Wörterbuch - © Foto: Pixabay

Maja Haderlap und Dimitré Dinev über das Schreiben im Zwischenraum

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Das wichtigste Instrument eines Schriftstellers ist seine Sprache. Und was passiert, wenn er davon gleich mehrere hat? Maja Haderlap und Dimitré Dinev sprechen über ihre Erfahrung mit dem Schreiben zwischen den Sprachen.

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Das wichtigste Instrument eines Schriftstellers ist seine Sprache. Und was passiert, wenn er davon gleich mehrere hat? Maja Haderlap und Dimitré Dinev sprechen über ihre Erfahrung mit dem Schreiben zwischen den Sprachen.

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Die zweisprachige Lyrikerin Maja Haderlap ist Kärntner Slowenin. Seit 1992 arbeitet ist sie Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt.

Die Furche: In welcher Sprache schreiben Sie?
Maja Haderlap: Ich habe begonnen, Gedichte auf Slowenisch zu schreiben und zu publizieren. Mit der Zeit hat Slowenisch als meine Literatursprache jedoch Konkurrenz bekommen: Während meines Studiums ist das Deutsche dazugekommen. Eine Zeit lang habe ich geglaubt, dieser Entwicklung dadurch ausweichen zu können, indem ich mich verstärkt dem slowenischen Raum zuwende. Das Übersetzen aus dem Slowenischen hat mich dann zum Schreiben auf Deutsch geführt. Das war ein fließender Übergang, den ich eigentlich nicht intendiert habe. Meine Texte übersetzte ich allerdings nicht mehr. Ich habe gemerkt, dass ich meine Gedichte in der jeweils anderen Sprache ganz anders schreiben würde. Das hat mich zunehmend irritiert.

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Die Furche: Wie stehen jetzt Ihre Sprachen zueinander?
Haderlap: Mittlerweile habe ich nicht mehr das Gefühl, dass sie in Konkurrenz stehen. Ich sehe in den Sprachen zwei Möglichkeiten sich zu entscheiden, je nachdem, wo man sich sicherer fühlt. Für mich war eine Zeit lang ausschlaggebend, dass das Deutsche mir ermöglichte, eine Distanz zur slowenischen Welt, die mich sehr geprägt hat, zu entwickeln. Ich habe das als hilfreich empfunden, aber es ist immer, auch heute noch, ein Verlust damit verbunden gewesen. Die Ausdrucksmöglichkeiten der jeweiligen Sprachen sind natürlich gleichwertig, wenn auch mit ziemlichen Nuancen. Man kann zwar das Gleiche ausdrücken, aber es gibt Formulierungen und Wörter, die andere Konnotationen haben und nicht direkt übertragen werde können. Diese Unterschiede hängen sehr stark mit den unterschiedlichen Literaturtraditionen der Sprachen zusammen.

Die Furche: Sie schreiben hauptsächlich Lyrik, woher kommt diese Vorliebe?
Haderlap: In den slawischen Literaturen hat Lyrik eine große Tradition. Sie ist rhetorischer orientiert, hatte immer auch eine gesellschaftspolitische Funktion und eine breitere Rezeption. Im Slowenischen gibt es sehr viele gute Lyrikerinnen und Lyriker. Wahrscheinlich halte ich auch deswegen so an der Lyrik fest, weil ich aus der slowenischen Tradition komme.

Die Furche: Interagieren die zwei Sprachen in Ihren Texten?
Haderlap: Während meines Studiums hatte ich das Gefühl, dass sich die Sprachen vermischen. Ich habe einen Vers auf Deutsch und einen auf Slowenisch geschrieben. Das war kein Zustand und hat mich sehr gestört! Es war, als ob eine Sprache auf die andere lauern würde, ob die andere ihr nicht hineinpfuscht. Wenn ich heute auf Deutsch schreibe, höre ich einen slowenischen Ton mit, erinnere mich an bestimmte Rhythmen. Manchmal setzte ich das auch bewusst ein. Im Deutschen fühle ich mich freier, weil ich nicht so stark von seinen Traditionen geprägt bin. Da kann ich eher das Spielerische hervorkehren.

Die Furche: Wie wirkt sich die Zugehörigkeit zu einer Minderheit auf das Schreiben aus?
Haderlap: Die deutsche Sprache habe ich natürlich als Machtsprache und als Sprache der Mehrheit erfahren. Ich glaube aber auch, dass jede und jeder, der oder die schreibt, sich mit den Machtdiskursen der Sprache auseinander setzen muss. Das Schreiben von der Peripherie und aus einer Zweiheit heraus ist meiner Meinung nach schon deshalb wichtig, um neben allen, die sich in den jeweiligen kulturellen und sprachlichen Zentren eingerichtet haben und glauben, die künstlerische Produktion aus ihrer Sicht kontrollieren zu müssen, eine andere Position zu behaupten, nämlich die, das es keinen festen und eingegrenzten Begriff von Identität und Sicherheit gibt. Obwohl sich die slowenische Minderheit in Österreich vorwiegend über die Sprache und die damit verbundene Kultur definiert, war zu Beginn meine literarische Sprachwahl nicht primär ein politisches Statement. Mit der zunehmenden Politisierung habe ich es dann sicher - vorübergehend - verstärkt so empfunden. Bei Autoren, die in Minderheitensprachen schreiben, ist die Literatursprache oft eine Art Refugium. Ich empfinde aber das Schreiben in jeder Sprache als Refugium.

Dimitré Dinev flüchtete 1990 aus Bulgarien nach Österreich, wo er als Übersetzter und freier Schriftsteller arbeitet. Sein erster Roman "Engelszungen" erschien 2003. Dieses Jahr erhält er den Chamisso Förderpreis und am 5. März erscheint sein Erzählband "Ein Licht über dem Kopf" bei Deuticke.

Die Furche: Ihre Muttersprache ist Bulgarisch, wie sind Sie zur deutschen Sprache gekommen?
Dimitré Dinev: Auf Grund der Liebe meines Vaters zur deutschen Kultur: Er hat mich mehr oder weniger dazu gezwungen Deutsch zu lernen, worüber ich nicht sehr glücklich war. Ich habe das deutsche Bertolt-Brecht-Gymnasium in Plovdiv besucht, wo wir alles doppelt - auf Deutsch und auf Bulgarisch - gelernt haben. Russischunterricht hatten wir natürlich auch. Erst in Österreich habe ich begonnen, die Sprache wirklich zu mögen, nämlich so, dass ich auch in ihr aufgehe und etwas anderes damit mache, als sie nur zu übersetzten. Aber die Vorteile dieser Sprache habe ich schon in Bulgarien entdeckt: Bei Problemen mit der Miliz habe ich mich als Deutscher ausgegeben. Damals war mir die Sprache wie eine Maske, die mich manchmal gerettet hat. Hier hat sie das auch getan, aber auf eine andere Art und Weise: Ohne sie bekommt man keine Arbeit.

Die Furche: Wie gehen Sie als Schriftsteller mit der Sprachbarriere um?
Dinev: Es gibt natürlich eine Hürde. Aber wenn man es wagt, dann funktioniert es: Der Mensch weiß nicht, wozu er fähig ist. Ich denke, dass die Bilder und die Phantasie Sprach-los sind - im positiven Sinne: Sie sind über der Sprache. Wären sie an eine Sprache gebunden, würden wir Menschen uns nicht verstehen und das wäre wirklich ein babylonischer Albtraum. Mich interessieren allgemeingültige Bilder, die jenseits der materiellen Darstellung eines Wortes stehen; vielleicht könnte man sagen: die Suche nach dem universellen Wort. Die Bilder sind also die gleichen, aber sie klingen natürlich in verschiedenen Sprachen anders, weil sie unterschiedlich vertont werden. Manches funktioniert natürlich auf Deutsch nicht, aber da ich es weiß, greife ich diese Bereiche gar nicht erst an. Umgekehrt ist es das Gleiche. Wenn ich versuchen würde, meinen Roman ins Bulgarische zu übersetzten, müsste ich ihn wahrscheinlich neu schreiben. Vieles würde auf Bulgarisch, wenn man es nahe am Original übersetzt, sehr karg klingen. Die slawischen Sprachen sind nämlich viel bunter und saftiger. Aber das tue ich mir nicht an, denn es wäre eine bloße Wiederholung und es gäbe keine Überraschungen mehr für mich. Es gäbe nur die Arbeit und ich schreibe nicht um zu arbeiten, sondern auch um etwas zu erleben.

Die Furche: Hat die deutsche Sprache für Sie als Schriftsteller Vorteile gebracht?
Dinev: Es gibt zwei Punkte, die ich vor allem hervorheben möchte. Zum einen ist das Gute an dieser Sprache, dass ich in ihr keine Kindheit habe. Dadurch bin ich viel freier. Für mich sind alle deutschen Worte gleichberechtigt, so wie es für einen Schriftsteller sein müsste. Es gibt kein Wort, das auf Grund seiner Vorgeschichte belastet ist. Wäre ich hier aufgewachsen, hätte ich sicher Bedenken gegenüber vielen Worten. Diese Unvoreingenommenheit ist ein Vorteil. Auch habe ich nie das Gefühl, dass ich sie beherrsche. Das empfinde ich als besonders positiv, denn immer, wenn man das Gefühl hat, etwas zu beherrschen, vergegenständlicht man es und tötet es in gewisser Weise. Für mich bleibt die Sprache immer lebendig und macht mich weiter neugierig.

Die Furche: Und der zweite Punkt?
Dinev:
Der andere Aspekt, den ich dem Deutschen verdanke, ist, dass man in der Fremdsprache sehr reduziert ist und Reduktion tut dem Schreiben immer gut. In der Fremdsprache habe ich gelernt, wie wenig Worte man braucht, um etwas auszudrücken. Das hätte ich nie erfahren, wenn ich auf Bulgarisch geschrieben hätte. Im Deutschen weiß ich es gleich nach ein paar Sätzen, wenn ich nichts zu sagen habe. Auf Bulgarisch kann ich mich darüber ewig belügen, mich an der Sprache ergötzen, mit Sprachspielen und ähnlichem. In der Fremdsprache, ist das anders: Wenn keine Geschichte da ist, will ich nicht - einfach nur um mich "fit" zu halten - mit der Sprache hantieren. Meine Existenz war jahrelang von dieser Sprache abhängig und deswegen ist sie mir jetzt zu schade, um damit etwas Existenzloses zu schaffen.

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