaftlichen Fächer. Bei den Naturwissenschaften werde es, so Johann Wimmer, oft zur Falle, "nur die Anschaulichkeit in den Mittelpunkt stellen zu wollen. Auch Unanschauliches und nicht sofort praktisch Umsetzbares kann spannend sein." Was vor allem von der Art der Aufbereitung abhänge. Nach wie vor finden im Durchschnitt Mädchen schwerer Zugang zu Physik und Informationstechnologie als Burschen. Wimmer führt das auch auf eine unterschiedliche Lernmotivation zurück: "Burschen arbeiten eher erfolgsorientiert - für sie ist der Zweck ihrer Mühe erreicht, wenn sie es schaffen, dass etwas funktioniert. Mädchen denken dagegen mehr ergebnisorientiert. Sie wollen zuerst wissen: Wozu mache ich das? Ihr Interesse kann man nur wecken, wenn es gelingt, ihnen den praktischen Wert des Wissens nahe zu bringen."

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