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Die Männer mit der flammenden Granate

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Was stellt sich der Durchschnittsbürger darunter vor? Eine Art Landpolizei? Eine Schar von Männern der Straßenaufsicht? Waldläufer und Flurwächter höheren Grades? Alles mögliche. Die „Männer mit der flammenden Granate” auf den roten Aufschlägen ihrer charakteristischen graublauen Uniform aber haben eine große Geschichte, und ihre Tätigkeit heute kann hinsicht! , h des Umfanges mit keinem anderen Sicherheitskorps verglichen werden. Gendarmen — das ist ein deutsches Lehnwort geworden. Richtig und ursprünglich heißen die Männer Gens d’armes, das heißt: bewaffnete Leute. Der Name ist französisch, und erst in der Goethe-Zeit, kam das Lehnwort Gendarm auf. In den Jahren von 1445 bis 1789 waren die Gens d’armes die französische königliche Leibgarde — Karl VII. hatte im 15. Jahrhundert 15 Kompanien zu je 100 Lanzen aufstellen lassen. Zwischen 1691 und 1806 gab es ein preußisches Reiterregiment Gens d’armes. Als Oesterreich durch den Wiener Kongreß die von Napoleon entrissenen Gebiete zurückerhielt, fand es 1815 in der Lombardei und in Südtirol ein Gendarmeriekorps vor, das unter dem Befehl eines Feldmarschalleutnants stand, der seinen Sitz in Mailand hatte. Aber eigentlich ist die Wurzel der österreichischen Gendarmerie doch in dem von Kaiser Ferdinand III. im Jahre 163 8 — also noch vor den Preußen — errichteten Sicherheitskorps — Portaschen genannt — zu erblicken, das in der Slowakei und der Walachei zum Schutze gegen das Bandenunwesen formiert wurde. Dieses Portaschenkorps bestand bis 1815. Ministerpräsident Fürst Schwarzenberg hatte die Idee, nach dem Muster der lombardischen Gendarmerie ein Korps für die ganze Monarchie aufzustellen. Nach Vortrag des Ministers Bach bewilligte Kaiser Franz Joseph am 8. Juni 1849 die Errichtung einer Gendarmerie. Und von da an beginnt die Geschichte der „Männer in Waffen”. Ihr Gründer und Organisator war Feldmarschalleutnant von Kempen. Bis zum Jahre 18 53 hatte er das Korps mit 322 Offizieren, 18.125 Mann und 2307 Pferden aufgestellt. Hundert Jahre später war diese Gendarmerie in der zweiten österreichischen Republik der Schützer, vielleicht auch der Retter.

LANDPOLIZEI, Flurwächter — und wie manche Raunzer meinen, Spazierengeher — so einfach ist die Sache nun doch nicht. Schon gegenüber der Tätigkeit der Polizei besteht ein erheblicher Unterschied. Ein Polizist nimmt einen Dieb fest, führt ihn aufs Wachzimmer, der Wachkommandant schreibt die Meldung (und der Polizist ist schon wieder auf seinem Dienstgange), der Dieb kommt aufs Kommissariat und dort waltet der juristisch gebildete Journalbeamte seines Amtes. Der Gendarm hat aber in dem gleichen Fall selbst und auf sich allein gestellt die verhandlungsreife Anzeige — samt allen Zeugenaussagen und Erhebungen sowie Beweisstücken — anzufertigen und den Täter dem Bezirksgericht zu überstellen. Wenn man den Dienstplan auf einem größeren Gendarmerieposten ansieht, kommt er sicher jedem vor wie ein überdimensionierter Schulstundenplan. Und wie oft wird durch unvorhergesehene Ereignisse dieser schöne Plan samt seiner Einteilung in Innendienst, Außendienst und Freizeit umgeworfen! Vom Postenkommandanten wird daher ein erhebliches Maß von Dispositionsfähigkeit, von Initiative gefordert. Und mit der sogenannten Freizeit — das ist so eine Sache. Es gibt Beamte, die sehr lange keinen Sonntag bei ihrer Familie waren, und in einem Fall war im Sommer acht Wochen keine Freizeit. Das sollte man irgend woanders probieren.

ES GIBT NICHT NUR GEWALTTÄTER, obwohl von diesen mehr oder minder sachkundig fortwährend zu lesen ist, wenn der Name Gendarmerie fällt. Auf dem „Lande” ist für Abwechslung reich gesorgt. Nehmen wir gleich die Verkehrsteilnehmer. Dann die Kontrolle über die Befolgung der verschiedenen Gesetzesvorschriften, als da etwa sind: Gewerbeordnung, Tierseuchen-, Forst-, Vogelschutz- und Jagdgesetz, die Fischerei, die Lebensmittelpolizei — und so fort. Da unsere Abgeordneten zum Nationalrat für ständigen Gesetznachschub sorgen, nimmt die Vorschriftenmappe im Postenkommando ständig an Stärke zu. Was man von der Besetzung der Posten und dem Stand an Beamten leider nicht behaupten kann. Nur eine Vergleichsziffer zur Beurteilung: Wien besitzt 10.000 Mann Polizei, für ganz Oesterreich gibt es nur ebensoviel Gendarmen.

AUF DER BUNDESSTRASSE 17. Grau liegt das Gebirge im Westen. Der Regen prasselt auf die Windschutzscheibe des Wagens, der bei diesen gefährlichen Bodenverhältnissen ziemlich langsam fährt. Nicht so aber die anderen Verkehrsteilnehmer. Da flitzt, zischt und knattert es nur so vorbei. Der Ęahrėr eines überholungsfreudigen Kleinwagens schaut sich aber doch vorsorglich um. Gendarmerie!’ Man kann nie wissen… 16 Kilometer vor Wiener Neustadt. Ein wichtiger Straßenkreuzungspunkt Der Ort hat nur rund 2000 Einwohner. Der Posten „lebt” — wie Vösendorf, Sollenau und die anderen Posten an der „Siebzehner”. Da — ein Akt vom letzten tödlichen Verkehrsunfall: ein Heft wie eine große Broschüre, mit Lageskizzen, Lichtbildern und einem genauen Faltplan. Da ist die Lage nicht eines Glassplitters vergessen. „Das haben Sie alles selbst gemacht?” fragen wir erstaunt den diensthabenden Beamten. „Ja”, sagt er. Nun ein Blick auf die „Uebersicht der Diensterfolge”. Im Jahre 1957 bis jetzt 70 Verkehrsunfälle behandelt; im Vorjahr wurden 758 Patrouillen zu Fuß, 74 mit dem Fahrrad, 28 mit dem Kraftfahrzeug und 11 (Lieberstellungen) mit der Bahn durchgeführt, daneben 1743 Dienststücke erledigt (es gab aber auch Jahre mit über 2000). Der Gesamtwert der durch die Tätigkeit der Gendarmerie hier sichergestellten Güter betrug 77.000 Schilling. — Wir verlassen den Dienstraum, besehen die Aufenthaltsräume; alles ist überaus wohnlich und zweckmäßig ausgestattet. Das Gendarmeriezentralkommando und Gendarmeriegeneral Dr. Kimmel haben gerade den Unterkünften besonderes Augenmerk geschenkt. Sind sie doch für viele Männer, die ferne von zu Hause Dienst machen, sozusagen das zweite Heim.

ES GIBT KURIOSITÄTEN. Beim Krankendienst etwa, wo im Ernstfall die Gendarmerie den Arzt zwecks Spitaleinweisung zu verständigen hat. Ein Weg von oft vielen Kilometern. Im Bezirk Bruck a. d. Leitha gibt es nämlich noch Aerzte ohne Dauertelephonverbindung. Einer hat überhaupt keinen Fernsprecher. — „Und die Bewaffnung?” fragen wir so nebenbei. „Darüber liest man doch in der Boulevardpresse Schauermärchen!” — Unser Gegenüber winkt ab. „Unbeschwert von Sachkenntnis und Verantwortungsbewußtsein!” Nur soviel also: Ein zielstrebiges Umbewaffnungsprogramm ist im Gange. Die Schnelligkeit der Durchführung - sie könnte in einem Jahr abgeschlossen sein — hängt nur von den .zur Verfügung gestellten Mitteln ab.

DIE ORGANISATIONSLINIE läuft vom Innenniinistcrium- zum Gendarmerigzentralkom- matjįo:(tnit-s jripn Abteilungen 5 a (Ausbildung, Organisation), ,5 b (Wirtschaftsangelegenheiten), 5 c (Beschaffung). Von da zu den Landesgendarmeriekommanden und Bezirksgendarmeriekommanden (entsprechend den Bundesländern und politischen Bezirken) und weiter zu den Posten. Zwischen dem Landesgendarmeriekommando und den Bezirksgendarmeriekommanden faßt das Abteilüngskommando unter der Leitung eines Gendarmerieoffiziers zwei bis drei Bezirkskommanden zusammen. Dem Abteilungskommandanten obliegt vor allem die Ueber- wächung der Aus- und Fortbildung der Beamten, die disziplinäre Ordnung, die Ueber- prüfung von Ausrüstung und Unterbringung, und nicht zuletzt hat er ein waches Auge auf das Verhältnis zur Bevölkerung zu haben. Nie den Kontakt mit der Bevölkerung zu verlieren, ist ungeschriebenes Gesetz. Wie die Landesgendarmeriekommanden in Sicherheitsdingen dem Sicherheitsdirektor unterstehen, sind die Bezirkskommanden in Sicherheitsdingen dem Bezirkshauptmann unterstellt; der Gendarmerieposten ist aber nicht etwa an Weisungen der Bürgermeister gebunden. Dann gibt es noch Erhebungsabteilungen am Sitze jedes Landes gendarmeriekommandos zur Bewältigung kriminalistischer Aufgaben größeren Stils. Jedes Landeskommando hat eine Ergänzungsabteilung zur Ausbildung des Nachwuchses in seinem Bereich. (Für Interessenten: Man braucht Leute! Unter 30 Jahre alt, ledig, Militärdienst geleistet, mindestens 168 cm groß.) In Wien besteht die Gendarmerieschule des Bundesministeriums für Inneres mit ihren geschlossenen Formationen und den Kursen für erweiterte fachliche Ausbildung und in Mödling die Gen- darftibfiezenträls’chdlß üf Heranbildung der Gendarmerieoffiziere ünd Postenkornmandanten. Llngemein vielseitig, wie der Dienst der Gendarmerie, sind die Ausbildungszweige:

I. Abschnitt: Kraftfahrtechnik, Waffenhandhabung, Rettungsschwimmen, Zillenfahren, Bedienung des Außenbordmotors, Skikurse (hochalpine Ausbildung), Geländekunde, Skizzenzeichnen, Maschinschreiben, Kurzschrift, deutsche Sprache (Anzeigenabfassung!), gendarmerietaktische Ausbildung.

II. Abschnitt: Gendarmeriedienstinstruktion, Strafrecht, Strafprozeßordnung, Bundesgesetze, Landesgesetze, gerichtliche Medizin. Staatssekretär Grubhofer hob erst kürzlich die militärische Disziplin, aber auch die Gesetzeskunde der Gendarmerie hervor und sagte, daß in der Vorschriftenkenntnis der österreichische Gendarmeriebeamte den ähnlich gearteten Exekutivorganen anderer Staaten weit voraus sei. Daneben ist der Lehrplan erfüllt von Vorträgen, die von ausgesuchten Fachkräften gehalten warden und mit dem praktischen Dienstvollzug in unmittelbarer Verbindung stehen. Wenn num die ganz und gar nicht an eine Kaserne erinnernden Räume der Schulen und Dienststellen durchschreitet; wenn man in die Gesichter der Gendarmen — vom Torposten angefangen — blickt, das dienstliche und außerdienstliche Gehaben beobachtet, so müßte auch der geschworene Zweifler seine Meinung von den „Flurwächtern höheren Grades” revidieren. Und zwar gründlich!

DIE GENDARMERIE ist überall dort gestanden, wo es heiß herging. Nach dem ersten Weltkrieg gleich — denken wir an die Gefechte in Kärnten, im Burgenland! Wenn es heute ein österreichisches Kärnten südlich der Drau, ein Lavanttal südlich von St. Paul, ein österreichisches Pinkafeld gibt, ist es in erster Linie ein Verdienst der Gendarmerie. Und nach dem zweiten Weltkrieg: da gab es zehn Jahre nur einen sicheren Pol im Lande, der allen Umsturzversuchen trotzte (siehe kommunistischer Generalstreik - Musterfall Wiener Neustadt), und das waren wieder unsere Gendarmen. Dank haben sie keinen erwartet und auch wohl kaum geerntet.

AUF DEM ERSTEN TREPPENABSATZ in einer Gendarmerieschule hängt ein großer Spiegel. Ihm gegenüber, einen Halbstock höher, das Staatswappen. Ein Zufall? Wir halten es für ein Symbol, Hier mag sich die Republik in den Spiegel schauen.

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