Wir haben sich bemüht

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Über 600.000 Österreicherinnen und Österreicher sind jedes Wochenende in Sachen Fußball unterwegs - als Akteure, Funktionäre oder Zuschauer. Dieser Tage haben sie einen besonderen Grund zum Feiern: Am 18. März jährt sich der Gründungstag des Österreichischen Fußballbundes zum 100. Mal. Redaktion: Doris Helmberger Österreichs bescheidener Fußball. Ein Erklärungsversuch.

Warum sind wir so, wie wir sind, und was ist gut daran, dass wir wir sind und uns als Unsrige identifizieren? Und was ist gut daran, dass diese Unsrigen, mit denen wir uns identifizieren, für uns verlieren, nicht regelmäßig, aber regelmäßig oft, wenn auch so, dass immer noch die Hoffnung bleibt. Einmal könnte ja auch den Unsrigen, mit denen wir uns identifizieren, etwas gelingen. Nicht?

Es gibt Menschen, denen, egal was sie auch immer anpacken, alles misslingt, denen jede Unternehmung fehlschlägt, alles scheitert, so als wollten sie sich gegen eine unsichtbare Ordnung durchsetzen, gegen einen Lauf der Welt, eine stillschweigende Vereinbarung aller Dinge. Sie scheitern. Und je mehr sie sich bemühen, hineinbeißen und sich in ihre Ideen verbohren, desto sicherer gehen sie zu Bruch oder bleiben stecken irgendwo, brechen ab. Und so ähnlich wie diese armen Törichte, die gegen die Gesetze anlaufen, ohne es zu wissen, deren gut gemeinte, aber falsch angepackte Unternehmungen doch nicht recht in den Griff zu kriegen sind und also immer scheitern, kommen mir auch die österreichischen Fußballmannschaften manchmal vor.

Großmäulige Versager

Immer, wenn es darauf ankommt, versagen sie. Sie versagen das, was sie vorher großmäulig versprochen haben, versickern in unsäglichem Geplätscher, das meist nicht einmal wert ist, es Fußball zu nennen, um dann wieder, wenn es eigentlich nichts mehr zu reden gibt, man über diese ballesterischen Entäußerungen nicht einmal noch schweigt, in einen Sprachfluss zu gelangen, der alle überrascht und staunen macht. Sie könnten es ja doch.

Ja, sie könnten es. Im Grunde hat der österreichische Fußball seit 100 Jahren immer wieder gezeigt, dass er es könnte, um sich letztlich doch zu bescheiden, es wenigstens seit 50 Jahren beim Konjunktiv zu belassen, nichts zu erreichen, was gerade im Vergleich mit Ländern unserer Preisklasse augenfällig wirklich wird, haben doch Polen, Tschechien, Holland, Kroatien, Schweden, Belgien, Portugal, Dänemark, Bulgarien, Türkei, Rumänien, usw. sich alle irgendwann herausgenommen, nicht so sehr beschieden, Goldene Jahre erlebt, Titel eingeheimst, so stehen selbige den Unsrigen, den Bescheidenen, mit denen wir uns identifizieren, noch aus. In Pelés Liste der 125 besten Spieler aller Zeiten (anlässlich des 100. Geburtstages der FIFA) sind zwar zehn Deutsche, immer schon ein Volk der Unbescheidenen, dreimal Weltmeister!, aber, wen wundert's, kein einziger Österreicher. Dabei hätten wir immer wieder Jahrhunderttalente gehabt, wären die Nachwuchsmannschaften seit Jahren formidabel. Aber irgendwo scheint der Wurm der Konjunktion drinnen zu sein, irgendwo scheint sich etwas zu verbohren, irgendwie sind wir zu bescheiden.

Gut, etwas wird auch übertrieben, sogar die Fußballbegeisterung in Österreich ist bescheiden, zu einem meisterschaftsentscheidenden Ligaspiel kommen, wenn es gut geht, so viele Zuseher wie bei europäischen Großklubs zum ersten Training, noch immer gehen mehr Menschen ins Theater als auf den Fußballplatz. Gerne zieht man auch, will man die österreichische Bescheidenheit begreifen, das Wechselspiel zwischen Überheblichkeit und Minderwertigkeitskomplex heran, die Traumata des Kleinstaates mit großer Vergangenheit. Die verbinden uns mit Griechenland. Aber auch Ägypten, Persien, China, Indien, Mexiko, die Mongolei haben im Fußball noch nicht viel gerissen, sogar Spanien bleibt als Nationalmannschaft eigenartig blass. Vielleicht sind aber auch die Berge schuld? Wie soll man denn da Fußballspielen, wenn dauernd der Ball wo runterläuft. Wie soll man angesichts dieser Massive nicht bescheiden sein? Oder liegt es an der Ordnung, die jeden Quadratmillimeter Grasfläche verwaltet, es keine Wildnis mehr, kein Unkraut gibt? Am aggressiven Patschen-anziehen-müssen? Der österreichischen Dickschädeligkeit?

Der Österreicher, so bescheiden er auch ist, ist nämlich derart stur und verstockt, dass er eigentlich ein "-tion" im Namen haben müsste, seine - gerade wenn es um die Bescheidenheit geht - hervortretende Halsstarrigkeit auch dort wie eine Schelle umgehängt zu haben: Österreichertion. Wörter, die mit "-tion" enden, haben etwas Furchterregendes: Diktion, Mutation, Sanktion, Kastration, usw. Deshalb machen aufmerksame chinesische Gastgeber Flecken ins Tischtuch, bevor die Gäste kommen, weil sie wissen, dass all zuviel Konvention und Perfektion die Freiheit trocken legt, das Kreative bremst. Ob auch der bescheidene österreichische Fußballer etwas von dieser chinesischen Höflichkeit besitzt?

Perfektion? Unerträglich!

Die Menschheit an sich hat immer nach den "-tionen" gelechzt, denn was anderes sind die Pyramiden und mittelalterlichen Dome als Tempel der Perfektion. Die ganze Kunstgeschichte, Nationenschwärmereien, Projektionen? Heute baut man keine Kirchen mehr, sondern Autohäuser und Kleinstaaten. Die Perfektion, mit der man Gott beweisen will, dass man aus demselben Holz geschnitzt ist, manifestiert sich weniger in der Kunst als in einer mit lauter Weltstars angefüllten Fußballmannschaft wie zum Beispiel Real Madrid, diesem Homunculi von Weltauswahl, bei dem man zweifelt, ob diese zusammengekauften Sterne noch gemeinsam duschen.

Das Perfekte nämlich, weil es keinen Spielraum lässt, zur Überheblichkeit tendiert, schnell überschwappt, bleibt auch suspekt, ja, irgendwie sogar zuwider. Daher freut es wohl, wenn ein Elch Mercedes kippt, die Titanic untergeht, der Babelturm zusammenkracht, Real verliert. Vielleicht ist das der Grund, weshalb besonders hübsche Mädchen immer eine Hässliche zur Freundin haben, weil zuviel Perfektion nicht auszuhalten ist. Perfekt ist immer Vergangenheit. Daher die chinesischen Tischtuchpatzer. Daher sind auch die österreichischen Mannschaften, die sich bescheiden, irgendwie sympathisch, weil sie die Perfektion und das Gewinnenwollen der anderen erträglich machen, weil sie auch für uns, die wir uns mit ihnen identifizieren, eine Einübung in die Niederlage sind und in den Tod.

Der Autor ist Schriftsteller und Fußballenthusiast.

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