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Grenzfrage: Kein „Handelsobjekt“

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Dieses Paket von Bedingungen bleibt freilich auch bei einer elastischeren Warschauer Politik verschnürt. Nicht nur weil sie Grund zum Mißtrauen hat, solange Bonner Regierungsmitglieder (wie etwa Minister von Hassel am 3. September) noch immer davon reden, ein „freies Polen und ein vereinigtes, freies Deutschland“ sollten erst verhandeln. Schwerer wiegt ein logischer Zusammenhang: Die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch Bonn ohne gleichzeitige Hinnahme des Status quo in Deutschland würde Polen gegen die DDR und gegen die Sowjetunion ausspielen und wäre schon deshalb wertlos; Anerkennung der Grenzen an Oder-Neiße und Elbe, aber ohne gleichzeitige Sicherheilsregelung, die

Deutschlands atomare Möglichkeiten zügelt, böte keine Garantien.

Die Grenzfrage, längst schon kein „Handelsobjekt“ mehr, hat also nur noch eine relative Bedeutung. Der logische Fehler, den man der polnischen Politik zuweilen ankreidete, weil sie von Bonn Anerkennung einer Grenze verlangte, die nicht die Grenze der Bundesrepublik Ist, wurde korrigiert: Nicht einmal mehr in diesem Punkte, wo sich Bonn — ebenso unlogisch — auf die Zuständigkeit einer „gesamtdeutschen Regierung“ hinausredet, honoriert Polen die Alleinvertretungsthese der Bundesrepublik. , .Die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ist für das polnische Volk im gleichen Grade wichtig wie für das deutsche Volk und für alle Nationen

Europas“, sagte Gomulka am 28. Oktober, um dann deutlicher denn je zu machen, was er schon lange meint: Es gibt keine Grenzfrage, nur eine Friedensfrage. Wäre dann aber nicht ein Gewaltver-zichtsabkommen der glaubhafte Ausweg?

Einen Kollektivvertrag dieser Art hat Gomulka im April während der Karlsbader Konferenz vorgeschlagen; er schien dabei den Erwägungen der Bonner großen Koalition zu

begegnen, die jedoch an einen Austausch von zweiseitigen Gewaltverzichtserklärungen denkt. Tatsächlich wäre, wie Gomulka am 20. Mai sagte, die Unterzeichnung eines Vertrages, unter dem auch die Unterschrift der DDR-Regierung steht, „eine De-facto-Anerkennung der DDR“. Genau davor scheut Sich Bonn — und eben darauf muß Polen bestehen, wenn es nicht — durch nur“ zweiseitigen Gewaltverzicht — wiederum in den Verdacht geraten will, es lasse sich gegen die DDR ausspielen. Mehr noch: „Ohne Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ... würde der bloße Austausch von Gewaltverzichtserklärungen bedeuten, daß Polen diese seine Grenze als eine ungelöste Streitfrage anerkennt und die Bundesrepublik dokumentarisch ermächtigt, sie In Frage zu stellen“, sagte Gomulka am 28. Oktober. Aber selbst wenn Bonn die Grenze anerkenne, hätte der zweiseitige Gewaltverzicht nur dann „wesentliche Bedeutung“, wenn die Bundesrepublik auch ihr Verhältnis zur DDR regle, und zwar — wie Gomulka zu erkennen gibt — Im Sinne wenigstens einer De-facto-Anerkennung. Schlußfolgerung dieser polnischen Argumentation, der die innere Logik nicht abzusprechen ist: „Die Bonner Regierung sollte in erster Linie Gespräche über dieses Thema mit der DDR-Regierung aufnehmen.“

Wo läßt sich das Bündel aufschnüren?

Das Bündel der Voraussetzungen, die zugleich Polens eigene Bewegungsmöglichkeiten begrenzen, wäre demnach nur dort aufzuschnüren, wo es gegenwärtig an Gesprächsbereitschaft fehlt: in Ost-Berlin. Vielleicht ist es das Bewußtsein dieser Schlüsselfunktion, das die DDR-Funktionäre so hochmütig-abweisend „alles oder nichts“ fordern läßt, wahrscheinlich steht dahinter auch die konservative Furcht der Sowjetunion vor außenpolitischen Experimenten. Die polnischen Kommunisten jedoch betrachten die Lage mit gemischten Gefühlen: als Kommunisten müssen sie befürchten, ein wichtiges Bindemittel mit der Nation zu verlieren, wenn die „Bonner Gefahr“ verschwände, als Polen wissen sie, daß ihr Land eines Ausgleichs mit ollen Deutschen nicht entraten kann. So schwankt die Waage ihrer Gefühle und Entscheidungen. De Gaulles Ermunterung, aber gewiß auch die Arroganz, mit der ihre Ostberliner Freunde die innerdeutsche Bewegung blockieren, indem sie den Gegnern einer ost-polittiischen Neuorientierung in Bonn in die Hände spielen — all das bat während der letzten Wochen in Warschau interne Debatten ausgelöst und dazu angeregt, im Westen Ausschau zu hallten, ja sich in eine Diskussion über das Thema Gewaltverzicht einzulassen.

Ein neues Deutschlandbild?

Sogar mit Korrektur am propagandistischen Deutschlandbild: Hatte Gomulka noch am 2. Februar in Kattowitz düstere Perspektiven der innenpoMiaschen Entwicklung der Bundesrepublik — im Zeichen der NPD — ausgemalt und hatte sein Farfeioigan „Trybunia Ludu“ (19. April) so getan, als gebe es außer einer einflußlosen Gruppe von FDP-Abweichlern kaum Zeichen poMltischer Vernunft, so hört man jetzt plötzlich von einer „Mehrheit der Deutschen in der Bundesrepublik“, die mit der Oder-Neiße-Grenze einig sind („Trybuna Ludu“, 4. Oktober), von der Kiesinger bedrohenden „Anerkeninjungs-partei“, die noch im Schatten stehe, aber existiere (^olnlerz Wcflrnosci“, 24. Oktober), und deren Ruf „lauter und lauter“ wird („Trybunia Ludju“ vom 30. Oktober). SchflleMch verteidigte Gomuilfca selbst am 29. Oktober die Deutschen der Bundesrepublik gegen die Befürchtung Brandts und Kiesingers, daß eine Anerken-

nungspolitik ihren Nationalismus provozieren würde: „Wir ertauben uns, zu bezweifeln, daß wirklich die Mehrheit der westdeutschen GeseHscbaft die Poifflk des RevMo-nisOTus und der Revanche für richtig hält... Wir glauben eben, daß Jene, die diese Politik machen, sich hinter dem Rücken der Mehrheit der westdeutschen Gesellschaft verstekken ...“

Ob Einsicht oder Taktik, man will wieder Türen offenhallten. Geduld, Zeit, Wärklichkeditssinn und gesunden Menschenverstand brauche marn, um Europas Probleme zu lösen — eines Europa, das „ein breiterer Begriff ist als das Stück westlich der Elbe“. So sagte Minister Winrie-wicz vor der UN-Vollversammlung — genau zehn Jahre, nachdem Rapacki in New York zum erstenmal seinen Plan vorgelegt hatte. Damals, 1957, hatte es noch kein Bedingungen, kein Paket von Voraussetzungen gegeben. Damals bot Warschau diptamiaitiische Beziehungen an — und Bonn lehnte ab, ja die Bundesregierung beantwortete nicht einmal Rapackis Noten. Es klang schon fast melancholisch, wenn Winliewicz jetzt an jene Zeit erinnerte: „Die Historiker werden einrmal gedankenvoll vor diesen Beispielen ungenutzter großer Gelegenheiten stehen.“

Ob noch einmal zehn Jahre verstreichen müssen, bis geschieht, was heute leichter möglich wäre — wenn zehn Jahre nicht schon vertan wären?

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