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Benbellas letzter Hintermann

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tcn sogar gegen das Kabinett Mac-Millan.

Wie das Drehbuch eines Films

Wer die einzelnen Etappen dieses Skandals verfolgt, glaubt das Drehbuch eines zweitklassigen Films zu lesen:

Juli 1961. Mr. Profumo lernt Christine Keeler auf einer Party des Doktor Ward kennen.

Juli 1961. Sir Norman Brook warnt Mr. Profumo davor, daß Dr. Ward mit Spionage in Zusammenhang gebracht wird.

Juli 1961 bis Ende 1961. Intimes Verhältnis Profumos mit Christine Keeler; intimes Verhältnis des Photomodells mit Kapitän Eugen Iwanow, stellvertretender Marineattache an der sowjetischen Botschaft (wird Ende 1962 wegen Spionagegerüchten nach Moskau zurückberufen).

14. März 1963. In einem Vorverfahren des Kriminalgerichtes Old Bailey in London wird mitgeteilt, daß die Zeugin Keeler verschwunden sei.

21. März 1963. Anfrage im Unterhaus an den Innenminister Brooke über die Gerüchte, daß ein Regierungsmitglied in den Fall Ward—Keeler—Edge-combe verwickelt sei; geheime Konferenz von Regierungsmitgliedern mit Mr. Profumo.

22. März 1963. Mr. Profumo erklärt dem Parlament, daß seine Beziehungen zu dem Photomodell „nicht unschicklich“ gewesen seien.

28. März 1963. Miß Keeler kehrt aus Madrid nach London zurück.

28. März 1963. Ein Rechtsanwalt, Mr. Eddowes, übergibt dem Sicherheitsdienst Material, aus dem hervorgeht, daß Ward und Iwanow Miß Keeler benützen wollten, um von Mr. Profumo Staatsgeheimnisse zu erfahren.

21. Mai 1963. Dr. Ward macht der Presse die wahre Natur des Verhältnisses Profumo—Keeler bekannt. Weiteres Leugnen Profumos.

4. Juni 1963. Profumo erklärt nach einer Aussprache seinen Rücktritt und gesteht seine Lüge vor dem Unterhaus ein.

9. Juni 1963. Premierminister Mac-Millan bricht seinen Urlaub in Schottland ab.

17. Juni 1963. Mißtrauensantrag abgelehnt. Kabinett MacMillan bleibt im Amt. g *“* lk äT

Noch weiß man nicht, welches Datum diesen Kalender abschließen wird. In der City sowie in den innenpolitischen Kommentaren halten sich freilich hartnäckige Gerüchte, daß MacMillan die Unterstützung seiner Partei nur um den Preis der Zusicherung erhielt, innerhalb der nächsten zwei Monate aus gesundheitlichen Gründen zurückzutreten. Der Ausspruch Lady Dorothys, der Gattin des Premierministers, jsie werde im Herbst mit ihrem Manne (MacMillan) wieder nach Schottland kommen und Golf spielen, scheint indirekt diese Gerüchte zu bestätigen, da der Premierminister bisher immer nur einmal im Jahr, im Juni, Urlaub in Schottland machte. Wenn aus diesen vagen Prämissen überhaupt Schlüsse gezogen werden dürfen, dann jener, daß die Partei schon seit einiger Zeit MacMillan ablösen wollte und der Parteiführer dieser Absicht entgegenkam. Denn Lady Dorothy machte ihre Andeutung schon am 8. Juni, also bevor die Ereignisse sich zu überstürzen begannen.

Die Volksmeinung im Zahlenspiegel

Wer die Lage in der Regierungspartei jetzt beobachtet; darf nicht vergessen, daß mehr als ein Drittel der Abgeordneten einmal ein Regierungsamt innehatten, MacMillan jedoch ihre Karriere durch die periodischen Regierungsumbildung beendet hat. Einem Großteil dieser Politiker kommt die jetzige Vertrauenskrise zurecht, um ihre Gefühle abzureagieren, die von Enttäuschung bis zu Groll und Verbitterung reichen. Vor allem der rechte Hügel um Selwyn Lloyd, Enoch Powell, Peter T h o r n e y-c r o f t und Nigel B i r c h, dürfte die Gelegenheit wahrnehmen, um sich für die Brüskierung Selwyn Lloyds im Juli 1962 zu rächen. Möglicherweise hielt die Partei nur deshalb zu MacMillan, weil sie befürchtete, daß die Königin seinen Rücktritt mit der Forderung nach Neuwahlen beantwortet hätte. Schließlich trennen nur noch höchstens 18 Monate Großbritannien von der nächsten Parlamentswahl, die einen bloßen Wechsel des Premierminister doch als fragwürdig erscheinen lassen. Und sofortige Wahlen wären auf alle Fälle für die Tories vernichtend.

Das englische Gallup-Institut stellte 'nämlich auf Grund seiner letzten Befragung fest, daß jetzt nur 33 Prozent konservativ, hingegen über 51 Prozent Labour wählen würden. Standen die Konservativen schon in den ersten Monaten des Jahres nicht mehr in der Gunst der Wähler, so hat sich die Lage

für sie seit dem 4. Juni noch zusehends verschärft. Vergleicht man die Zahlen aber mit dem konservativen Anteil knapp vor der letzten Parlamentswahl im Jahr 1959, dann kann man den Absturz der Tories erst richtig ermessen. Die Zukunft ist also ziemlich düster.

Die Antwort auf den „Skandal“

Die Frage, wem würden sie ihre Stimme geben, wenn morgen Parlamentswahl stattfände, wurde in einer jüngsten Umfrage des „National Opi-nion Poll“ wie folgt beantwortet (in Prozenten):

von einer unerwarteten Seite, nämlich seitens der Bevölkerung, moralische Unterstützung in seinem Bemühen, die Schuld auf Profumo und den Sicherheitsdienst abzuwälzen. Die Frage nämlich, „wo glauben sie, liegt letztlich die Verantwortung für den Pro-fumo-Skandal“, wurde so beantwortet (in Prozenten):

Es mag für MacMillan eine gewisse Genugtuung sein, daß von jenen Befragten, die sich als Sozialisten oder Liberale bekannten, immerhin 31 beziehungsweise 51 Prozent der Meinung waren, er sollte im Amt bleiben. Der einfache Mann hat sich trotz der Turbulenz den Blick offenbar nicht trüben lassen, bewahrte seine sprichwörtlich britische Fairneß und bewies den beispiellos hohen Grad seiner politischen Reife, was vor allem eine eigene Meinung und Urteilskraft bedeutet. So mancher prominente Tory, der laut den Rücktritt des Premierministers verlangt hatte, wird vielleicht durch das Ergebnis dieser Befragung nachdenklich werden. Aber wird dies MacMillan retten? Wir glauben es nicht.

In der marokkanischen Grenzstadt Oujda jenseits der algerischen Westgrenze traf man vor dem französischalgerischen Waffenstillstand gelegentlich auf eine Gruppe von Männern im jugendlichen bis mittleren Alter, meist mit eindrucksvollen Schnurbärten und finsterem Blick, jedenfalls einheitlich in zivile Regenmäntel gekleidet: die Offiziere des Generalstabs der algerischen Aufständischenarmee, damals ALN geheißen. Das Räuberzivil war wenigstens theoretisch Vorschrift, solange sich die Rebellen-Kommandanten und -Leutnants auf marokkanischem Boden bewegten. Einer von ihnen, hager, mit eingefallenen Wangen, mongolisch vorstehenden Backenknochen, wulstigem „moustache“, aufrechtstehendem. Bürstenhaar und stechendem mißtr4iischem Blick aus zu-sjwnmengekfiiftenen- Augen war Houari ßoumedienne, Oberst' und Generalstabschef sämtlicher bewaffneter Aufstandsgruppen. Nur seine Soldaten

— und auch die nicht immer — kannten ihn; nur seine engste Umgebung

— und auch diese nicht immer — wußte, wo er jeweils zu finden war. Boumedienne liebte den Hintergrund, die zweite Reihe bei offiziellen, oder damals noch offiziösen Vorstellungen, das plötzliche Verschwinden und unangemeldete Auftauchen, im übrigen die Nachtarbeit am Schreibtisch, wo er strategische, Ausbildungs- und politische Schulungspläne austüftelte. In den letzteren legte er schon seine Weltanschauung nieder, eine Mischung von östlichem Kollektivismus, reformiertem Islam und preußischer Askese, die er sich schon als Student an der Kairoer EI-Azhar-Universität zurechtmodelliert haben mag. Seine Hauptnahrung, so behaupteten seine Adjutanten, bestand wie schon in Kairo aus Kaffee und Zigaretten.

Kein Bedarf nach „Publicity“

Auch später haßte der oberste militärische Chef des algerischen Unabhängigkeitskampfes noch das öffentliche Auftreten, Bankette und Reden. Was er seither von sich gab, zeugt vom mißglückten Versuch, die Schönredereien anderer Revolutionshelden zu kopieren. Als die Weltpresse nach Boumediennes Bündnis mit Benbella und dem nachfolgenden „kalten“ Bürgerkrieg gegen die ehemalige algerische Exilregierung von seiner Existenz Kenntnis nahm, war er weniger über

die ihm zugedachten Attribute „radikal, militaristisch, diktatorisch“ bestürzt, als über die Tatsache, daß man ihn überhaupt aus seinem geliebten Dunkel holte. Star-Journalisten, die noch jeden zum Sprechen gebracht hatten, fuhren seinem Kommandeurs-Jeep entgegen, als Boumedienne nach dem schließlichen Sturz der Exilregie-

rung im September vorigen Jahres an der Spitze seiner „Grenzarmee“ in Algier einzog, konnten jedoch nur Antworten auf ihre Fragen erhalten, die über „Ja“, „Nein“ und „Vielleicht“ nicht hinausgingen.

Seiner Art gemäß blieb Boumedienne auch als Verteidigungsminister und Chef der „Nationalen Volksarmee“ in Benbellas „demokratischer und populärer algerischen Republik“ im Hintergrund. Aus diesem freilich wirkte er weiter gegen alle sonstigen Elemente, die seiner Armee mehr oder weniger das Mitspracherecht oder gar das Übergewicht im neuen Staate streitig machten.

Abeba dekretierte Rangerhöhung war nicht nur Wasser auf die Mühlen der Abgedrängten, welche den „Weg zum Militärregime Boumediennes“ seit langem an die Wand malten. Selbst Leute aus des verschwiegenen Obersten eigener Umgebung lassen gelegentlich verlauten, daß Boumedienne sich berufen fühle, den nach seiner Meinung

einigermaßen schlecht gestarteten algerischen Karren aus dem 'Dreck zu ziehen. Über das Wie- und Wo-zuerst-Anpacken soll es nunmehr schon mit Benbella, dem letzten, der noch vor ihm steht, zu Differenzen gekommen sein. So ist Boumedienne angeblich mit Benbellas neuerlicher Methode, sich nach Fidel Castros Vorbild von erhitzten Massen vertrauensvoll in eine

„spontan sich entwickelnde Form“ des algerischen Sozialismus treiben zu lassen, ganz und gar nicht zufrieden. Der Armeechef neige der mit Vorbedacht von oben gepflanzten, nach unten notfalls mit Härte durchzusetzenden Steuerung in eine arabisch-sozialistische Zukunft „etwa der Konzeption Nassers“ zu. Die Armee Boumediennes hat ihre Stellung als einzige organisierte Kraft im Lande noch immer zu verteidigen gewußt und jeden Versuch, eine zweite Kraft zu schaffen, eifersüchtig als „heterogene Wucherung“ bekämpft.

Gegen „Armee- und Volksfeinde“

Mitten in dieser Kampagne brach Boumedienne, anläßlich der Eröffnung einer Militärschule zur Ausbildung von Nachrichtentruppen vor wenigen Tagen, zwar noch in der alten Eigenschaft als „Chef der Armeen“, indessen erstmals nach der offiziellen Ernennung zum zweiten Mann im Staate, das ihm eigene Schweigen. Die Rede des heute 38jährigen, nach wie vor im traditionell gewordenen Regenmantel auftretenden Offiziers war holprig wie eh und jeh, enthielt jedoch eine bezeichnend lange Passage über den Kampf gegen „Armee- und Volksfeinde“. Unter Algeriens also mit Volksfeinden in einen Topf geworfenen Antimilitaristen konnten gewiß die nacheinander abgesägten Rechts- und Linksabweichler von Benkhedda über Belkassem Krim bis zu Boudiaf und schließlich Khider gemeint sein. Es ist kein Geheimnis, daß sich das in Frankreich beratende Abweichlervolk über die von Benbella nach Ablauf seines provisorischen Regierungsjahres im September versprochene Wahlen auf ein Come-

back vorbereitet. Boumedienne verschlüsselte Drohung könnte aber auch eine Warnung an Benbella selbst sein, sich nicht etwa eine neue Mitregentenschaft aus den Reihen der verdrängten Armeefeinde zu suchen, eine Kampfansage vielleicht sogar an Benbellas Versuch, sich mit Hilfe einer eigenen „Hausmacht“ zum Alleinherrscher aufzuschwingen

Der Dritte verließ das Staatsruder

Aber: zur Front der Armeefeinde traten neben die Anhänger der früheren Exilregierung, die weiterhin wichtige Regierungsämter besetzen, vor allem die sogenannten „Linksabweichler“ und Gewerkschaften. Diese auf die zunächst noch gemeinsame Benbella-Boumedienne-Linie zu bringen, wurden den beiden Regenten im Jänner dieses Jahres noch vom dritten Mann im Bunde, dem Parteichef Khider, abgenommen. Beim Versuch, die Partei zur staatstragenden Macht auszubauen, stieß Khider jedoch bald selbst auf die geschlossene Abwehr von Benbella und Boumedienne, wech-

selte in die Front der meist in Frankreich sich sammelnden Regime-Gegner über und schob mit allen früher verdrängten algerischen Politikern gemeinsam die Schuld an diesem Lauf der Dinge dem Einfluß Boumediennes und seiner Armee in die Schuhe.

Vorboten eines Militärregimes

Der letzte in der Reihe der Ausgebooteten, Khider, machte Boumedienne den Platz frei für den Aufstieg zu Benbellas „Erstem Stellvertreter“. Die kurz vor Benbellas Abflug zur afrikanischen Gipfelkonferenz von Addis

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