Funken aus taubem Gestein

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Zum 80. Geburtstag von Friederike Mayröcker.

I.

Eine Höhenkunst?

"friederike mayröcker, von so vornehmen geistern wie bach und hölderlin angeführt, hat in ihrer kunst eine glorreiche höhe erklommen." Das sagte Ernst Jandl, der sich selbst als Vertreter einer "aufgeklärten massenkultur" definierte, in einer "rede an friederike mayröcker" zum 70. Geburtstag. Tatsächlich gilt die Dichterin schon geraume Zeit als eine Ikone der österreichischen Literatur, eine Position, die die lebendige Auseinandersetzung mit ihrem und über ihr Werk nicht gerade begünstigt hat. Es ist die "Höhe", die manchen abschreckt, dabei hat Mayröcker genug geschrieben, das ohne dornig steilen Pfad zugänglich ist, Inniges, Zartes, Überschwängliches, und anderes, Komplexeres, scheinbar Abweisendes, das sich dem erschließt, der nicht lang nach Wegweisern und Markierungen sucht, sondern sich dem eröffneten Weg anvertraut, sich im Text ergeht: Der Leser "soll sich endlich einmal ergehen können in diesem Buch", heißt es in "mein Herz mein Zimmer mein Name" (1988), einem Rede- und Gedankenfluss ohne Punkt. Ergehen, das bedeutet ein Fortbewegen mit Genuss, Bedacht und Geduld, es schließt Zielstrebigkeit aus.

Anfangen hat Friederike Mayröcker als Rebellin, zunächst autonom, dann als Trabantin der Wiener Gruppe, dementsprechend wild entschlossen zum sprachlichen Experiment. Schon ihr Erstling verweigert sich programmgemäß der Story: "Larifari. Ein konfuses Buch" (1956). Nach 15 Jahren versuchsweiser Sprachübung wechselt sie die Pferde: "Es hat mir einfach keinen Spaß mehr gemacht. Ich habe es irgendwie als langweilig empfunden." Freilich sattelt Mayröcker nicht einfach auf den ganz gewöhnlichen Geschichtengaul um, sie versucht "eine pose nämlich des erzählens nicht wirklich erzählen". In dem Band "je ein umwölkter gipfel" (also doch ein Gipfel!) fasst sie 1973 zum ersten Mal kürzere Prosastücke zu einer großen, rhythmisch strukturierten Erzählung zusammen, die ganz von einem poetischen Ich durchwirkt ist, eine "tapisserie", ein Textteppich, in den mehr und mehr fremde Fäden verwoben werden, Traumfundstücke, Zitate, Alltagsreste, auf den ersten Blick nicht unterscheidbar von Fasern des eigenen Herzens: "Man muß die bewährten Bahnen verlassen, sich durch den Busch schlagen, Formulierungen anderer aufgreifen, übernehmen, kopieren, so wird heute Literatur gemacht betrügerisch : überzeugend", verrät die "Erzählerin" in "Lection". Alle großen Prosabücher der Friederike Mayröcker sind radikal subjektiv, ganz auf die überempfindliche Weltwahrnehmung eines Ich angelegt, jedoch nicht solipsistisch: Der Leser muss nicht alle biographischen Anspielungen und "private jokes" verstehen, um sich in die intensive Augenblickserfahrung des Textes einbezogen zu fühlen. Mayröckers "Psychomontage" (Reinhard Priessnitz) betrifft und trifft ihn in jedem Fall.

II.

Drinnen, draussen, oben

"garnicht einfach, sie auch in die akademie der künste in berlin zu bringen - eheleute in der gleichen abteilung, das kommt doch nicht in frage. und den büchner-preis - hat ja schon ihr gatte, ernst jandl." Meinte der Lebensgefährte vor zehn Jahren und rief damit in Erinnerung, dass auch weltenthobene Dichterinnen Menschen aus Fleisch und Blut sind, denen es in ihrer zugewucherten Zettel- und Bücherklause nicht gleichgültig ist, was man draußen von ihnen denkt. Inzwischen hat Friederike Mayröcker 2001 den Büchner-Preis bekommen, ein Jahr nach dem Tod Ernst Jandls, den auch heute noch viele für ihren Gatten halten. "die ehe zu vermeiden, dauerte einige jahre, dann hatten wir es geschafft. {...} unser leben ist, seit vierzig jahren ein gemeinsames, ohne eine gemeinsame wohnung, und ohne kochtopf." Was der Verlust des "Hand- und Herzgefährten", des "Ohrenbeichtvaters" für die Autorin bedeutet, lässt sich nicht allein am "Requiem für Ernst Jandl" (2001) ermessen, sondern an Prosabüchern wie "mein Herz mein Zimmer mein Name" und "brütt oder Die seufzenden Gärten" (1998) und an vielen Gedichten, die sich auf ihn beziehen. Drei Tage vor seinem Tod schrieb sie die "Paraphrase auf I Gedicht von Ernst Jandl": "in der Küche stehn wir beide/rühren in dem leeren Topf/schauen aus dem Fenster beide/haben I Gedicht im Kopf". Das Gedicht im Kopf, das wiederum um den oben erwähnten Kochtopf als Leerstelle kreist, ist eines der trostlosesten, die Jandl geschrieben hat: "in der küche ist es kalt/ist jetzt strenger winter halt/mütterchen steht nicht am herd/und mich fröstelt wie ein pferd".

In den rund tausend Gedichten, die als Geburtstagspräsent nun gesammelt erschienen sind, kann man auch nachlesen, wie Mayröcker früh und durchaus unverblümt gegen den Tod als den großen Spielverderber zu Felde zieht, gegen die "Erpressung des närrischen Grimassenschneiders", schon im Band "Winterglück" (1986) setzt sie den Succus ihrer Existenz dagegen: "was bleibt mir? mich betören : ich will mich betören/lassen von aller Welt : anblaffen, flanieren, Zauber-/botschaften vernehmen und weiter ausstreuen". Der Furor der Mitteilung gebiert ein Schreibprojekt nach dem andern, die Werkliste bezeugt das eindrucksvoll, die Autorin hat sich auf den Wunsch nach einem biblischen Alter festgelegt: "mit dem verlangen nach hundertzwanzig lebensjahren hat sie sich auf etwas eingelassen, worin ich ihr nicht so ohne weiteres folgen kann."

Die Quelle dieser Begeisterungsfähigkeit liegt in den Sommern der Kindheit im Weinviertler Deinzendorf, in einem "Gefühl der heiteren Geborgenheit", wie Mayröcker das in einem Text für die Furche genannt hat, der dann unter dem Titel "Kindersommer" in den "Magischen Blättern I" publiziert wurde. Jenen kindlichen "Zustand stetigen und langsamen Fließens" vermag sie auf magische Weise schreibend wiederherzustellen. So gelingt Mayröcker eine "neue und zeitgemäße Form poetischer Erhabenheit" (Klaus Kastberger). Begeisterung im Wortsinn ist etwas, das sie leistet, durch das Herausschlagen zündender Funken aus scheinbar taubem Gestein, aber auch etwas, das sie erfährt. - Jandl sagt es deutlicher: "wir sind christen, ein wort, das man heute wieder aussprechen darf. friederike mayröcker nennt den, oder einen, heiligen geist die quelle ihrer inspiration; es gibt, für sie, in ihrer kunst etwas, das von außen kommt, und zwar von oben, während ich nicht sicher bin, wo oben ist."

III.

Eros und Arbeit

Bei aller Zauberei ist Friederike Mayröckers Kunst wie jede gute Kunst vor allem gut gemacht. Es ist die Arbeit am Material, die die Poetin konstituiert. Feinstes Gehör und höchste Entflammbarkeit vorausgesetzt, muss doch nicht nur gesammelt, sondern auch ausgewählt und komponiert werden. Mayröckers poetische Sprache prunkt bis in den Mikrobereich, in dem Verhörungen und Verlesungen fruchtbar werden, in dem Assoziationen Assonanzen zeugen, ein "platonischer Coitus"; das Aneinanderstoßen und -klingen der Wörter - "wie Orchideen (Iden/Ideen)" - mag willkürlich anmuten, es ist aber choreografiert. Als eine "ununterbrochene Mühle, die mahlt", hat Mayröcker in einem Interview ihren "Wahrnehmungsapparat" bezeichnet, doch es gilt eben Schrot und Korn zu trennen, will man das feinste Mehl gewinnen. Gefordert sind "Konzentration und Intensität": Das Organische der Sprache steht gegen das Mechanische der Montage. Was bei der Lektüre frei assoziiert wirkt, ist hart erarbeitet, aus umfangreichen Notizen und Vorstufen destilliert. Schließlich bedeutet die "Vereinigung des Disparaten" für die Dichterin "das Innerste aller Kunst".

Ein kleiner Ausschnitt aus Mayröckers Arbeitswelt ist nun in der von Julia Danielczyk kuratierten Ausstellung "Zueignungen/Zuneigungen" in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek zu sehen, darunter "Empfindliche Träume", acht köstliche Zeichnungen der Autorin, die zu unrecht darauf beharrt, keinen Humor zu haben; besonders hübsch das Blatt "Mordlust der Angler". Vor allem aber werden Bild-Zyklen von Linde Waber und Angelika Kaufmann gezeigt, die sich konkret mit Mayröckers Werk auseinander setzen. Dass die mannigfachen Zueignungen der Dichterin mit Zuneigungen auch der schreibenden Zunft korrespondieren, war bei der durch den Ehrenring der Stadt Wien garnierten Vernissage zu erleben: Kolleginnen und Kollegen, darunter Franz Josef Czernin, Bodo Hell, Andreas Okopenko, Ferdinand Schmatz und Liesl Ujvary, zollten der Jubilarin literarischen Tribut.

Für eine ganze Generation von avanciert Schreibenden - auch Elfriede Jelinek zählt sich dazu - hat Friederike Mayröcker prägend gewirkt und dabei im Spagat zwischen Avantgarde und Tradition stets Balance gehalten: "Die Dichter tun nur so als wären sie tot", sagt sie in einem Gedicht. Vorbild ist Mayröcker ("dieses ganze Hineinwerfen des ganzen Menschen") in ihrem Eros, ihrem Versuch, Biografie ganz wörtlich zu nehmen als Einheit von Leben und Schreiben. Das mag nach außen unscheinbar und anspruchslos wirken. "kunst allerdings läßt sich nur bewerkstelligen mit dem anspruch, vor allem an einen selbst, auf einen ersten platz", meinte Ernst Jandl über die Gefährtin, das bedeute Arbeit und Kampf: "doch hätten wir von ihr und ihrem werk kaum etwas erfaßt, würden wir nicht in jeder ihrer äußerungen die unerschöpfliche kraft ihrer liebe erkennen."

Gesammelte Gedichte. 1939-2003.

Von Friederike Mayröcker. Hrsg. von Marcel Beyer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2004, 856 S., geb., e 28,60

Zueignungen/Zuneigung

Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Rathaus, Stiege 4, 1. Stock

Mo-Do 9-18.30, Fr 9-16.30

Eintritt frei

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