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Menschenwürde ist mehr als ein Wort

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Ohne Berufung auf ein Absolutes hängen Menschenrechte und Demokratie in der Luft. Hermann Broch (FURCHE44/1986) und sein Denken sind aktueller denn je.

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Ohne Berufung auf ein Absolutes hängen Menschenrechte und Demokratie in der Luft. Hermann Broch (FURCHE44/1986) und sein Denken sind aktueller denn je.

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Die Worte der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 waren für Hermann Broch der Ausdruck des Grundprinzipes der Humanität. „Sie ist die Anerkennung der ebenbildhaften Würde, die allem Menschengeborenen von vornherein verliehen ist, und in Anerkennung dieser unveräußerlichen und unverletzlichen Würde des Menschen verlangt sie vom Staate und seiner Regierung, daß er die leibliche und geistige Integrität der Person gegen alle Beeinträchtigungen bewahre.“

Der Gedanke der Ebenbildhaf-tigkeit findet sich immer wieder im Werk Brochs. Schon in seiner „Völkerbund-Resolution 1937“ behandelt er die absoluten Grundlagen jeder Paktfähigkeit: Das absolute Ethos zur Vertragstreue.

Ohne eine ethisch absolute Instanz gäbe es keine freiwillige Ubereinstimmung, noch viel weniger eine wahre Freiheit, es gäbe keine Vertragsfähigkeit, keine Verfassungsfähigkeit, keine Gerechtigkeit, keinen Frieden.

Das religiöse Erleben, das der Seele eigenste Kultur ausmache und alle Kultur in der Welt schaffe, sei verborgen. Klar und deutlich aber sei die Pflicht zur Vernunft für den Menschen vorhanden, „so sehr dem Logos und seiner lebendigen Fortentwicklung verhaftet, daß der Mensch sie mit Fug als Ebenbildhaftigkeit empfinden darf, seine Seele aber als das einzige Gefäß einer Absolutheit, die sich spiegelnd in ihr erzeugt“.

Bei seiner Reflexion über Verfassungen in Zeiten der Wertzersplitterung sieht Broch die Lösung in der Spannung und Mitte zwischen extrem rationaler, abstrakter Autorität und extrem irrationaler Unfehlbarkeit mit Massenbindung, zwischen Ent-personalisierung, Rationalisierung der Macht und irrationaler Dynamik der Politik.

Hier sei die Zone, in welcher die Realität einer schlicht humanen Anständigkeit und einer Verfassungsmoral etabliert werden könne, in welcher ein Maximum an Freiheit für das Individuum verbürgt sei und diese Freiheit nur durch die Notwendigkeiten des rational-sozialen Ethos eingegrenzt werde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verfaßte Broch die Studie „Trotzdem: Humane Politik. Verwirklichung einer Utopie“ (1950). In ihr setzt er sich mit Grundlagen und Grundfragen der Demokratie auseinander.

Seine Diagnose: Der Verlust des Gottesglaubens habe die Menschen in einem Augenblick getroffen, in dem ihnen die Fixierung an einen Zentralwert am notwendigsten gewesen wäre, nämlich in der Entwicklung zur und der Industriegesellschaft. Die politische Gerechtigkeit, diese spezifisch demokratische Tugend, sei vielfach durch Ausbeutung, Unterdrückung, Imperialismus, Kolonialismus depraviert worden.

Die Depravierung wäre jedoch kaum möglich gewesen, wenn die Demokratie nicht in die Epoche des schwindenden Gottesglaubens geraten wäre. „Der Ebenbildhaftigkeit beraubt, scheinen die Menschenrechte ihren innersten Gehalt verloren zu haben“. Ohne Berufung auf ein Absolutes hingen die Menschenrechte in der Luft und die Idee der Demokratie erst recht.

Im Verlust dieser absoluten Orientierung sieht Broch den Untergang der Demokratie: „Denn die Faschismen entstanden, als der Mensch den Nebenmenschen, der Bürger den Nebenbürgern die Achtung zu versagen begann, als er ihn ihm nicht mehr die Menschenwürde achtete, als er ihn nicht mehr als Gottes Ebenbild zu sehen vermochte, also den Bourgeois, den Juden, den Farbigen zum Untermenschen erklärte. Nicht die Regierung, wie man bei Gründung der Demokratien befürchtet hatte, bedrohte die Menschenrechte, nein, die Bürger taten es, und taten es gründlich.“

Der Satz: „Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde“ ist für Broch Ausgangspunkt. Sein Menschenbild ist bestimmt vom Ebenbild. Es ist Richtschnur und Maßstab seiner Theorie des Menschenrechts. Broch geht so weit zu sagen: „Der Mensch mag die Gottes-Existenz leugnen, aber niemals, daß seine eigene deren Ebenbild ist.“

Autonomie des Bewußtseins, Freiheit und Verantwortung dürfen zum Unterschied von der Gottesexistenz nicht geleugnet werden. Durch die Erkenntnis muß der Mensch die Weltschöpfung unaufhörlich wiederholen. Er erkennt die fürchterliche Pflicht zur Freiheit, die er mit seinem Schöpfer teilt.

Joseph Stelka hat im Brochschen Denken die konsequente Fortsetzung des Prometheus-Gedankens festgehalten, in dem der Mensch etwas erhalte, was niemand außer ihm besitzt: Das Streben nach absoluter Ungebundenheit, sodaß er über die Ordnungen der Natur hinausgehoben werde, obwohl er ihnen gleichzeitig unentrinnbar verhaftet bleibe und obwohl sie ausschließlich kraft seiner Erkenntnis manifest würden.

Broch wollte einen Beitrag zu einer „Theorie der Humanität“ leisten und mit praktisch-politischen Konsequenzen verbinden.

Er entwickelte einen eigenen Menschenrechtsbegriff, der an der Ebenbüdhaftigkeit sich annäherungsweise orientiert, konkret aber durch die in der Lebenserfahrung vermittelten Prinzipien der Todesüberwindung, der Selbsterhaltung und des Strebens nach Glück bestimmt ist. •

Zwischen dem Ursprung und dem Ziel der Ebenbildhaftigkeit einerseits und dem Trieb nach anarchischer, absoluter Ungebun-denheit bei Versklavung der Nebenmenschen und der totalen Hingabe in die absolute Sicherheit einer versklavenden Institution andererseits spielt sich die Entwicklung des Rechts des Menschen ab.

Der absolute Nullpunkt der Humanität ist die Vollversklavung im Konzentrationslager. Diese Versklavung ergibt sich aus dem ethischen Relativismus, der durch das Dahinschwinden der alten religiösen Haltungen eingetreten ist.

Aber für Broch ist gerade diese grauenhaft sichtbare Versklavung geeignet, den Begriffen „Menschenwürde“, „Freiheit“, „Anständigkeit“ einen neuen und vielleicht sogar wissenschaftlich zu sichernden Inhalt und Anspruch zu verleihen.

In einem „Gründungsaufruf für eine internationale Universität“ hat Broch ein Konzept entworfen, wie die menschliche Natur in all ihren Erscheinungen erforscht werden könnte und wie dieses Wissen zu vermitteln wäre.

Hermann Broch, der vielleicht letzte Polyhistor Altösterreichs, war ein Dichter und Denker der Menschenwürde. Sein Leben war Mühsal. Er ist aber durch sein Wirken und Werk Licht auf unserem Weg in die komplizierte Unsicherheit der Zukunft.

Der Autor, Professor für Rechtswissenschaften an der Universität für Bodenkultur, ist Stadtrat in Wien.

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