6605198-1954_14_04.jpg
Digital In Arbeit

Finnischer Reitermarsch

Werbung
Werbung
Werbung

Am 2. September 1944 wurde dem deutschen Gesandten in Helsinki) Wipert von Blücher, eine Note überreicht, die den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Finnland Und Deutschland beinhaltete. Bezeichnenderweise erhielt am gleichen Tag der deutsche General im finnischen Hauptquartier, Waldemar Erfurth, ein Schreiben, das än Hitler gerichtet War, in dem es wörtlich hieß:

,,Ih dieser Stünde, da schwere Entscheidungen bevotstehed; habe ich das Bedürfnis, Sie dat- übei- aufzüklären, daß ich zü det Uebetzetigütig gekomrden bin, daß die Rettung meines Volkes mir die Pflicht aüferlegt, einen schnellen Ausweg aus dem Kriege zu finden.. . Ich möchte besonders darauf hinweisen, daß Deutschland, äiich wend das Schicksal Ihren Waffen den Sieg vetsägeri sriWte, deririöch weiterleben wird, feine ähtifiche Versicherdrifc käfin riiė.mand für Firiri- läfid äbgeben. Wenn dieses Volk vari käiitn Vief Milliöfieri riiilitäriSeh besiegt ist, kariri kelti Zweifel darüber herrschen, daß es veftriėben oder ausgerottet wird… Wenn iCh kaum zu hoffen wage, daß mein Standpunkt und meine Beweggründe von Ihnen als richtig gebilligt werden, wollte ich Ihnen drich vor det Entscheidung diese Zeilen zukommen lassen."

Der diese Note verfaßte, war kein Geringerer als der neue Staatspräsident Finnlands, Karl Gustav Freiherr von Mannerheim, der am 4. August 1944 vom finnischen Reichstag einstimmig zum Präsi-

denten der Republik gewählt worden war. Damit hatte der Mann, den einstmals große Teile der Bevölkerung Finnlands als reaktionären General ablehnten und der außerdem seit dem Beginn des deutsch-russischen Krieges die Verantwortung als oberster Befehlshaber trug, im Alter von 77 Jahren die wichtigste Punktion inmitten der größten Krise Pintilands übernommen. Wenn der deutsche Gesandte in seinen später aufgezeichneten Erinnerungen in Bitterkeit die neue Stellungnahme dės Marschall-Präsidenten kritisierte, so war etwa für den deutschen Militärbeauftragten General E r f u r t h dieser Schritt nicht ungewöhnlich. Denn wie Mähnetheifil in sėinėh ĘfihrterUrigėfl (G. Man- riėrheifii; „Ėririhėfūrigėh“, Atlantis-Verlag, Zürich- FrCiburg liri Breisgau) bemerkt, war CS Siri besonderes Glück für die finnische Staatsführung, daß dieser deutsche Genėtai — selbständig ah Charakter Und von feinet hümanistischet Bildung — aūsėrseheri war, bis tum bitteren Ende den Kontakt zwischen den beiden Hauptquartieren aufrecht zu erhalten, obgleich Vön mancher Seite versucht Worden war, ihn durch einen radikalen Parteigänger zu ersetzen.

Mannerheims Lebensgeschichte klingt wie ein Aberitėhet aüs der Zelt det Condottieri dės Dreißigjährigen Krieges und fügt sich doch ein ifl die soziologischen und historischen TypertSchicksale jener europäischen Adelsschicht, derėh Narheh in so vielen Anrialeh aller Staaten wiederzufinden sind Und die — gleichgültig ob Staatsmänner oder Feld- herfėh — einstmals die Oberschicht Kerh- und Osteuropas bestimmten.

Im Sommer 1882 tritt der 15jährige Karl Gustav Freiherr Von Mariherhėim in das finnische Kadettenkorps ein. Das Korps War ėihė Sondereinheit, das, Unter Berücksichtigung dėt schwedischen SrildatCntraditioH der Finden. auch im ZatiStischen Rußland höchstes AnSehėn genöß, obgleich längst die staatliche Selbständigkeit durch die Einverleibung Finnlands in das Zarenreich ihr Ende gefunden hatte. Wie mancher Große in der Geschichte scheiterte der junge Mannerheim bei seinem ersten Lebensabschnitt. Der Sproß einet alten Adelsfamilie, die über Holland Und Schweden nach Finnland gekommen War, wurde dus dem Kadettenkorps seiner Heimat wegen eiflöt kleinen Verfehlung relegiert und trat kurzerhand iri die russische Niköläi-Kavällerieschüle ein, mit dem Žiėl, Offizier in einem Eliteregimerit der kaiserlichen Gardekavallerie zu werden. Der Sprung gelang wirklich, obwohl man nachträglich diesen Wechsel sehr mißmutig dhzu- kreiden versuchte. Aber für Mannerheim War damals der Zar der Herrscher eitles Vielvölkerstaates, „dėt Kaiser“, in dessen Eliteregiment die besten Söldatetl aus allen Völkern des weiten Rußland dienten; ohne noch durch dėn hcraufkommetiden Druck des Nationalismus ihrer eigenen Tradition betäubt zu werden. Bei der Krönung des unglücklichen letzten Zaren war der spätere Präsident Finnlands Ehrenoffizier. Nach einer kurzen fpisbdė irri Russisch-Japanischen Krieg konnte Mannerheim auf einer Expedition nach Zentralasien, die im Auftrag des Generalstabs durchgeführt wurde, Ehren als Offizier und Amateutgeograph erringen. Der

Zäf zeichnete ihn besonders durch Seine Grinst aus, und als dėt erste Weltkrieg aus- bfäch, kam er in hervorragender Stellung an die Ostfront, wobei er vornehmlich während sėinet Garnisonsjähte in Polen als Finne die Zunehmende Rüssifizierungspolitik mit Besorgnis gėSėhėri hätte. 1914 bis 1917 starid Finnlands nachmaliger Oberbefehlshaber — dėt übrigens als Marschall von Finnland in Üriifotm ühd Rangabzeichen iriteressänter- weise das österreichische Vorbild nach- ahmte — den Truppen der Donaumonarchie iii verschiedenen Frontabschnitten gegenüber.

Der Zusammenbruch der Ostfront führte ihn vom rumänischen Frontsektor difekt nach Petersburg) Wo et nut um ein Haar nach fast 30jähriger Dienstzeit in der kaiserlichen Armee ein Opfer der Revolution geworden wäte.

Dem neu sich bildenden finnischen Staat, der seit 6. Dezember 1917 erfolgreich um die Anerkennung det Großmächte rang, stellte sich Mannerheim selbstverständlich zur Verfügung und wutde vom Militärkomitee, das sieh über Wunsch der Regierung an Deutschland um Hilfe gewendet hatte, gerne als provisorischer Oberbefehlshaber angenommen. Allerdings mußte das finnische Heer der Baüerrisoldaten bei der Befreiung von den noch im Land verbliebenen russischen Truppenteilen Und bei bürgerkriegsähnlichen Unternehmungen des ersten Freiheitskrieges im doppelten Odium einet gefährlichen iriner- und außenpolitischen Situation kämpfen. Die Hilfe, die die deutsche oberste Heeresleitung durch Aufstellung und Ausbildung finnischer Ffeiwilligenvefbände zur Verfügung stellte, machte es schwierig, den mißtrauischen Weltmächten, vor allem Amerika und England, die endgültige Unabhängigkeit des jungen finnischen Staates Zu demonstrieren. Die innerpolitische Gegensätzlichkeit zwischen „Weiß und Rot“ überschattete noch durch Jabfžėhnte die Stellung Mannerheims, det nach der endgültigen Befreiung im Mai 1918 zunächst das Land verließ, um im Wfestert die außenpolitischen Vorarbeiten von Stockholm aus durchzuführen, da der Gedanke einer KönigsWähl des deutschen Prinzen Friedrich Karl von Hessen angesichts des Zusammenbruches der deutschen Fronten im Oktober 1918 die mühsam errungene Unabhängigkeit aufs äußerste gefährdet hatte; DieSe Stellungnahme Mannerheims sollte Jahrzehnte später im zweiten Weltkrieg noch ift seinem Verhältnis zur deutschen Politik eine entscheidende Rolle spielen. Private Reisen nach London und Paris festigten die Position Finnlands, und als erwählter Reichs- vCfWeser konnte Männerheim durch die ersteh Fährnisse der Nachkriegszeit sein Land' steüefn, bis am 15. Juli 1919 durch die ordnungsgemäße Wahl eines Präsidenten das Provisorium der Reichsverweserschaft beendigt wurde.

Zwölf Jähre lang verblieb Mannerheim nach dem Sommer 1919 ein Zuschauer der politischen Geschicke. Weite Reisen, die unter anderem auch nach Tirol zu einem Jagdaufenthalt führten, ermöglichten ihm, die Rolle eines „älteren Staatsmannes“ zu spielen, wobei er oft indirekt, etwa in den Jahren Seit 1933, angesichts der dunklen Wölken äni europäischen Horizont durch mahnende Worte versuchte, auf die Verteidigungsbereitschaft des gefährdeten kleinen Staates hinzuweisen.

Wie ein Blitz aüs heiterem Himmel wirkte der deutsch-russische Nichtangriffspakt, denn es wurde klär, daß Ribbentrop, entgegen der bisherigen Tradition der deutschen Außenpolitik) Finnland preisgegeben hatte. Am 30. November 1939 brach der sogenannte „Winterkrieg“ aus, nachdem zuvor weder die Westmächte noch Deutschland sich über die wirkliche Bedeutung der finnischen Position klär geworden waren.

Der deutsche Gesandte Von Blüchef hat in seihen Aufzeichnungen sehr interessant die traurigen Endverhandlungen VOm März 1940, welche die finnische Regierung sowohl mit dem Westen als auch mit Deutschland führte, dahingehend definiert, daß das Schicksal der Welt in der Hand der finnischen Staatsmänner gelegen wäre. Denn die inzwischen angebotene Intervention der englischen und französischen Streitkräfte hätte ZU einem Zusammenstoß im äußersten Norden führen können, dessen Spätauswirkungen bekanntlich der Norwegehfeldzug war. Der Krieg der Ueberräschungen wurde aber durch den Moskauer Frieden abgeschlossen — mit schwersten Opfern Finnlands. Männerheim wär sich darüber im klaren, daß keine Endlösung erzielt wurde. Im Mächtespiel sind den eigenen Entschließungen der kleinen Staaten engste Grenzen gezogen. In die Turbulenz der großen Politik wurde Finnland hitleingerissen, „wie das Treibholz auf den reißenden Flüsseh“, so notiert der deutsche Gesandte, der Mannerheim durchaus nicht freundlich gesinnt ist, den Eintritt Finnlands in den sogenannten Fortsetzungskrieg nach dem 22. Juni 1941. Bezeichnend war für das merkwürdige Bündnisverhältnis, daß die Finnen von Beginn an sich nur als „Waffenbrüder“) nicht als Verbündete betrachteten und peinlich besorgt waren, länge Zeit ihre Bindungen an England und vor allem die USA aufrecht zu erhalten. Der geheime Briefwechsel zwischen Churchill und Manrterheim ging fort; trotz der selbständigen Haltung der finnischen Politiker und der dauernden Versuche, vor allem in Amerika, Verständnis für die einmalige Lage des Landes zu finden, wurden die Sympathien für Finnland im Westen geringer. Der Oberbefehlshaber, Marschall Mannerheim, war sich dessen bewußt, daß trotz der heldenhaften Leistungen seiner Truppen der Zer- mürbungskrieg im Sommer 1944 über die Kräfte Finnlands ging. Obgleich Ribbentrop Hoch einmal in deh sogenannten Mittsommerbesprechungen“ des gleichen Jahres unter Anwendung der äußersten Pression endlich die Form eines scheinbaren diplomatischen Bündnisses zustande brachte, so war doch die seit 4. Juli anlaufende Waffenhilfe angesichts des Zusammenbruches der deutschen Fronten im Osten Und Westen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Atn 28. Juli erschien Präsident Ryti im Häüpt- quärtier Mätmerheitris, um dem Oberbefehlshaber dreier Kriege zum zweitenmal die Würde des Staatsoberhauptes anzutragen. t)er Marschall betrachtete es „als seine Pflicht, den Kelch zu leeren“. Zum zweiten mal in seinem Leben mußte er gegenüber der deutschen Politik für die Unabhängigkeit Finnlands Stellung nehmen, nunmehr unter noch viel schlechteren Umständen als 1919, da durch die russischen Waffensttllstäridsver- häridliirtgen in kürzester Frist ein bewaffneter Zusammenstoß der einstigen de facto Verbündeten žu etwärteti Wär. Das Ende der deutsch-finnischen Waffenbrüderschaft, die drei Jahre und zwei Monate bestanden hatte, war der bittere Kampf zwischen den finnischen und deutschen Einheiten. Der Staatschef und Marschall mußte die Verhandlungen über den endgültigen Friedensschluß und die Kriegsentschädigung, die übrigens vor Jahresfrist bezahlt wurde, zti Ende führen. Mannerheim hat diese Verantwortung noch auf sich genommen, tim dann, bereits durch eine schwere Krankheit gezeichnet, am 4. Oktober 1946 aus dem Ausland, wo er vergeblich Genesung suchte, sein Abdankungsgesuch einzureichen. Er ist einsam am 27. Jänner 1951 in einer Klinik in Lausanne gestorben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung