Projekt Weltethos

19451960198020002020

Zum 50. Todestag des Schriftstellers Hermann Broch, des letzten universellen Gelehrten Altösterreichs.

19451960198020002020

Zum 50. Todestag des Schriftstellers Hermann Broch, des letzten universellen Gelehrten Altösterreichs.

Werbung
Werbung
Werbung

Einen in vielen Fächern bewanderten Gelehrten nennt man Polyhistor. Der am 1. November 1886 in Wien geborene Hermann Broch war der letzte Altösterreicher dieser Art. Die knapp vor seinem Tod (30. Mai 1951) verfasste Studie "Hofmannsthal und seine Zeit" ist die tiefste Analyse dessen, was er die "fröhliche Apokalypse Wiens um 1880" nannte. Er hatte sie "kleine Geistesgeschichte des Vakuums" nennen wollen und setzte sich darin mit dem Zerfall der Werte und der Sinnkrise des Fin de Siecle auseinander. Diese Periode, die ihn auch selbst geprägt hatte, war eine des Eklektizismus, des romantischen (Weg-)Schauens und unersättlicher Dekorationslust. Er sah Karl Kraus und Hugo von Hofmannsthal als zwei Antworten auf diese Zeit: die ethische und die ästhetische. Broch war vom ethischen Satiriker Kraus geprägt und wurde selbst ein großer Ethiker. Seine Arbeiten nehmen den Kampf um universale Menschenrechte und das Projekt Weltethos vorweg.

Weltliteratur Berühmt wurde er vor allem durch seine Romane "Die Schlafwandler", "Der Versucher", "Der Tod des Vergil" und "Die Schuldlosen". Diese vier Bücher gehören zur Weltliteratur. Es ging ihm um die Darstellung seiner Geschichtsphilosophie, die er zu Beginn des Ersten Weltkriegs unter dem Titel "Der Zerfall der Werte" angekündigt hatte, die aber nicht erschienen war. Nach ihm ist seit dem Ende des Mittelalters der Glaube an den christlichen Gott in einem Zerfallsprozess begriffen. Diesem Auflösungsprozess wollte er durch Hinwendung zum Absoluten entgegenwirken. Er analysierte Massenwahn und Diktatur, versuchte aufzuklären und den Hitlerismus theoretisch und praktisch zu bekämpfen. 1938 gelang Broch die Emigration in die USA. Er kam wie viele der Besten nicht mehr nach Wien zurück.

"Der Tod des Vergil" erschien 1945 gleichzeitig in deutscher und englischer Sprache. Der sterbende Vergil will Heilbringer sein, und vor diesem Auftrag erscheint ihm Dichtung geradezu sinnlos. So will er die "Aenaeis" verbrennen. Die Erkenntnis des Todes, der zum Leben gehört, wird zum Ziel. In der Begegnung zwischen dem Kaiser Augustus, der weltlichen Macht, und Vergil, der geistigen Autorität, kommt es zu einem großartigen Gespräch und zur Ruhe einer Verbundenheit, "die wie ein Hauch aus dem menschlichen Herzen dringt, der Hauch der Herzens Unerklärlichkeit eines ewigen Ineinanderwissens". Broch war für den Nobelpreis vorgesehen. Der von ihm geförderte Canetti erhielt ihn 30 Jahre später und erinnerte daran.

Im Zeitalter des Wertzerfalls und der Sinnkrise, der Spezialisierung und Zersplitterung aller Wissenschaften und Künste war ein uomo universale vom Range Brochs ein Außenseiter. Man kennt ihn als Dichter, Literaten und Humanisten. Er war auch Textilingenieur, Manager, Funktionär, so im Fachverband der Textilindustrie. Der Kulturkritiker Broch ist bekannter als der Erkenntnistheoretiker, Metaphysiker, Ethiker. Am wenigsten ist Broch als Rechtsdenker und Demokratietheoretiker bekannt.

"Alle Politik hebt beim Menschen an; sie wird von ihm, für ihn und oftmals gegen ihn betrieben. Um über Politik sprechen zu können, muss man eine Vorstellung vom Menschen haben, sonst spricht man über eine leere Mechanik." Das Menschenrecht leitet Broch aus dem Logos und dem ihm eng verbundenen göttlichen Recht formal, inhaltlich aus der Grundbefindlichkeit des Menschen ab: vom Prinzip der Selbsterhaltung und Todesüberwindung und vom grundlegenden Streben nach Glück. Aus seinem Imperativ "Der Mensch darf den Menschen nicht versklaven" leitet er Menschenwürde, Freiheit, Fairness und Gerechtigkeit ab. Er plädierte wiederholt für die Wehrhaftigkeit der Grundwerte und für Grundpflichten. Er entwarf Gesetze zum Schutze der Menschenwürde und einen Menschengerichtshof. Zum Schutze der Menschenwürde dachte er an ein internationales Strafgesetz und an ein entsprechendes Gericht. Rund 50 Jahre nach dem Tode Brochs schuf es die Staatengemeinschaft im International Criminal Court, einer ständigen Instanz, vor der sich Einzelne wegen Angiffskriegs, Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten müssen.

Menschlichkeit Knapp vor seinem Tod verfasste Broch den Aufsatz: "Die Intellektuellen und der Kampf um die Menschrechte." Dort heißt es: "Der Intellektuelle ist ein Utopist, weil er der geborene Revolutionär ist. Denn im Gegensatz zu den materiellen Interessen des Bürgers (auch des proletarischen) kennt der geistige Mensch nur ein einziges Interesse, und das heißt Erkenntnis und Menschlichkeit. Alle Revolutionen sind von der utopischen Menschlichkeit des Intellektuellen entfacht worden, haben sich unter seiner Führung gegen die Unmenschlichkeit erstarrter Institutionen gewandt, und jede siegreich gewordene Revolution hat ihn und die Menschlichkeit letztlich wieder verraten, hat in neuen Interessenvertretungen, in neuen Institutionalismen versanden müssen. So war es immer, so wird es wohl immer wieder sein, unweigerlich, und darum wird der Intellektuelle immer wieder zu einem endlosen Kampf aufgerufen werden, ewig besiegt, trotzdem der ewige Sieger."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung