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Die Politik in Europa (und anderswo) leidet Mangel: an Gesinnung, an Visionen, an Intellektualität.

Ein weiteres Land in Europa, in dem eine populistische Partei einen erklecklichen Teil einer Bevölkerung hinter sich scharen konnte: Auch wenn die Verhältnisse rund um den niederländischen Urnengang nach dem Mord an Pim Fortuyn so exzeptionell waren, dass sie in vielem "unvergleichbar" erscheinen, reiht sich das Ergebnis der Parlamentswahlen nahtlos in eine europäische Entwicklung ein. Nimmt man nur die EU-EWR-Zone in den Blick, so findet sich hier Land an Land, in dem die politischen Volkaufsmaulschauer eine immer größere Rolle spielen: Belgien, Österreich, Italien (gleich mit mehreren Parteien und einer ganzen Regierung), Norwegen, Dänemark, Portugal, Frankreich (zumindest mit erschreckenden Lebenszeichen von ganz rechts) und jetzt eben auch die als weltoffen-tolerant verschrieenen Niederländer.

Bei aller Unvergleichlichkeit der einzelnen Länder Europas ähneln sich die Diagnosen, warum Populismus so oft reüssiert. Cees Noteboom, niederländischer Starliterat, äußerte jüngst in der Zürcher Weltwoche: Natürlich hätte er das Unaussprechliche - Pim Fortuyn zu wählen - nicht getan, aber er erklärte dessen Erfolg, "weil die politische Klasse mit ihrer Political Correctness alles unter den Teppich gekehrt" habe.

Solche Erklärungsmuster - die etablierte Politik sei zu uninspiriert, zu fad, zu weit von den Bedürfnissen der Menschen weg, zu abgehoben et cetera - tauchen und tauchten nach dem relativen FP-Wahlerfolg in Österreich 1999 ebenso auf wie nach den französischen Präsidentenwahlen 2002: Dort ließ die Wahl zwischen einem Präsidenten mit Hang zur Korruption und einem Sozialisten mit Hang zu noch mehr Farblosigkeit einen Politrabauken zum Zweiten im Bunde werden und dann, Gott sei Dank, noch einmal verglühen. Dass die Konstellationen in punkto Farblosigkeit beim deutschen Nachbarn durchaus ähnlich sind, wird nur durch die Tatsache gemildert, dass sich dort bundesweit (noch?) kein Volkstribun empfohlen hat.

Wenn es also stimmt (und dafür spricht einiges), dass der fehlende Geist herkömmlicher Politik dem Populismus den Weg ebnet, so ist die Frage zu stellen, worauf dieser Mangel an Inspiration gründet.

Es sind mehrere Szenarien, mit denen die Krise der Politik in Europa (und anderswo) beschrieben werden kann:

* Als erstes ist eine politische Gesinnungskrise zu konstatieren. Denn zum einen näherten sich in den letzten Jahrzehnten die großen Antagonisten früherer politischer Auseinandersetzungen - allzu plakativ durch das Rechts-Links-Schema beschrieben - einander an. Zum anderen hat diese Krise wohl auch mit dem Ausdünnen ideeller Großinstitutionen zutun - das gilt für Solidaritätsbewegungen wie die Gewerkschaften ebenso wie für die Großreligion des Christentums, das in der europäischen Politik nur mehr sehr mittelbar Spuren hinterlässt. Individualisierung und Säkularisierung haben den alten Solidargemeinschaften viel gesellschaftliche Kraft genommen. Nur der Fundus der Populisten (aus dem sich - wegen deren Erfolgs - auch die herkömmliche Politik mehr und mehr bedient) scheint vielen da "Abwechslung" zu bieten.

* Ein zweites Szenario, das Europa überschattet, ist die Visionskrise der Politik. Visionäre Politiker, die erkennbar und unbeirrt ein übergeordnetes Ziel verfolgen, sind an den Schalthebeln Europas zur Zeit nicht zu finden. Doch gerade das europäische Projekt der Gegenwart, die Erweiterung der EU, kann nur bei Vorliegen einer glaubwürdigen politischen Vision und ebenso überzeugenden politischen Visionären, die daran arbeiten, gelingen. Doch Visionäre sind dünn gesät, Politik erscheint durch Pragmatik ersetzt, und diese Pragmatik führt, wenn sie nicht durch Zukunftsperspektiven gezügelt wird, eben in den Populismus. Auch wenn allenthalben geklagt wird, dass die Politik endlich wieder den Primat über die Ökonomie erreichen müsse, zeigt dies deutlich die Visionskrise auf.

* Als drittes muss die intellektuelle Krise gegenwärtiger Politik benannt werden. Als sich - noch in den neunziger Jahren - der französische Präsident François Mitterrand auch mit dem Philosophen Jean Guitton beriet, war das bereits eine Sensation: Zu sehr hatten damals schon Spindoktoren die Politiker in der Hand; der Primat des Scheins über die Wahrheit und die redliche Auseinandersetzung ist seither nicht geringer geworden. Im Gegenteil. Dieser Tage besucht der amerikanische Präsident George W. Bush die Bundesrepublik Deutschland. Auch wenn die Proteste rund um den Besuch eines US-Präsidenten eine Art Ritual sind, so scheint Politikschelte hier durchaus angebracht: Der derzeitige Bewohner des Weißen Hauses ist ganz sicher auch ein Symbol für die intellektuelle Krise der Politik jenseits des Atlantiks. Es mag ja einerseits für das politische System der USA sprechen, dass es trotz der kaum sichtbaren intellektuellen Kompetenz einer Administration funktioniert. Doch für Europa wie für die USA gilt, dass sich fehlende Denkarbeit in den obersten Rängen der Politik à la longue bitter rächt.

Vielleicht ist es die langsame Aushöhlung europäischer/ westlicher Politik - das Fehlen von klaren Gesinnungen, von zukunftsweisenden Visionen, von redlicher Intellektualität -, die zum unaufthaltsamen Aufstieg der Populisten wesentlich beigetragen hat. Zur Umkehrung dieser Entwicklung, zur Zurückdrängung des Populismus also, wird es des Wiederentdeckens der politischen Tugenden Gesinnung, Vision, Intellekt bedürfen. Eine Vermutung liegt aber nahe: Diese Umkehr wird nur langsam, sehr langsam vonstatten gehen.

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