6788329-1970_23_13.jpg
Digital In Arbeit

Der Rest vom Schützenfest

Werbung
Werbung
Werbung

Unter der Leitung von Seiji Ozawa wurde am vergangenen Sonntag durch die Wiener Philharmoniker und den amerikanischen Geiger Ruggiero Ricci das Violinkonzert op. 33 von Gottfried von Einem uraufgeführt. Das mehr als halbstündige Werk ist vor allem formal interessant. Es beginnt Andante mit einem längeren, recht eigenwilligen Violinsolo, das Tempo wird im 2. und 3. Satz allmählich bis zum Presto gesteigert und beruhigt sich in einem aus zehn Variationen bestehenden Adagio von symphonischem Charakter. Am originellsten, wenn auch etwas spröde, erweist sich der 3. Satz, dessen Violinsolo auf weite Strecken nur von zwei Bongos begleitet wird. — Den ungemein schwierigen, aber, wie uns scheint, gut spielbaren Solopart hat der Komponist mit dem großen Geiger Nathan Milstein durchgenommen, und der kleine, stämmige Ruggiero Ricci, der 1920 in San Franzisko geboren wurde, hat ihn auf einer kostbaren Guarneri, die zuletzt im Besitz Hubermans war, virtuos vorgetragen. Form und Technik der neuen Komposition Einems sind interessant, die Harmonik bleibt konservativ, der Charakter des ganzen Stückes weist weniger auf das symphonisch auskomponierte „romantische“ Instrumentalkonzert im Stil von Brahms als auf einige Spätwerke von Richard Strauss. Vielleicht hat das Konzert deshalb dem Publikum so ausnehmend gut gefallen. (Die 2. Symphonie von Johannes Brahms bildete den zweiten Teil des Programms.)

Zusammen mit dem in der letzten Folge der „Furche“ an dieser Stelle besprochenen „Festlichen Auftakt“ von Alfred Uhl ist dieses neue Werk Gottfried von Einems der „Rest vom Schützenfest“: das Überbleibsel eines großen Projektes, demzufolge im Rahmen der Jubiläumskonzerte der Gesellschaft der Musikfreunde zehn Auftragswerke uraufgeführt werden sollten. Vor etwa eineinhalb Jahren wurden nämlich durch Umfrage bei den 40 Direktoriumsmitgliedern und nach eingehender Beratung die Namen jener Komponisten ermittelt, die man um ein neues Werk bitten wollte. Es waren, in alphabetischer Reihenfolge, die

folgenden sieben: Leonard Bernstein, Benjamin Britten, Gottfried von Einem, Frank Martin, Carl Orff, Dimitri Schostakowitsch und Alfred Uhl. Ferner wurden Igor Strawinsky, Darius Milhaud, Luigi Dallapiccola, Boris Blacher und — wenn wir der Fama Glauben schenken dürfen — auch Paul Hindemith genannt und als würdig befunden. Den letzteren hätte der Auftrag allenfalls zu spät erreicht, denn er ist bereits 1963 gestorben. Zu spät kam er auch für die meisten der Genannten. Nur das Paul Badura-Skoda gewidmete Klavierkonzert von Frank Martin wurde rechtzeitig fertig, aber wegen Termin- und Probeschwierigkeiten fiel auch diese Premiere unter den Tisch. Zwar werden wir das neue Werk Martins im Lauf der nächsten Saison hören, aber nicht als erste, denn es wird noch während dieses Monats vom Schweizerischen Fernsehen aufgezeichnet und beim Holland-Festival aufgeführt. Diese Vorfälle gäben zu mancherlei Betrachtungen Anlaß. Wir wollen aber nur auf zwei Punkte hinweisen:

Sämtliche zeitgenössische Komponisten, die einen internationalen Namen haben, sind mit Aufträgen überlastet und für einige Jahre „ausgebucht“. Es gibt bei ihnen keine fertigen, unaufge-führten Werke in der Lade. Die Nachfrage ist größer als das Angebot: für die Komponisten sicher eine erfreuliche Situation, bedenklich jedoch für die Qualität der aufgeführten Musik, das heißt: man spielt heute alles. Und noch ein zweites. Früher gehörten Auftragsarbeiten zum Alltag des Musikers, und das war gut so. Ein Komponist, der sein Handwerk beherrscht, muß innerhalb von sechs Wochen —■ oder, seien wir großzügig, von sechs Monaten — eine Partitur von 10 bis 20 Minuten Dauer zustande bringen. Denn weder erwartet man von ihm zu solchem Anlaß eine neue „Eroica“ noch eine Komposition im Umfang einer Mahler-Symphonie. Wenn man nicht mehr auf Bestellung und in absehbarer Zeit ein Musikstück herstellen kann, so ist das kein gutes Zeichen für den Zustand der Künstler und der kompositorischen Technik in unserer Zeit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung