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Der Österreicher und sein Staat

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Das Schlagwort von der „un-bewältigten Vergangenheit“ kann auf das Verhältnis der österreichischen Bürger zur gesamten Geschichte ihres Staates angewendet werden. Es dürfte ein wesentlicher Grund für das auch heute noch nicht sehr stark entwickelte Staatsbewußtsein der Österreicher sein. Unter diesem ist im folgenden die emotionelle Annahme und intellektuelle Bewältigung der Vergangenheit und Gegenwart eines Staates als Gemeinwesen durch seine Bürger gemeint. Das österreichische Manko an dem mit Staatswerdung und Staatsidee zwar nicht identischen, aber unlösbar mit ihnen verbundenen Staatsbewußtsein wurzelt in der Geschichte eben dieses Staates, ja schon in der seines Namens.

Die aus den östlichen Marken des Heiligen Römischen Reiches erwachsenen Herrschaftsgebiete der Babenberger stellten bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts einen so beachtlichen Machtkomplex dar, daß der Gedanke an seine Erhebung zum Königreich erwogen wurde. Das neue Herrschergeschlecht der Habsburger übernahm schon im 14. Jahrhundert den Namen des Kernlandes als Bezeichnung für die eigene Familie: Als „domus Austriae“, als Herrschaft beziehungsweise Haus Österreich, sind die Habsburger dann zu Weltgeltung emporgestiegen. Im 15. Jahrhundert verwendete der niederösterreichische Theologe und Historiograph Thomas Ebendorfer den Terminus „Domus Austriae“ für den gesamten habs-burgischen Herrschaftsbereich als Ersatz für den bis dahin und noch lange fehlenden staatsrechtlichen Gesamttitel, also gleichsam als subsidiäre Staatsbezeichnumg. Bei Ebendorfer trifft man auch einen bis ziu diesem Zeitpunkt nicht in Erscheinung tretenden „amor patriae“, ein völlig bewußtes, aber auch sehr engstirniges österreicher-tum, dem schon die Steiermark suspektes Ausland ist.

1518 äußerten auf dem von Kaiser Maximilian I. in Innsbruck einberufenen Ausschußlandtag der Stände aller Erbländer deren Vertreter Tendenzen zu einer föderativen Staatsbildiung und sicherten einander gegenseitige Hilfe gegen die Türken zu. Von Krain, den Vorlanden und dem Burgenland abgesehen, deckte sich das Territorium, das diese Männer repräsentierten, völlig mit jenem Gebiet, das genau vier Jahrhunderte später nach den Worten CUmenceaus von Österreich „übrigblieb“. Dem Umfang und seiner Zusammensetzung nach ist unser heutiges Österreich also wieder das ursprüngliche „Haus Österreich“, das sich dessen Bewohner zu Beginn der Neuzeit eben einzurichten begannen.

Diese verheißungsvollen Ansätze zu einer gemeinsamen Staatsbildung von unten her, die Staatsbewußtsein des einzelnen ebenso voraussetzt wie fördert, konnten sich jedoch nicht weiter entwickeln. Der plötzliche Tod Maximilians I., der unerwartet frühe Anfall des spanischen, böhmischen und ungarischen Erbes, vor allem aber die Glauibensspaltung, haben dann gerade entgegengesetzte Folgen gezeitigt. Zunächst hatte die gemeinsame Anhängerschaft der österreichischen Stände an die protestantische Lehre im Gegensatz

zum katholischen Herrscherhaus noch eine weitere Annäherung untei den Ständen bewirkt. Der Ausgang der Schlacht am Weißen Berg 162C ermöglichte es aber den Habsbur-gern endgültig, die Macht der rebellierenden Stände zu brechen, einer absoluten Staat aufzubauen und da: 1580 noch zu drei Viertel protestantische Volk zuanindest äußerlich wieder dem alten Glauben zuzuführen Dieser große Sieg der katholischer Restauration wurde in erster Linie durch den massiven Einsatz staatlicher Macht errungen. Es kann daher mit Friedrich Heer durchau: angenommen werden, daß di< Gegenreformation tatsächlich einer Grund für die tiefliegende Abwehrhaltung der Österreicher gegen di< herrschende Staatsgewalt darstellt Ohne die Brechung des Widerstandes der Stände wären die Habsburger allerdings auch nicht in der Lag< gewesen, die türkische Gefahr fü: Mitteleuropa zu bannen, wäre Österreich nicht zur Großmacht, zun übernationalen Kulturstaat auf gestiegen. Die konfessionelle Idei hat dabei dem Souveränitätsstrebei des Herrschers Kräfte aus de: Sphäre des Religiösen verliehen. Sil stärkte auch die kaiserlichen Heer im Kampf gegen den Halbmond dem im Westen der „afflerchrisüicb ste“ König von Frankreich Schützenhilfe leistete. Gegen Frankreich ge richtet war daher auch die politisch Schläft des Kunmainzers (keine Österreichers!) Philipp Wilhelm voi Hörnigk: „Österreich über alles wenn es nur will!“ Sie war der bi dahin stärkste literarische Ausdrucl der östenredchischen Gesamtstaats idee und wurde in den nächste] hundert Jahren zwöltflmal neu auf gelegt.

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