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Der jüngste Staat

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Als am 20. Oktober 1944 nach einer Reihe blutiger und für beide Seiten verlustreicher Land- und Seeoperationen die Truppen der Vereinigten Staaten auf der von den Japanern besetzten Philippineninsel Leyte landeten, ersdioll durch den Rundfunk eine den Philippinos wohlbekannte Stimme: „Dies ist die Stimme der Freiheit. Ich bin zurückgekehrt. Durdi die Gnade des allmächtigen Gottes stehen unsere Truppen wieder auf dem Boden der Philippinen. Die Stunde eurer Befreiung ist gekommen. Vereinigt eudi mit mir!“ Der Obcrkammandierende der USA-Truppen, General Mac Arthur, stand inmitten des Kampfes um den Brückenkopf auf Leyte vor dem Mikrophon und kündete die siegreiche Rückkehr der amerikanischen Macht an. Die Philippinen waren im November 1942 nach blutigem Kampf von den Japanern besetzt worden.

Die Kolonialgesdiichte dieser Inselgruppe geht weit zurück. Magalhacs entdeckte sie am 16. März 1521; er selbst fand auf der Insel Mactan durdi Eingeborene den Tod. Spanien faßte als Kolonialmadit erst zwanzig Jahre später festen Fuß; spanische Missionare begründeten 1571 die Hauptstadt Manila, die bald mit ihren Kirchen und Klöstern ein typisdies Bild iberischer Kultur bot. Obgleich sich die spanische Oberhoheit nur auf Teilgebiete der Inselgruppe erstreckte, die nach Philipp II. benannt wurde, war doch die kolonisatorische Tätigkeit Spaniern von unzweifelhaftem Erfolg begleitet. Namentlich der Augustiner- und der Jesuitenorden leisteten hier Hervorragendes; bereits 1595 wurde Manila zum Erzbistum erhoben. Politische Fehler, Mängel der Verwaltung verschlimmerten in der Folge das Verhältnis zu Spanien. Im 19. Jahrhundert brachen infolge der zunehmenden Verwahrlosung und Korruption des spanischen Herrschaftssystems Aufstände der Eingeborenen aus, die bis zum Jahre 1897, also bis zum Beginn des spanisch-amerikanischen Krieges, sich wiederholten. Der Handstreich des USA-Admirals Dewey vor Cavite brachte Amerika über Nacht nicht nur den Sieg, sondern auch die erste große und wertvolle Kolonie. Nicht ohne Schwierigkeiten konnte die junge Kolonialmacht dort Fuß fassen. Unter General Mac Arthurs des Älteren Führung — er war der Vater des Siegers von 1944 — mußten die amerikanischen Truppen jahrelang lokale Aufstände bekämpfen. Doch bald erholte sich das Land vom Bürgerkrieg und der einstige Führer der amerikanischen Truppen wurde der erste Militärgouverneur der Insel; ihn vergötterte die Bevölkerung ebenso wie nadi 42 Jahren seinen nidit weniger berühmten Sohn. Dieser erhielt seine erste militärische Ausbildung am Strand von Leyte, an dem Platz seines größten Sieges im zweiten Weltkrieg.

Verfassungsmäßig blieben die Philippinen eine koloniale Außenbesitzung der Vereinigten Staaten, trotzdem bereits im ersten Jahrzehnt der amerikanischen Herrschaft Stimmen laut wurden, die für eine allmähliche Übertragung eigener Verwaltungsrechte an die Eingeborenen eintraten. Tat-sädilich ließen die Gouverneure, deren erster William Howard Taft war, keinen Zweifel darüber, daß die Vereinigten Staaten, wenn es die Umstände und die Entwicklung erlauben, den Philippinen volle Freiheit geben würden. Durch das berühmte Gesetz, das Präsident Roosevelt am 24. März 1934 unterzeichnete, wurde den Philippinen das Recht eines Mitglieds des amerikanischen Commonwealth zugesichert, wobei die Verteidigungshoheit ausdrücklich bei den Vereinigten Staaten verblieb. Dies war um so notwendiger, als die japanisdie Aggressionsgefahr sidi immer deutlicher abzeichnete und die Generale in Tokio die an Naturschätzen so reiche Insel in ihre Kriegspläne längst einbezogen hatten. Von nidit geringer Bedeutung war, daß die Vereinigten Staaten, als eine der jüngsten Kolonialmächte, ihre Aufgaben großzügig durchgeführt hatten. 35C0 Meilen erstklassiger Straßen waren gebaut worden. Zahlreidie moderne Schulen entstarfÖen. Der Gesundheitszustand der Eingeborenen war trotz des widrigen Klimas und der ständigen Seuchengefahr weit über dem früheren Durchschnitt. Vor allem hatte die amerikanische Verwaltung es verstanden, durch Gleichberechtigung und Entwicklung demokratischer Verfassungseinrichtungen die

Bevölkerung zur selbständigen Regierung zu führen. Seit 1935 besaßen die Philippinen in Manuel Quezon ihr verfassungsmäßig gewähltes Oberhaupt. Auf besondere Bitte Quezons, des neuen Präsidenten, war General Mac Arthur seit 1936 als militärischer Berater der philippinisdien Regierung zugeteilt worden; er bereitete umsichtig eine Verteidigung der Inseln gegen den sidi deutlich ankündigenden Angriff Japans vor. Aber als dann zugleich mit der Kriegserklärung der jähe japanische Ansturm kam, schlug er trotz aller Vorbereitungen durch.

Vor Corregidor und Bataan haben dann philippinisdie und amerikanische Soldaten gemeinsam diese Inselwelt verteidigt. 21 Tage nach der ersten japanischen Landung standen die Truppen des Feindes vor den brennenden Prachtstraßen von Manila. Die Pionierarbeit von Jahrzehnten verbrannte im japanisdien Bombenhagel, Als die Überreste der Verteidiger die Insel verlassen mußten, war auch der erste Präsident der Philippinen unter ihnen. Trotz japanischer Angebote, die vor allem die vollkommene Unabhängigkeit verspradien, blieb Quezon auf Seiten Amerikas, dessen Präsident trotz der Sdiwere der Situation die Treue zum gegebenen Wort versprach. Unter den letzten, die zurückblieben und auch in japanische Gefangenschaft fielen, war der Brigadegeneral Manuel Roxas, einstmals Adjutant Mac Arthurs, der den ausdrücklichen Auftrag hatte, im Land zu verbleiben. Seine jahrelange Tätigkeit als Verwaltungsbeamter, Provinzialgouverneur und langjähriger Parlamentssprecher prädestinierte ihn zur Organisierung eines hinhaltenden Widerstandes bis zu dem Tag, an dem die

Befreiung kommen mußte. Außerdem hatte Mac Arthur richtig die Volkstümlichkeit seines Schützlings eingesdiätzt, den die Japaner zunächst als Kriegsgefangenen behandelten. Als Japan mit Jose Laurel eine Schattenregierung aufstellte und ihr auf dem Papier die Freiheit zusicherte, wurde nidits unversucht gelassen, Rosas für dieses Kabinett zu gewinnen; und er täuschte schwere Krankheit vor durch Fieberinjektionen, die er sich selbst gab, um sich aus der Situation zu retten. Trotz seiner Weigerung setzten die Japaner mit ihrer Werbung um ihn fort und zwangen ihn schließlich, die legislative Ausarbeitung einer geplanten Konstitution zu übernehmen. Diese Arbeit gab aber Roxas die Möglichkeit, die Vorbereitungen für die künftige Befreiung zu treffen und ein ausgedehntes Agentennetz zu errichten. Als 1943 die ersten Landungen der siegreidicn Armeen Mac Arthurs geglückt waren, entkam Roxas mit seiner Familie aus dem Gefängnis, in das ihn die Japaner doch noch gesteckt hatten, und erreicht nadi abenteuerlicher Wanderung die amerikanisdien

Linien. Da Präsident Quezon 1944 im amerikanischen Exil gestorben war, wählte das Land einstimmig Roxas nadi der Befreiung zum Präsidenten. Seine Landsleute 'glauben an ihn, weil er für sie die Seele des Widerstandes war und weil der heute 54 jährige durch seine bisherigen Leistungen die Gewähr bietet, in der nun neuen Epoche der Geschichte der Philippinen seine Aufgabe zu erfüllen. Denn schwer sind die einstmals blühenden Inseln heimgesucht worden. 50 Prozent des Viehbestandes sind durdi die Kriegshandlungen getötet. Nächst Warsdiau ist Manila wohl die meistzerstörteste Stadt der Welt und in den Bergen bekämpfen nodi Banden die Ordnung und Sicherheit.

In großzügiger Weise erfüllten die Vereinigten Staaten ihr Versprechen. Am 4. Juli 1946 wurde feierlidi die Ausrufung der Republik begangen, das Aufsteigen der neuen blau-weiß-roten Fahne mit den goldenen Sternen kündete das Ende eines ehrenreichen Kapitels amerikanischer Kolonisadon und das glückverheißende Vorzeichen für die Zukunft des jüngsten Staates an. Der bisherige amerikanisdie Hochkommissar Paul Mc. Nutt wurde der erste Botschafter der Vereinigten Staaten. Allerdings, die Hilfe der Vereinigten Staaten ist weiterhin notwendig und wird großzügig gewährt. Durch eine Anleihe von 620 Millionen Doli r ermöglichen die USA die Behebung der ärgsten Kriegsschäden. Gleichzeitig sidiert ein Staatsvertrag einen 20 Jahre dauernden Freihandel mit dem früheren Staate und damit die wirtschaftliche Zukunft.

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