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Chemiefasern in Österreich

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Alljährlich treffen einander anläßlich der Dornbirner Messe die Vertreter der Chemiefaserindustrien und der Textilwirtschaf t Österreichs. Die Chemiefaserindustrie hält jährlich in Dornbirn eine Tagung ab, welche der Zusammenarbeit zwischen Chemiefaserindustrie und Textilwirtschaft gewidmet ist. Es werden dort jene Probleme erörtert, die beide Sparten der Wirtschaft interessieren und teilweise auch Probleme unter den beiden Partnern darstellen, die einer Bereinigung und Aussprache bedürfen. Das ist logisch. Lieferant und Verarbeiter sind aufeinander angewiesen und teilweise voneinander abhängig. Ein Modus, der den Interessen beider Teile gerecht wird, muß gefunden werden. So nimmt die Textilwirtschaft — besonders die Faserverarbeiter — an der Chemiefasertagung teil, um sich zu orientieren, mit welchen Neuerungen auf dem Gebiet der Textilfasem zu rechnen ist und wie die Faserindustrie die

gemeinsamen Probleme betrachtet. In der Diskussion wird dann darnach getrachtet, eine gemeinsame Lösung abzuzeichnen und diese anzustreben.

Der Fachverband der Textilindustrie Österreichs hält alljährlich eine Tagung in Feldkirch ab, welche eine Rückschau und Vorschau in der Entwicklung der österreichischen Textilindustrie gibt. Dort nimmt wieder die Chemiefaserindustrie teil, um sich über die Entwicklungstendenzen der Textilindustrie zu informieren.

Insbesondere wollen wir aber heute in unserem Artikel Probleme der Chemiefaserindustrie streifen. Dazu ist folgendes zu sagen:

Bis zum Anfang dieses Jahrhunderts waren

praktisch nur Naturfasern die alleinige Rohstoffquelle für die Textilindustrie. Bis zum zweiten Weltkrieg haben sich allmählich Chemiefasern auf zellulosischer Basis, Reyon und Viskosestapelfasern, eingeschoben. Dadurch waren wohl neue Begriffe und auch Probleme, insbesondere in der Verarbeitung, aufgetreten, die aber im wesentlichen die althergebrachte Struktur der Textilwirtschaft kaum verändert haben. Es war zwar ein neues Zeitalter, das der Chemiefasern, angebrochen; eine zusätzliche Rohstoffquelle hatte sich aufgetan, die unabhängig von Anbau, natürlichen Zeiten der Reife und des Wachstums, unabhängig von Standort, Ernte und Schurzeiten war. Aber weder in der maschinellen Ausstattung der verarbeitenden Betriebe noch im Verhältnis Rohstofflieferant — Textilindustrie — Handel war eine augenfällige Verschiebung eingetreten. Bemerkenswert war allerdings eine reichhaltigere Sortimentsgestaltung in den textilen Artikeln, vor allem die Möglichkeit, die Mode nunmehr breiten Bevölkerungsschichten durch schöne und preiswerte Stoffe zugänglich zu machen. Eine tiefgreifende und revolutionäre Änderung aller dieser Verhältnisse ist jedoch nach dem zweiten Weltkrieg mit dem steil ansteigenden Einsatz der vielfältigen synthetischen Chemiefasern mit ihren neuartigen Qualitätseigenschaften eingetreten.

Österreich zählt zu den Pionierländern in der Entwicklung und Erzeugung von Chemiefasern. Bereits im Jahre 1904 hat der österreichische Ingenieur Dr. Johannes Urban die Erste österreichische Glanzstoff-Fabrik in St. Pölten gegründet, nachdem er vorher gemeinsam mit dem Rheinländer Fremery um die Jahrhundertwende die Grundlagen zur Erzeugung von Kupferkunstseide erforscht und den Glanzstoffkonzern mitgegründet hatte. Die von ihm konstruierte Spinnapparatur wird in ihren wesentlichen Elementen auch heute noch allgemein verwendet. Die erste kochfeste Kunstseide wurde vom Österreicher Lilienfeld um 1925 in Wien erfunden; seine Arbeiten waren damit auch der Ausgangspunkt für die Entwicklung der modernen Viskosesuperfasern, die unter der Bezeichnung „Modalfasern“, mit den heutigen Untergruppen polynosische und Hochnaß-modalfasern gerade in diesen Tagen von sich reden machen. Auch die Chemiefaser Len-zing AG., die vergangenes Jahr auf ihr 25jähriges Bestehen zurückblicken konnte,

hat sich in ihrer Forschung auf diesem Gebiete intensiv betätigt; sie wird zur diesjährigen Messe Dornbirn eine Reihe verschiedener textiler Artikel aus ihrer neuen Faserschöpfung „Hochmodul 333“ vorführen, um an diesen Qualitäten mögliche Einsatzgebiete zu demonstrieren.

Auf dem Gebiete der Viskosefasern, Reyon aus St. Pölten und Viskosespinnfasern aus Lenzing, sind diese beiden Werke der österreichischen Chemiefaserindustrie nicht nur in der Lage, den gesamtösterreichischen Bedarf der Textilindustrie für den Inlandsverbrauch und für deren Exportproduktion zu

decken, sondern sie vollbringen ihrerseits darüber hinaus eine bedeutende Exportleistung. Mehr als zwei Drittel der Lenzinger Produktion an Viskosefasern werden weltweit exportiert, und auch aus der Produktion der Vereinigten österreichischen Glanzstoff-Fa-brik St. Pölten geht ein sehr bedeutender Teil in den Export.

Die Produktion an synthetischen Chemiefasern hat ihren Ausgang von den petro-chemischen Zentren der Industrieländer Europas, in den USA und in Japan genommen. Diese synthetischen Fasern, vor allem Polyamide, wie zum Beispiel Perlon, Nylon, Enkalon usw. — Polyesterfasern, wie zum Beispiel Trevira, Terylen, Diolen, Terlenka usw. — Polyacrylfasern, wie zum Beispiel Dralon, um nur die wichtigsten Hauptgruppen an synthetischen Fasern und einige Marken zu nennen, haben ganz neue Impulse in der Textilwirtschaft ausgelöst und neue Relationen geschaffen. In Österreich werden derzeit noch keine synthetischen Fasern produziert, jedoch werden auch auf diesem Gebiete Forschungsarbeiten geleistet und die Chemiefaser Lenzing AG. bereitet die Produktion einer synthetischen Faser für Österreich vor. Hingegen werden derzeit synthetische Fasern von der österreichischen Textilindustrie dank einer liberalen Importpolitik in offener Konkurrenz aus praktisch allen Erzeugerländern importiert, so daß die österreichische textdle Fertigung in vollem Ausmaß in die neue, durch die Synthetics ausgelöste Dynamik miteinbezogen ist.

In der Textilindustrie ist weltweit ein Strukturwandel festzustellen, der noch nicht abgeschlossen ist. Die Einflüsse sind mannigfaltig, nicht zuletat spielen die staatspolitischen Neuordnungen, die Industrialisierung von Entwicklungsländern und Wandlungen im Welthandel eine Rolle. Ein entscheidender Einfluß geht aber auch von der Chemiefaserindustrie aus, die mengenmäßig nahezu zu einem Drittel und wertmäßig weit über die Hälfte für das Rohstoffaufkommen verantwortlich zeichnet. In den USA zeichnet sich die Formierung in große, mehrstufige Textilkombinate ab, denen gleichrangig und unabhängig große Chemiefaserkonzerne gegenüberstehen. Es liegt auf der Hand, daß die Chemiefaserindustrie, insbesondere seit dem Aufkommen der synthetischen Fasern, ihre umfangreichen Funktionen in Entwicklung und Forschung sowie in einem umfassenden Marketing, aber auch eine rationelle Produktion nur ab einer Mindestgröße bewältigen kann. In England bemerken wir einen Strukturwandel in Richtung einer Vertikalisierung, einer Fusionierung von Chemiefaser- und Textilindustrie bis zur Konfektion und zum Teil bis zum Handel reichend. Ein Beispiel dafür bildet der Courtaulds-Konzern, der ursprünglich aus einem Textilbetrieb hervorgegangen war. In Kontinentaleuropa wird noch nach Lösungen gerungen, die nicht ohne schmerzliche Nebenerscheinungen zu erreichen sein werden. Hier zeichnen sich Verbundlösungen innerhalb der Textilindustrie ab, auf den Gebieten der Forschung, Produk-tionsteilung, um zu rationellen Größen zu kommen, sowie Verbuhdlösungen auf den Gebieten des Vertriebes und der Werbung.

Fusionierungstendenzen mit der Chemiefaserindustrie sind nicht zu erkennen. Die enge und notwendige Zusammenarbeit zwischen den Erzeugern synthetischer Chemiefasern und der Textilwirtschaft erfolgt auf einer freien Interessenbasis im Rahmen eines Kundendienstes, der allerdings an umfassender Integrität bislang nicht Vergleichbares aufzuweisen hatte.

Das Resultat dieser Zusammenarbeit besteht einerseits in der Schöpfung vielfältiger und neuartiger Artikel, sowohl im Hinblick auf Gebrauchstüchtigkeit, Zweckmäßigkeit für spezielle Verwendung und modische Bereicherung auf Konsumentenseite, und anderseits in einer wirksamen konjunkturellen Belebung textiler Erzeugungsbetriebe. Das Marketing der Chemiefaserindustrie durchläuft alle Stufen der Textilwirtschaft, von Spinnerei über Weberei, Ausrüstung, Konfektion. Das Instrumentarium reicht von Verarbeitungsrichtlinien und Musterdienst bis zur Aufklärung des Einzelhandels und bis zur Konsumentenwerbung. Diese Anregungen schließen teilweise auch die herkömmlichen Naturfasern mit ein, da vielfach Chemiefasern nicht nur alleine, in 100 Prozent, verarbeitet werden, sondern auch in Mischungen, zum Beispiel mit Wolle und mit Baumwolle, wodurch sich je nach Msichungsverhältnis und Verwendungszweck weitere, neue, vorteilhafte Qualitäten ergeben.

Zum vierten Male wird dieses Jahr die internationale Chemiefasertagung anläßlich der Messe in Dornbirn abgehalten werden. Veranstaltet wird diese Tagung vom österreichischen Chemiefaser-Institut, dem Firmen aus allen Sparten der Textilwirtschaft angehören. Diese Fachtagung steht unter dem Generalthema „Der Wandel des textilen Qualitätsbegriffes im Zeichen der Chemiefaser“, das symptomatisch erscheint für den Einfluß auf das gesamte textile Denken und Geschehen. Auch hier wird Gelegenheit gegeben sein, die uns alle bewegenden Probleme freimütig zu diskutieren. Das Neuartige ist, daß diese Fragen Rohstoffproduzent, Textilfabrikant und Konfektion, Handel und Konsument, Wissenschaft und Praxis gleichstark berühren und durchdringen. Die im harten Konkurrenzkampf stehende und sich neuen Entwicklungen stets aufgeschlossen zeigende österreichische Textilwirtschaft findet in der Chemiefaserindustrie eine aktive Partnerschaft

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