Kein Weg führt daran vorbei: Auch die katholische Kirche muss eine lernende Organisation werden. Überlegungen zu den Missbrauchsaffären in kirchlichen Einrichtungen.
Spindeln zu verbieten, verhütet weder, dass sich jemand an ihnen verletzt, noch, dass mit ihnen gesponnen wird.
Sexuelles Handeln zu verbieten oder verteufeln oder einfach zu ignorieren, ist ebenso keine geeignete Präventivmethode gegen sexuelle Belästigungen, Übergriffe, Ausbeutung, Sadismen, Verletzung, Vernichtung. Ganz im Gegenteil: Es fördert nur Heimlichkeit, Abstreiten, Verleumdung durch Schuldverschiebungen und Seelenmord durch Lügen.
Was Menschen krank macht, ist die Lüge, Selbstbetrug inklusive: wenn innere und äußere Wahrheit auseinanderklaffen. Deswegen versagen ja auch juristisch orientierte Präventivmaßnahmen: „Der Beschuldigte darf alles seiner Verteidigung Dienliche vorbringen“ – wahr muss es nicht sein. Wer aber ist der Beschuldigte, wenn es im kirchlichen Bereich zu sexuellen Miss-Handlungen kommt? Nur der Täter? Alle, die vermutet, geahnt und weggeschaut haben? Oder auch die, die ihn einseitig, unzulänglich, ja vielleicht sogar zielführend ausgebildet haben? Oder die ganze Institution Kirche, die Unkeuschheit, was immer man auch darunter verstehen mag, verdammt und damit Wahrnehmung und Selbstkontrolle behindert?
Auch eine gesunde Organisation ist nötig
Salutogenese – Erzeugung von Gesundheit, daher auch gesunden Beziehungen und gesunden Organisationen – entsteht durch Wahrnehmung dessen, was da ist und Finden von alternativen Umgangsformen. Im Sinne unserer dualen Welt, in der wir primär durch Unterscheiden von Gegensätzlichem wahrnehmen, sind nur zwei Alternativen („tertium non datur“) zu wenig, um sich weiterzuentwickeln: Durch Absonderung des als böse Definierten schaffen wir nur dessen Absonderung, aber keine Wandlung ins Gute oder zumindest Bessere, Gesündere.
Der Fortschritt, den der „blockierte Riese“ (Manfred Lütz) aufgrund der permanenten Wiederkehr des Verdrängten in den letzten zehn, 15 Jahren machen musste, besteht derzeit nur in der Anerkennung der Tatsache, dass es sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche gibt, und im Bemühen der obersten Funktionäre, von den Opfern Verzeihung zu erwirken (und möglicherweise dazu Verzicht auf Schadenersatz); Täter werden nach wie vor abgesondert, zum „Service“ geschickt und als moralische Versager stigmatisiert. Sie werden nach wie vor geschont – sie müssen sich nicht mit ihren Opfern konfrontieren und dort versuchen, Wiedergutmachung zu leisten, so schwer es auch ist, Scham und Schuld ertragen zu müssen. Denn: Das Sakramentale ist nicht die Buße – die ist nur Abschlussritual und damit Möglichkeit, sich als mächtiger Richter zu inszenieren. Das Sakramentale – Reinigende, Vereinende, Heilende – ist die bewusst durchlittene Reue im Angesicht der Person, deren Gottebenbildlichkeit man verletzt, möglicherweise zerstört hat.
Blockadestrategie gegenüber der Sexualität
Und: An der körperlich-seelisch-geistigen Blockadestrategie gegenüber der Schöpfungskraft Sexualität hat sich bisher auch nichts geändert. Die Kirche schaut weg und schweigt, wenn die vier großen ethischen Grundprinzipien, die sich in jeder Weltreligion finden, missachtet werden, denn auch Seelenmord ist Töten, auch Bestehen auf „internen“ Regelungen ist Beschränkung von Wahrhaftigkeit, auch das Ausnützen von Vertrauensverhältnissen ist Diebstahl von Lebensenergie, und Menschen, die aus körperlichen, seelischen oder intellektuellen Gründen – noch – nicht gleich stark und widerstandsfähig sind, für eigene Bedürfnisse und Ziele auszubeuten (und wenn dies auch nur das Profitstreben der Sexindustrie oder Menschenhändler ist), ist Missbrauch. Menschen, die sich anders als erwünscht erweisen, abzuwerten, auszuschließen oder im Gegensatz zu idealisieren, wird ebenso der Person nicht gerecht, sondern etikettiert sie als reine Jungfrau oder unschuldiges Kindlein oder als widernatürliche Bedrohung und Ketzer.
Wenn die katholische (aber auch jede andere christliche) Kirche sich dem Auftrag verpflichtet, Menschen auf ihrem Weg zum inneren, lebendigen Gott Anleitung und Begleitung zu geben, anstatt nur Unterwerfung unter ein äußeres Gottesbild zu fordern, bedeutet dies, die Einheit von Denken und Fühlen, von körperlichem Empfinden und tiefem Ahnen – eben Glauben – zu fördern. Grundsätzlich ist dieser Ansatz ja ohnedies vorhanden! Erklärt, vorgelebt wird er nicht.
Juristische, daher veränderbare Konstruktionen wie der Pflichtzölibat sind unwesentlich, lenken nur vom Wesentlichen ab. Aber wenn Seele und Geist – Spirit, aber auch Lebensenergie – nicht als gleich wichtig vermittelt und im Sinne der englischen Redensart „Walk your talk“ (= Lebe, was du predigst) beispielhaft praktiziert werden, konzentriert sich eben alles auf den Körper. Jesuanisch ist das nicht.
* Die Autorin ist Psychotherapeutin und Leiterin des Instituts für Stressprophylaxe & Salutogenese sowie (evang.) Theologin i. A.
Die Wahrheit wird euch frei machen
Sexuelle Gewalt im kirchlichen Bereich und anderswo. Von Rotraud A. Perner. Gezeiten 2006. 292 S., e 21,50
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