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DIE GRSSTE UNIVERSITT

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Im vergangenen Jahr hielt die Generalversammlung der Internationalen Rundfunk- und Fernseh-Universität in Paris wieder einmal ihre Arbeitssitzung ab. (Sie tritt alle zwei Jahre zusammen, um die Programme festzulegen, die während der folgenden zwei Jahre unter vierzig Ländern oder Institutionen — so viele Mitglieder zählt die „größte Universität der Welt“ inzwischen — ausgetauscht werden.) Im Verlauf jener Sitzung empfahl die Generalversammlung ihren Mitgliedern „die wohlbekannte Zurückhaltung der Akademiker“ einmal aufzugeben, um möglichst weiten Kreisen Kenntnis von der Existenz der Internationalen Rundfunk-Universität zu vermitteln. Gewiß ist es nicht Sache der Werbung oder der Publizität, neue Hörer für eine Universität zu gewinnen. Ein allzu diskretes Schweigen jedoch kann in einer Welt, in der im allgemeinen sehr laut gesprochen wird, schädlich sein. Deshalb beschloß die Internationale Rundfunk-Universität, ihr Arbeitsgebiet und die Themen, denen sie sich mit der größten Sorgfalt widmet, einem breiteren Publikum genauer bekannt zu machen.

A m 8. Jänner 1949 fand in Nizza ein recht interessanter jfa. internationaler Kongreß statt. Elf Nationen waren dort vertreten, um ein noch nie dagewesenes Projekt zu verwirklichen. Seit Ende des Krieges produzierten verschiedene Länder kulturelle Sendungen, die bei einem interessierten Publikum viel Aufmerksamkeit fanden. Der damalige Generaldirektor des französischen Rundfunks und Fernsehens, Wladimir Porche, schlug daher vor, solche Sendungen unter den Ländern auszutauschen und darüber hinaus im voraus austauschfähige Programme zu planen. So entstand die Internationale Rundfunk-Universität. Im Jahre 1963 konnte Ihre Generalversammlung mit Freude schon Vertreter aus vierzig Nationen begrüßen, darunter auch neue Mitglieder aus den verschiedenen Staaten Afrikas. Bis zu diesem Zeitpunkt war auch die Zahl der ausgetauschten Sendungen beträchtlich gestiegen und ihr Themenkreis stark erweitert. Von 1949 bis 1951 wurden 936 Vorträge ausgetauscht. Gegenwärtig muß diese Zahl mit dreißig multipliziert werden, denn in einem vergleichbaren Zeitraum, nämlich 1961 bis 1963, wurden 30.814 Vorträge ausgetauscht. In den letzten vier Jahren hat sich die Zahl verdoppelt. Allein 1962 kam man auf 500 Sendestunden.

Die Programme der Internationalen Rundfunk-Universität orientieren sich generell am Universitätsunterricht. Sie wenden sich über Hörfunk und Fernsehen sowohl an ein akademisches Publikum wie auch an Hörer, die über einen ausreichenden Bildungsgrad verfügen, um die vorgetragenen wissenschaftlichen Erkenntnjsse .verstehen' und, geistig verarbeiten“ zu können. Ob es'sich in den Vorträgen um Chirurgie der Blutgefäße, Kybernetik, friedlicher Verwendung der Atomkraft, Musikstädte, Romanhelden, konfuzianisches Denken oder um die Rolle der Bestseller im Leben der Völker handelt, immer wird darauf geachtet, daß die verschiedenen Disziplinen möglichst gleichmäßig zu Wort kommen. In den Jahren 1961 bis 1963 wurden zum Beispiel neunundzwanzig Sendereihen den Naturwissenschaften gewidmet, dreiundzwanzig behandelten Themen aus dem Bereich der Geschichte, der Literatur, der Kunst, der Archäologie und anderen Kulturwissenschaften, elf Zyklen befaßten sich mit juristischen und soziologischen Fragen, sechs galten der Musik. Es handelt sich also wirklich um eine Universität, sowohl dem Geiste nach als auch in der Auswahl der Themen. Zu den Vortragenden zählten Ventura Garcia Calderon, Erskine Caldwell, Dr. Chou Ling, Karl Jaspers, Darius Milhaud, Maria Montessori, Jules Romains, Eleanor Roosevelt, Helmut Schelsky, Theodor W. Adorno, Arnold Gehlen, Friedrich Butenandt, Jaime Torres-Bodet, Tomizo Yoshida, um nur einige Namen zu nennen. Jugoslawien wird in diesen Vorträgen zum Nachbarn Japans, Italien zum Nachbarn Belgiens, Ungarn zum Nachbarn Kanadas, Senegal zum Nachbarn Indiens. Die Rundfunk-Universität strebt wirklich nach dem Universellen.

Während ihrer Generalversammlung im Jahre 1961 beschloß die Rundfunk-Universität, die damals mit der Ausstrahlung einer Fernsehreihe „Die hohen Stätten des Geistes“ einen neuen Weg betreten hatte, ihre Bemühungen auch auf diesem Gebiet zu verstärken. Einige Monate später änderte sie ihren Namen in Internationale Rundfunk-und Fernseh-Universität. Anfangs nahm sie Fernsehfilme in ihr Programm, die ihren Zielen entsprachen, obwohl sie nicht speziell für sie produziert worden waren. Schon 1961/62 konnten den Mitgliedern achtzehn Filme kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Diese Streifen gehörten zu folgenden Sendereihen: „Maler gestern und heute“, „Leben und Wissenschaft“, „Leben und Geschichte“, „Welt und Menschen“, „Dichter und Schriftsteller“. Die Filme stammten aus vielen Ländern: aus Italien, Schweden, Japan, Polen, der Schweiz, Belgien, Frankreich und aus der Bundesrepublik Deutschland. Auch ihre Themen waren sehr mannigfaltig, zum Beispiel: „Aquarama oder Das Leben in einem Wassertropfen“, „Holbein in Basel“, „Venedig: neue Probleme einer alten Stadt“, „Lucas Cranach“. Die Filme hatten großen Erfolg; schon von der ersten Auswahl wurden im ersten Jahr über fünfzig Kopien bestellt. Damit war der Anstoß gegeben. Nach der Generalversammlung 1963 belief sich die Zahl der Anfragen nach Kopien schon auf 140; gesendet hatte man inzwischen vierundzwanzig Filme. Vier Filme wurden bereits speziell für die Internationale Rundfunk- und Fernseh-Universität hergestellt; gleichzeitig konnte die Generalversammlung die Produktion weiterer Fernsehfilme für diesen Zweck empfehlen; insbesondere setzte sie sich für drei Reihen ein. Ihre Titel lauten: „Maler gestern und heute“, „Große Gelehrte“ und „Die Vorgeschichte“. Die austauschbaren Fernsehprogramme konnten bisher mit Hilfe von Katalogen ausgewählt werden. In kürze wird hierfür eine Mustercinemathek zur Verfügung stehen, die am Sitz des Ständigen Sekretariats in Paris eingerichtet wird. Dort können sich die Verantwortlichen für die Fernsehprogramme oder ihre Beauftragten die Filme vorführen lassen, die ihre Fernsehanstalten ausstrahlen wollen. Man erhofft sich von dieser Rationalisierungsmaßnahme die gleichen Vorteile wie vom Start der eigenen Produktion.

Rundfunkvorträge und Fernsehsendungen stehen also allen zur Verfügung. Wie das? Alle Rundfunk- und Fernsehanstalten können der Internationalen Rundfunk-und Fernseh-Universität beitreten;- Der Beitritt genügt, um die Programme kostenlos zu erhalten. Für das Fernsehen gilt lediglich eine Einschränkung: die anfordernde Anstalt muß die Kopiekosten des gewünschten Filmes tragen. Umgekehrt können auch alle Rundfunk- und Fernsehanstalten an den Programmen mitarbeiten. In diesem Fall übernehmen sie die Honorierung ihrer Autoren. Die Austauschbestimmungen sind so liberal, daß nie eine Gegenleistung verlangt wird. Ein Land kann ausschließlich Lieferant oder ausschließlich Empfänger sein. Die Organisation der Rundfunk-Universität ist recht unkompliziert. Die alle zwei Jahre zusammentretende Generalversammlung überträgt ihre Vollmachten einem Ständigen Komitee, das alle sechs Monate seine Sitzungen abhält. Ein Ständiges Sekretariat ist verantwortlich dafür, daß der Programmaustausch reibungslos vonstatten geht. Die Internationale Rundfunk- und Fernseh-Universität hat sich der uneigennützigen Aufgabe verschrieben, völkerverbindend zu wirken. In fünfzehn Jahren ist sie tatsächlich die „größte Universität der Welt“ geworden.

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