Löwe - © Illustration: Rainer Messerklinger

Kommen ein Übersetzer, ein Löwe, ein Pudel und ein Philosoph in eine Bar …

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Was wüssten wir von anderen Kulturen, gäbe es die Übersetzer nicht. Schaffen sie billigen Abklatsch? Neue Kunst? Fenster in die Welt? Von der Schwierigkeit, die Fahrrinnen der Sprachen zu wechseln.

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Was wüssten wir von anderen Kulturen, gäbe es die Übersetzer nicht. Schaffen sie billigen Abklatsch? Neue Kunst? Fenster in die Welt? Von der Schwierigkeit, die Fahrrinnen der Sprachen zu wechseln.

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Als der Schutzpatron der Übersetzer, der Hl. Hieronymus, sich einmal Vorwürfen gegen sein Übersetzen ausgesetzt sah, schrieb er seinem Freund Pammachius darüber einen scharfzüngigen Brief. In diesem wies er unter anderem auf die Unterschiede zwischen Sprachen hin, die Ausdrücke unterschiedlich wirken lassen, und entlarvte so den Unsinn der Idee der „wörtlichen“ Übersetzung. Berühmt wurde seine Forderung, nicht „Wort um Wort zu übertragen; aber den Geist der Worte“. Er schrieb – offenbar in der Hoffnung, der Brief würde auch seine Gegner erreichen – herrlich sarkastisch.

Bekannt ist Hieronymus heutzutage vor allem dadurch, dass er einem Löwen einen Dorn aus der Pfote zog. Der Löwe lebte daraufhin zahm mit ­Hieronymus im Kloster. Unüberschaubar die Zahl der Bilder, die den alten Übersetzer mit rotem Kardinalshut und seinem Löwen zeigen. Vielleicht war Hieronymus eher impulsiver Künstler und der Löwe der eigentliche Heilige des Duos? Diese ketzerische Idee würde an eine Episode erinnern, die der schwedische Arzt und Schriftsteller Axel Munthe in „Das Buch von San Michele“ schildert (1929; Übersetzung von G. Uexküll-Schwerin 1981); darin meint ein neapolitanischer Ordensbruder, dass „Christus seinen Ruf nur dem Umstand verdanke, dass er die Madonna zur Mutter hatte“.

Der Löwe jedenfalls ertrug sogar geduldig die Aufgaben eines Esels – nachdem der Esel, auf den der Löwe hatte aufpassen sollen, entwendet worden war und man dem Löwen vorgeworfen hatte, ihn gefressen zu haben. Wie stark unterscheidet sich diese Demut vom leidenschaftlich auf seine Kritiker schimpfenden Hieronymus! Eher wird ein wildes Tier zum Heiligen als ein Künstler, und Hieronymusʼ Temperament möge die letzten Zweifel daran ausräumen, dass die Übersetzer unter solche zu zählen sind.

Mehrmals durfte ich miterleben, und ich denke, vielen wird das bekannt vorkommen, wie einige wohlmeinende Menschen abends zum Italiener (Spanier, Japaner, Türken ...) essen gingen und dann in bierseliger Runde die Zeitungslektüre vom Morgen diskutierten, in der es unter anderem um Migration ging. „Stellt euch doch mal vor, wenn es keine Ausländer bei uns gäbe! Wir könnten nicht mehr Indisch essen gehen, oder Nordafrikanisch, oder Chinesisch! Wir könnten uns nicht einmal hier beim Italiener treffen!“, sagt der eine. Ein griesgrämiger Zeitgenosse wirft ein: „Na und? Soll das etwa Pizza sein? Ich war neulich in Neapel. Dort habe ich richtige Pizza gegessen. Das hier ist doch nur ein billiger Abklatsch!“ Ein Dritter sagt: „Trotzdem besser als gar keine Pizza. Immer nur heimische Hausmannskost ist doch auch langweilig.“ Und mindestens so viel muss man, denke ich, auch übersetzter Literatur zugestehen.

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