Sind Heilige wirklich Vorbildlich?

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Die katholische Kirche hat 6650 Menschen zur Ehre der Altäre erhoben, - manche davon mit befremdlichen Lebensgeschichten. Ein Überblick.

Gemäß der Bibel sind alle Menschen heilig, Ebenbilder Gottes, Mann und Frau, egal ob getauft oder nicht (Gen 1,26 f.). In der Christentumsgeschichte wurden jedoch zahlreiche Männer und Frauen noch seliger und noch heiliger: Laut offiziellem Verzeichnis der katholischen Kirche, dem Martyriologum Romanum, sind es immerhin 6650 - die meisten davon Singles. Mit der Kanonisierung verband sich stets die Absicht, einen Menschen zur Ehre der Altäre zu erheben, der vorbildhaft sei. Und tatsächlich wurden die Heiligen Vorbilder dutzender Generationen - und sind es teilweise noch immer.

Wirft man jedoch einen Blick auf die tradierten Lebensgeschichten, dann eröffnet sich eine eigene Welt: manchmal ist sie ethisch bedenklich (wie bei Nikolaus von Flüe, der seine Frau und zehn Kinder verlassen hat, um seinem Ruf zu folgen), manchmal skurril (wie bei Simeon Stylites, der 30 Jahre lang nicht von einer 18 Meter hohen Säule herunterstieg - offenbar nicht einmal, um seine Notdurft zu verrichten), und oft ziemlich grausam (speziell in Märtyrerberichten wie jener über Katharina von Alexandria, deren für sie bestimmten Folterräder 4000 Heiden erschlagen haben sollen). Es gibt aber auch ergreifende, rührende Szenen - etwa bei Franz von Assisi, der Schnecken von der Straße entfernt und so vor nahenden Ochsenfuhrwerken gerettet haben soll. Das ökumenische Heiligenlexikon ( www.heiligenlexikon.de) gewährt spannende Einblicke in diese schillernde Welt.

Legenden voll Sadismus

Ursprünglich waren die Heiligen allesamt Märtyrer - und die Legenden ihrer Martern ziemlich sadistisch: Da wurde flüssiges Blei in die Ohren gegossen, da wurden Brüste abgeschnitten (wie bei der Heiligen Barbara), da hat die Heilige Regula nach der Enthauptung den Kopf zu ihrer letzten Ruhestätte getragen, über der sich heute das Zürcher Großmünster erhebt. Zwei der ersten Heiligen, die kein Martyrium erlitten, waren der Heilige Martin und Nikolaus von Myra - zwei Gestalten, die auch heute noch fast jedes Kleinkind kennt.

Heilig wurde in der Folge vor allem, wer der Kirche nützte: sei es als Missionar (wie der Heilige Bonifatius, der die Eiche des Thor in Geismar fällte und zu Friesen und Sachsen predigte), sei es als Ordensgründer (allen voran Benedikt von Nursia), sei es als Gelehrter, Politiker oder Feldherr. Kaiser Karl der Große etwa nahm es mit seinen vielen Frauen unkatholisch locker, kämpfte dreißig Jahre lang gegen die Sachsen, ließ Tausende zwangstaufen oder erschlagen -und wurde 1165 kanonisiert.

Während ursprünglich das gläubige Volk Heiligsprechungen vornahm, zogen die Päpste dieses Privilegium zusehends an sich, bis es ab 1234 allein in ihren Händen lag. Dies verhinderte jedoch nicht die oft verquere Heiligenverehrung - man denke etwa an die Streitereien um Reliquien, etwa um die Haare der Heiligen Klara von Assisi, die sieben italienische Klöster für sich beanspruchten. An diesen Auswüchsen - und am Ablass - entzündete sich der Protest der Reformatoren, allen voran Martin Luthers, der 1510 nach Rom pilgerte und dort das Heiligengeschäft miterlebte. Verständlich, dass er später die Heiligenverehrung zurückdrängte - selbst die des Heiligen Nikolaus, an dessen Stelle in Luthers Familie fortan der "Christ“ die Geschenke brachte. Die Volksphantasie machte daraus alsbald das blondgelockte Christkind.

1734 legte Papst Clemens XII. schließlich Kanonisierungs-Richtlinien fest, die bis heute weitgehend gültig sind. Demnach muss einer Heiligsprechung stets die Seligsprechung vorausgehen, wie sie früher auch von Bischöfen vorgenommen werden konnte: Selige sind deswegen nur in bestimmten Diözesen zu verehren, Heilige hingegen in der Universalkirche. Das Kirchenrecht von 1917 sorgte insofern für eine Änderung, als fortan nicht mehr 50 Jahre bis zu einer Kanonisierung gewartet werden musste. Lanciert wird das Verfahren bis heute von Interessensgemeinschaften, die zunächst alle Quellen sichern, Zeitzeugen befragen, dann an den Diözesanbischof herantreten und ihn ersuchen, eine Kommission einzurichten. Diese prüft die Fakten, speziell die Rechtgläubigkeit sowie die Glaubwürdigkeit des oder der Wunder. Erst dann wird der Akt an die vatikanische Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse weitergeleitet, in der sich ein Postulator für den Kandidaten stark macht und ein advocatus diabolus alles in Zweifel zieht. Wird das gerichtsähnliche Verfahren positiv beschieden, erfolgt der Eintrag ins Martyriologum Romanum (Erstausgabe 1583) und die offizielle Selig- oder Heiligsprechung. Aktuell belaufen sich die Kosten einer Seligsprechung auf gut 250.000 Euro, eine wichtige Einnahmequelle für den Vatikan.

Mit 1316 Seligen und 483 Heiligen liegt Papst Johannes Paul II. bei den Kanonisierungen weit voran - wobei gerade an seiner Praxis deutlich wird, wie sehr Heiligsprechungen (kirchen-)politisch aufgeladen sind. Josemaría Escrivá de Balaguer etwa verstarb 1975 und wurde bereits 1992 selig- und 2002 heiliggesprochen. Er gründete das Opus Dei, dessen Angehörige angehalten wurden, ihre Vernunft bedingungslosem Gehorsam unterzuordnen - und gelegentlich den Bußgürtel mit feinen Metallspitzen um die Oberschenkel zu schnallen. Anders hingegen bei Erzbischof Óscar Romero, der am 24. März 1980 in El Salvador von den Kugeln der von den USA unterstützten Guerilla durchsiebt wurde. Obschon der Befreiungstheologe für die Armen Lateinamerikas längst heilig ist, schleppt sich das 1994 aufgenommene Verfahren dahin. 2008 erklärte José Saraiva Martins von der Seligsprechungskongregation, es seien Zweifel aufgekommen, ob Romero wirklich ein Märtyrer oder nicht vielmehr politisch motiviert gewesen sei. Allerdings drängt Papst Franziskus auf eine zügige Abwicklung des Verfahrens. Dass auch Johannes Paul II. bald heilig gesprochen werden soll - gemeinsam mit Johannes XXIII., der die Kirche in vielem nach vorne brachte -, ist ebenso kein Zufall: Man will das Kirchenschiff auf Kurs halten - und die meisten zufriedenstellen.

Schlechte Chancen für sexuell Aktive

Doch von Päpsten abgesehen: Wer hatte in der Geschichte eigentlich die höchsten Chancen auf Heiligsprechung? Die der Laien war jedenfalls gering. Von den 303 Personen, die bis 1987 kanonisiert wurden, waren nur 76 Laien - davon mehr als die Hälfte nicht verheiratet. Wahrscheinlicher heiliggesprochen wird, wer keusch lebt, bestenfalls als Mönch oder Nonne, keine Kinder hat oder seine Familie verlässt. Es gibt kein gemeinsam heiliggesprochenes Ehepaar, das bis zum Ende seiner Tage erfüllende Sexualität praktiziert hätte. Eine Ausnahme sind die Eltern der Heiligen Theresia von Lisieux, die anfänglich eine Josefsehe führten und erst auf Anweisung des Beichtvaters Kinder zeugten, von denen vier jung verstarben und fünf ins Kloster eintraten. 2008 wurden Zélie und Louis Martin seliggesprochen. In seinem Buch "Die Helfer Gottes“ fragt Kenneth L. Woodward zu Recht, ob diese Eheleute, die ihr Familienleben wie ein Kloster gestalteten und am liebsten ohne Sex geblieben wären, "wirklich Menschen (sind), die Katholiken als Vorbilder für Heiligkeit in der Ehe dienen können?“

Nichtsdestotrotz: Viele Heilige sind und bleiben vorbildhaft und faszinieren wie eh und je - gerade Kinder. So die Heilige Elisabeth, die Brot zu den Armen bringt: Als sie von ihren Angehörigen ertappt wird, duften im überprüften Korb lauter Rosen. Oder der Heilige Wendelin, der als Siebenjähriger Schafe hütet. Oder der Heilige Antonius, der zu den Fischen predigt, nachdem ihm niemand anderer zuhört. Wie viele Kinder haben zu Tieren geredet, weil Erwachsene kein Ohr für sie hatten! Auch heute noch interessieren sich die Kleinsten oft brennend dafür, wer die Frau oder der Mann war, von dem sie ihren Namen haben. Erzählen wir ihnen diese Geschichten weiterhin!

Der Autor ist Professor für Religionspädagogik an der Universität Salzburg sowie Präsident der Internationalen Pädagogischen Werktagung Salzburg

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