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Wekhe Stoffe sind im Mist?
Abfälle sind zwar ein Massenproblem bei der Sammlung und dem Transport, wichtiger aber sind ihre Inhaltstoffe.
Abfälle sind zwar ein Massenproblem bei der Sammlung und dem Transport, wichtiger aber sind ihre Inhaltstoffe.
Im Laufe der zivilisatorischen Entwicklung hat der Stoffwechsel des Menschen um Größenordnungen zugenommen: Der heutige Mitteleuropäer verbraucht im Haushalt pro Jahr rund 100 Tonnen an Gütern. Zwei Drittel davon sind Wasser, die für Reinigungszwecke \md den Transport der Fäkalien eingesetzt werden. Ein Fünftel sind Brennstoffe und dazugehörende Abgase. Zehn Prozent bestehen aus Mineralien sowie natürlichen und synthetischen Polymeren. lediglich ein Prozent des gesamten Stoffumsatzes im Haushalt dient der Ernährung des Menschen, und weniger als ein Promille rührt von Verpackungen her. Über Jahrhunderte hat der Mensch ein Lager an festen Materialien von etwa 300 Tormen pro Kopf angehäuft. Dieses Lager dient in erster Linie der Infrastruktur für „Wohnen" und „Transport" und besteht aus langlebigen Gütern wie Gebäuden, Straßen sowie Verkehrs- und Kommunikationsmitteln.
Im Vergleich dazu nehmen sich die Mengen an Abfällen aus dem Haushalt bescheiden aus: Je nach Einzugsgebiet und Sammelsystem werden zwischen 0,2 bis 0,4 Tonnen Hausmüll und Separatsam-melfraktionen pro Einwohner und Jahr erfaßt. Mengenmäßig wichtiger ist die Sammlung und Reinigung der 70 Tonnen Abwässer und die Behandlung des entstehenden Klärschlanmis. Das Problem der 20 Tonnen Abgase, die jährlich pro Einwohner emittiert werden, kann
vorläufig nur mit dem Ver-dürmungsprinzip „gelöst" werden.
Auffallend ist, daß die Zahlen über Verbrauch, Lager und Abfälle nicht überein-stinunen; das heißt, unser Wissen über den Gebrauch von Gütern, ihren Verbleib und die Entstehung von Abfällen ist noch imvollständig. Dies trifft vor allem für die langlebigen Güter zu, für die die Differenz zwischen Konsum und Abfall besonders groß ist.
Der Verbrauch von Gütern und die Entstehung von Abfällen ist rücht nur ein men-geiunäßiges, sondern mehr noch ein qualitatives Problem: Derm es fragt sich, wie die Güter des Gebrauchs und der Lager sowie die Abfälle stofflich’ zusammengesetzt sind. Das ist deshalb so zentral, weil die Ziele des Umweltschutzes, die Ziele der Abfallwirtschaft und teilweise auch die Ziele der Rohstoffnutzung stofflich defmiert sind.
DER INHALT ENTSCHEIDET
Umweltbeeinträchtigungen entstehen meist nicht allein aufgrund der Menge eines Gutes, sondern wegen bestimmter darin enthaltener Stoffe (Abwässer sind nicht per.se schädlich, sondern ihre Inhaltsstoffe wie ä;hwerme-talle oder Phenole können Schäden verursachen). Abfälle sind als Gut bei der Sammlung, dem Transport, der Behandlung und in der Deponie zwar ein Massen- und Volumenproblem, wichtiger jedoch sind ihre Inhaltsstoffe.
Wegen des Gehalts an Schwermetallen und organischen Verbindungen kann Hausmüll nur in thermischen Anlagen, die mit einer weitergehenden Rauchgasreinigung ausgerüstet sind, behandelt werden. Da in einer Deponie der organische Kohlenstoff von Ab&len über Jahrzehnte bis Jahrhunderte abgebaut wird, und Stoffe wie Stickstoff und Chloride leicht mobilisierbar sind, müssen aus stofflichen Gründen die Sickerwässer langfristig gefaßt und gereinigt werden.
Erze werden nie zur Neige gehen, aber ihr Gehalt an wertvollen Stoffen wie Eisen,
Zink oder Blei wird mit zunehmender Erzausbeutung iirmier geringer bis der Stoffgehalt der vom Menschen im „Lager der Anthroposphäre^" geschaffenen Erze sowie auf den „Deponien" größer sein wird als die verbliebenen natürlichen Erze.
Die Ziele der Abfallwirtschaft sind:
■ Schutz des Menschen und der Umwelt
■ optimale Schonung von Energie, Rohstoffen und Deponievolumen und
■ nachsorgefreie, langfristig umweltverträghche Deponien („Endlager").
In der Vergangenheit wurde versucht, diese Ziele mit Maßnahmen am Ende der Kette Produktion-Konsum-Abfall zu erreichen. Das Resultat bestand vor allem im Verschieben der Probleme: Unkontrolherte Ablagerungen außerhalb der Siedlungsgebiete lösten die hygienischen Probleme in den Städten, verursachten aber Gewässerverschmutzungen auf dem Land; die Verbrermungsanla-gen der sechziger Jahre entlasteten die Deponien, belasteten aber Luft und Böden der Umgebimg; die neue Generation der thermischen Anlagen löst das frühere Abgasproblem, verursacht aber ein Filterstaubproblem et cetera.
In Zukunft ist der Stoffhaushalt als Ganzes zu optimieren. Die Ziele des Umweltschutzes sind nicht mehr durch isolierte Einzelmaßnahmen, sondern durch integrierte Konzepte zu erreichen. Zukünftig sind Stoffflüsse in einer Region so zu steuern, daß sie langfristig umweltverträglich sind, und daß sie eine dauerhafte Nutzung der Rohstoffe gewährleisten. Diese Strategie des ökologisch orientierten Stoffhaushaltes bedarf neuer Instrumente.
Die Stoffbuchhaltung auf der Ebene größerer Betriebe, von Kommunen, Regionen und Nationen ermöglicht die Früherkennung von Umweltbelastungen wie auch von zukünftig nutzbaren Rohstofflagern. Sie erlaubt es, zu erkermen, wo Maßnahmen eingesetzt werden müssen, um effizient (das heißt mit geringsten Kosten) Belastungen zu vermindern beziehungsweise Rohstoffpotentia-le aufzubauen und zu nutzen.
STOFFUCHE BUCHHALTUNG
Bisherige Erfahrungen mit der Stoffbuchhaltung sind durchaus positiv: Die Stickstoffbilanz einer Region in Oberösterreich zeigt auf, wie die anhand der Bilanz vorhersehbare Zunahme der Nitratbelastung des Grundwassers zukünftig am wirksamsten verhindert werden kann. Die Bleibilanz einer Region in der Schweiz beweist die große Bedeutung des bleifreien Treibstoffes für die Verhinderung des Anstiegs des Bleis im Boden; sie zeigt auch, wie durch die gezielte Behandlung und Deponierung von einzelnen Abfallkategorien (Pkw-Schredderrückstände) über Jahrzehnte bis Jahrhunderte (Blei-)Lager aufgebaut werden körmen, die langfristig wieder vnrtschaftlich nutzbar sein können. Analog können auch Stoffe in Siedlungsabfällen anhand von neueren Verfahren wieder soweit aufbereitet und rückgewonnen werden, daß sie nach einer längeren „Akkumulationsphase" in einer Deponie wieder in den Rohstoffkreislauf zurückgeführt werden können.
Die güterprodüzierende Wirtschaft wird zukünftig vermehrt Aspekte der langfristigen Umweltverträglichkeit und der Rohstofmutzung berücksichtigen müssen und ihre Produktionsverfahren werden im Hinbhck auf ihre Auswirkungen auf den Stoffhaushalt nicht nur während des Gebrauchs, sondern auch als Abfall beziehungsweise als Recychnggut zu untersuchen sein. Durch die Verlagerung der Verantwortung für die Stoffe auf den Produzenten imd durch die Ausdehnung der Verantwortung bis zu mehrfachen Stoffkreisläufen ward eine umweit- und ressourcenschonende Wirtschaftsweise gefördert.
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